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Gesammelte Werke. Isolde Kurz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962812515
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Nur einmal bei der Leichenfeier der alten Fürstin führte das Hofzeremoniell sie zusammen. Die edle Frau war still, wie sie gelebt hatte, aus dem Leben gegangen. Erst als ihr Platz leer stand, fühlte man, was alles mit ihr geschieden war. Auch an diesem Schicksal schrieb Paolo sich die Verantwortung zu, denn wo viele zusammen gesündigt haben, trägt der Zartergesinnte die Schuld für alle.
Francesca in tiefer Trauer kniete mit ihren Damen an der einen Seite des Katafalks, Paolo mit seinem Hofstaat an der anderen. Er wagte nicht zu ihr hinzublicken, sie nahm aus gesenkten Lidern seine Züge wahr, in die das Leid seine veredelnde Schrift geschrieben hatte und die neben den harten hölzernen Gesichtern der Herrn von Rimini als das einzige Menschengesicht erschienen. Der Jüngling fühlte den Streifblick ohne ihn zu sehen, und sein Herz gab ihm solche Stöße, als ob es die Brust von innen durchbohren wollte.
Da war es Gianciotto selbst, der den Funken in den Brennstoff warf. Er bereute längst sein gegebenes Wort, weil er seine Hoffnung, Francesca werde, durch Großmut überwunden, sich mit ihm versöhnen und ihm freiwillig an seinen neuen Wohnsitz folgen, gescheitert sah. Durch seinen Aushorcher wusste er, dass Paolo niemals den Fuß über ihre Schwelle setzte und dass also von seiner Vermittlung nichts zu erwarten war. Das erzürnte Gianciotto, weil er meinte, sein lebenslustiger Bruder gehe wie sonst den Vergnügungen nach und vergesse seinen Auftrag. Er ließ ihn also bei seinem brüderlichen Zorn ermahnen, nunmehr mit Madonna Francesca ernstlich zu sprechen und ihm von ihrer Gesinnung Kenntnis zu geben. So gezwungen begab er sich vor das Angesicht, das er ebenso fürchtete wie ersehnte.
Er fand Francesca im Kreis ihrer Damen, die sich bei seinem Eintritt zurückzogen. Sie war noch schöner als am Tag, wo er sie in Ravenna freite, aber der Schmelz ihrer Wangen hatte den rosigen Anhauch der Freude verloren, denn ihre Jugend lag ermordet drüben in jenem jetzt abgeschlossenen und wie der Schauplatz eines Verbrechens von allen gemiedenen Schlafgemach.
Die Entschlossenheit ihrer Miene zeigte ihm gleich, dass Gianciotto nichts zu hoffen hatte. Der Besucher wagte nicht frei vor sie zu treten, sondern kniete nahe der Tür nieder und faltete abbittend die Hände. Die Demut seiner Haltung erinnerte an seine Schuld und weckte den entschlafenen Zorn aufs neue.
Sie wandte einen Blick auf ihn, woraus Dolche zückten.
Was willst du hier, neuer Judas? fragte sie.
Um Verzeihung bitten, wenn Verzeihung möglich ist. Nicht für mich, ich weiß, da gibt es keine. Aber für einen andern, – ich komme im Auftrag.
Für andere werben, das ist, wie es scheint, dein Gewerbe, sagte sie bitter.
Du wirst mich nie tiefer verachten können, als ich mich selbst verachte, antwortete Paolo.
Wenn du ein Gefühl für Ehre hast, wie konntest du ein solches Bubenstück durchführen?
Ich war ein gedankenloser und leichtfertiger Knabe bis – zu jenem Tag. Ich wusste nicht, was ich tat. Sie sagten mir, es sei ein gutes und gottgefälliges Werk, den Frieden zwischen unseren Häusern zustande zu bringen.
Um den Preis eines Verbrechens – das glaubtest du!
Sie sagten mir, ein Liebesverbrechen sei, wenn begangen, auch schon verziehen, denn dann komme die Liebe und mache alles gut.
Die Liebe!! Zu einer Missgeburt!
Sie sagten, die Frauen liebten immer den, der ihre ersten Liebkosungen empfangen habe. Wenn du nur erst Gianciotto als Gatten umarmt hättest, dann würdest du seinen Tugenden Gerechtigkeit widerfahren lassen und gegen seine Mängel nachsichtig sein.
Und das glaubtest du?
Ich glaubte es, denn ich wusste nichts von Frauen. Sie erschienen mir wie die schönen Singvögel, die im Bauer hüpfen und singen zur Freude des Besitzers und aus seiner Hand den Leckerbissen nehmen. Mich freute nur Jagd und ritterliches Spiel und die Lieder der Dichter. Ich hatte noch keine Frau geliebt – bis dahin.
Bis dahin? sagte sie. Und jetzt?
Er sank vor ihren Augen noch tiefer in sich zusammen und antwortete nicht.
Sie wiederholte die Frage.
Erbarmen! Zwinge mich nicht auszusprechen, was schon zu denken ein Frevel ist.
Paolo! rief sie. Er richtete das Haupt auf.
Gibt es noch einen Frevel nach dem, der hier verübt wurde?
Er erhob sich und trat näher. Jedes sog das Bild des andern in sich, wie der Verdurstende den Labetrank. Wie eine seltsame unbegreifliche Hoffnung war es einen Augenblick um ihn her. Aber die Zaghaftigkeit befiel ihn wieder mit dem Gefühl seines Unwerts. Ja, sie durfte das Haupt so frei erheben, aber er?
Ich weiß nicht, wie ich dich verstehen soll, stammelte er hilflos.
Eine Flamme schoss aus ihrem Auge.
Geh nur, geh. Du bist ein Feigling. Und in Ravenna erschienst du mir wie ein Held. Alles an dir trügt, auch deine Gestalt.
Du hast recht. Ich hasse sie selber, weil sie dich betrogen hat, rief er verzweifelt. Ich will sie austilgen aus dem Sonnenlicht, denn ich bin nicht wert zu leben.
Sinnlos wollte er wegstürzen, da schrie sie auf: Paolo!
Er blieb stehen: Was rufst du mich?
Dass du leben sollst und gutmachen, was du gefrevelt hast.
Was kann ein Verworfener wie ich für dich tun?
Mitten in ihrem Jammer erbarmte sie der seinige. Da stand er in seiner Schönheit, die sie betört hatte, wie ein Cherub anzusehen, und war doch nichts als ein armer, missleiteter und gescholtener Knabe. Ein anderes, mütterlicheres Gefühl wallte in ihr auf, dass sie besänftigter antwortete:
Du hast mich aus meinem Elternhause weggelockt, hast mich der Verzweiflung preisgegeben und nun lässt du mich unter den fremden Menschen, die ich nicht lieben kann, allein in diesem düsteren trostlosen Rimini.
Darf ich dir denn Gesellschaft leisten, der ich dich so gekränkt habe, dass du mir nie verzeihen kannst?
Sie schwieg. Dann sagte sie: Wolltest du nicht eine Antwort von mir? Komm und hole sie dir morgen.
Am andern Tag schien sie die versprochene Antwort vergessen zu