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zum Wel­ten­rich­ter ge­macht hat, bei eu­rem An­blick be­wusst­los nie­der­stürzt!

      Ihr un­se­li­gen Schat­ten, hät­tet ihr doch in ei­nem mil­de­ren Jahr­hun­dert ge­lebt, so wäre euch das letz­te Ur­teil gnä­di­ger ge­fal­len. Aber wer soll euch aus Dan­tes In­fer­no los­be­ten? Es gibt kei­ne Be­ru­fung ge­gen den Spruch des Dich­ters.

      Un­ter­des­sen kön­nen die Wel­len sich le­gen, denn was der nächt­li­che Gast sich so­eben sel­ber er­zählt hat, muss noch in ihm aus­zit­tern, be­vor es ei­nem neu­en Ein­druck Platz ma­chen kann.

      Er tritt ans Fens­ter und ba­det Ge­sicht und Brust in der rei­nen Ber­g­luft. So pracht­voll, scheint ihm, war die blaue Sei­de des Nacht­him­mels noch nie mit Gold ge­stickt. Dr­un­ten sind die Lich­ter er­lo­schen. Tie­fe Stil­le herrscht im Tal, die nur zu­wei­len durch ver­lo­re­nes Hun­de­ge­bell aus ir­gend­ei­nem Ge­höft un­ter­bro­chen wird, und aus un­be­stimm­ten Räu­men steigt je­ner ge­heim­nis­vol­le sum­men­de Ton her­auf, der als rings ver­brei­te­tes Schlum­mer­lied den Gang der süd­li­chen Nacht be­glei­tet. Da­zwi­schen er­tönt in län­ge­ren gleich­mä­ßi­gen Ab­stän­den wie der Schlag ei­ner le­ben­di­gen Uhr das schwer­mü­ti­ge und doch so ru­he­vol­le »Kiuh« der Zwerg­oh­reu­le.

      Lan­ge steht er noch und trinkt in tie­fen Zü­gen aus dem un­er­schöpf­li­chen Kelch des Schö­nen, be­vor er mit dem Ta­schen­lämp­chen sein La­ger er­tas­tet und sich zur Hälf­te ent­klei­det nie­der­streckt. Mit dem be­stimm­ten Wil­len, am Mor­gen zei­tig wach zu sein, gibt er sich selbst das Si­gnal zum Ein­schla­fen und ent­schlum­mert au­gen­blick­lich.

      Aber nicht für lan­ge. Der Voll­mond, der gold­gelb und rie­sig über der öst­li­chen Kup­pe auf­ge­stie­gen ist, gießt sei­ne Er­re­gung in den Schlaf des Wan­de­rers und weckt ihn mit sei­nem auf die Süd­wand ge­rich­te­ten Schein. Ma­gisch geis­tert sein jen­sei­tig-blas­ses Licht über die ge­wirk­ten Ge­stal­ten hin und füllt sie mit un­heim­li­chem Le­ben. Ein lei­ser Luft­zug hebt kaum wahr­nehm­bar die nur oben be­fes­tig­ten Ge­we­be und ver­stärkt den Ein­druck ge­spens­ti­scher Be­we­gung auf den Bil­dern. Un­sag­bar ist die Un­ru­he, die da­von aus­geht. Es ist eine zu­sam­men­hän­gen­de, wenn auch durch die Tü­ren un­ter­bro­che­ne Tep­pichrei­he, wor­auf die glei­chen Ge­stal­ten in ver­schie­den­fa­chen Zu­sam­men­stel­lun­gen wie­der­keh­ren. Ohne Zwei­fel sind es die­se, die das Zim­mer in den Ruf des Un­heim­li­chen ge­bracht ha­ben; ihre Le­bens­nä­he ist schon an sich be­un­ru­hi­gend, auch ab­ge­se­hen vom Ge­gen­stand, weil sie dem stren­gen Ge­setz des Tep­pich­stils wi­der­spricht. Die Rei­he be­ginnt von links nach rechts wie die Schrift ei­nes Bu­ches, ge­web­te Hie­ro­gly­phen, die au­gen­schein­lich ein his­to­ri­sches Be­geb­nis er­zäh­len. Der ers­te Tep­pich zeigt aber­mals eine Be­la­ge­rung und eine Frau, die von der Zin­ne her­ab zum Fein­de spricht. Aber kei­ne ju­gend­li­che Huld­ge­stalt wie die Ga­lia­na, son­dern eine Krie­ge­rin von rei­fer dä­mo­ni­scher Wei­bes­schön­heit; wie mit Wi­der­ha­ken hält sie den Be­schau­er fest, dass er nicht von ihr los­kann. Die­se wun­der­voll ge­schnit­te­nen ge­bie­ten­den Au­gen, die kühn­ge­bo­ge­ne Nase, die vol­len Lip­pen mit dem ver­wir­ren­den, sinn­lich grau­sa­men Zug, wem ge­hö­ren sie? Das su­chen­de Auge ent­deckt in der obe­ren Ecke der Zier­leis­te ein Dop­pel­wap­pen, die Vi­per der Sfor­za-Vis­con­ti und die Rose der Ria­rio. Jetzt kennt er die Frau und er kennt auch die trot­zi­ge klot­zi­ge Fes­tung mit den vier stump­fen, oben ab­ge­schlos­se­nen Rundtür­men in den Ecken und dem we­nig er­höh­ten Haupt­turm, denn ganz so steht sie noch heu­te in der Ebe­ne von For­li, die ehe­ma­li­ge Zwing­burg die­ser Stadt. Da­mit hat er den ma­gi­schen Schlüs­sel in Hän­den, jetzt müs­sen ihm die Geis­ter spre­chen.

      Die Frau ist kei­ne an­de­re als Ca­te­ri­na Sfor­za, re­gie­ren­de Grä­fin von For­li und Imo­la, als Ver­tei­di­ge­rin die­ser Fes­te durch die Jahr­hun­der­te be­rühmt. Die Frau mit dem un­be­zwing­li­chen Con­dot­tie­ren­blut ih­rer Vor­fah­ren in den Adern und eben­so mit de­ren Kriegs- und Staats­kunst. Die Ama­zo­ne, die Waf­fen trägt wie ein Mann, Trup­pen aus­hebt und ein­übt, im Ge­tüm­mel, wenn es not tut, sel­ber mit­ficht. Und da­bei für die schöns­te Frau Ita­li­ens gilt. Denn schön ist sie, nie­mand sage nein. Ihr ers­ter Gat­te wur­de an ih­rer Sei­te er­mor­det, der zwei­te eben­falls. Bei­de Male hat sie grau­si­ge Ra­che ge­nom­men, hat ihr For­li in eine blut­strö­men­de Richt­statt ver­wan­delt. Jetzt ist sie zum drit­ten Mal Wit­we und noch im­mer schön. Den Reiz ih­rer Züge hat we­der ihre Grau­sam­keit noch die Uner­sätt­lich­keit ih­rer Sin­ne zu zer­stö­ren ver­mocht: bei­des ver­rät sich nur in den ge­spann­ten Nüs­tern und den ge­schwell­ten Lip­pen mit der klei­nen schlim­men Fal­te in den Mund­win­keln.

      Und der ele­gan­te Ka­va­lier auf weißem Roß zwi­schen zwei Trom­pe­tern vor der Mau­er – ist das der Feind, der die An­stal­ten zum Ver­der­ben der schö­nen Ama­zo­ne be­feh­ligt? Er hält den Hut mit dem wei­ßen Fe­der­busch in hö­fi­schem Schwung weit von sich ge­streckt und neigt sich voll An­mut; man könn­te an einen Lie­bes­rit­ter den­ken, der um Ein­lass wirbt. Wohl wirbt er um Ein­lass, aber mit Lie­be hat die Wer­bung nichts zu schaf­fen, sie kommt aus ei­nem Her­zen, das nie ge­liebt hat, des­sen Eis nur zu­wei­len im Feu­er des Has­ses schmilzt. Denn die­se schlan­ke, ge­schmei­di­ge Schön­heit ge­hört dem Ober­herrn der Dä­mo­nen, Ce­sa­re Bor­gia, an, bei des­sen ver­fluch­tem Na­men den Schwa­chen das Blut ge­rinnt und Star­ke erb­las­sen. In der Ge­sell­schaft glänzt er als der vollen­dets­te Tän­zer und als spa­ni­scher Ma­ta­dor, der selbst in die Are­na hin­ab­steigt, um mit ei­nem Stoß den Stier zu fäl­len. Mit der glei­chen An­mut um­kreist er, mit der­sel­ben un­fehl­ba­ren Si­cher­heit fällt er sei­ne mensch­li­chen Op­fer. Sein ge­schenk­tes fran­zö­si­sches Her­zog­tum Va­len­ti­nois, wo­nach er bei den Zeit­ge­nos­sen der Va­len­ti­no heißt, kann sei­nen Ehr­geiz nicht be­frie­di­gen, es kann ihm nur als Sprung­brett die­nen. Da­rum ist er jetzt an der Spit­ze ei­nes päpst­li­chen Söld­ner­trupps und un­ter­stützt von ei­nem er­le­se­nen Kriegs­heer, das ihm sein Gön­ner, der Kö­nig von Frank­reich, ge­stellt hat, in der Ro­ma­gna ein­ge­bro­chen und hat ohne Schwert­streich, durch den blo­ßen Klang sei­nes fürch­ter­li­chen Na­mens alle die klei­nen Ty­ran­nen, von Ri­mi­ni, von Ur­bi­no, von Pe­sa­ro, von ih­ren Stüh­len ge­fegt. Wie Spreu sind sie bei sei­nem Kom­men da­von­ge­wir­belt, kei­ner hat an Stand­hal­ten oder Wie­der­keh­ren ge­dacht. So ist er ohne Ge­gen­wehr bis For­li ge­kom­men. Da stellt sich eine Frau in sei­nen Weg! Die krie­ge­ri­sche Her­rin von For­li und Imo­la, sie ganz al­lein, ohne Schutz­macht noch Ver­bün­de­te. Zwar riss auch ihre Stadt For­li bei sei­nem Her­an­na­hen die Tore weit auf und leg­te dem Geg­ner ihre Schlüs­sel zu Fü­ßen, denn die Furcht vor dem Va­len­ti­no ist noch grö­ßer als die vor Ca­te­ri­na, und Nei­gung hat sie ja ih­ren Völ­kern nie­mals ein­ge­flö­ßt.

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