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Sonnenbahn durch einen Wolkenriß … Der Regen ließ nach. Ich sah nach der Uhr. Es war halb zwölf vormittags. Mein Barometer hatte nicht versagt. Coy sagt immer: »Das kennen …« – Er kennt wirklich sehr viel, mehr als ich.

      Der Regen war vorüber. Der Wind kam von Süden, fuhr die Schlucht entlang, – – und mit rauschenden Fittichen ließen sich zwei Aasgeier, internationales Gesindel, auf den Kadaver meines toten Pferdes herab.

      Den beiden folgten drei weitere. Ihre Gier machte sie unvorsichtig. Sie mußten mich sehen. Denn wohl kein Tier besitzt so scharfe Augen wie ein Aasgeier. Wie sollten sie sonst auch so schnell aus den endlosen Höhen des Himmels, wo sie wie dunkle Punkte hängen, plötzlich herabstoßen und krächzend die starken Schnäbel wie scharfe Beile gebrauchen?! Eine Pferdehaut im Augenblick aufzureißen, – – ich sah es jetzt. Und das meinem braven Fuchs!

      Im Nu die Sniders …

      Zwei Schüsse …

      Krächzen, Flügelschlagen …

      Coy war hochgefahren. »Mistre …!!« Er sah die beiden toten Aasfresser. »Mistre, deshalb zwei Patronen?!«

      Er gähnte, reckte sich …

      Und so, wie er sich reckte, das war wie ein köstliches Spiel mit all seiner unverbrauchten Kraft … Das war Preisgabe seiner wundervollen ebenmäßigen Gestalt – eine Schaustellung ohne jede beabsichtigte Wirkung.

      Draußen schien die Sonne, und der verglimmende Glanz unseres Feuers und das in die Höhle hineinfallende Tageslicht gaben Coy Calas Profil den matten Glanz von edelster Kupferbronze.

      Ein Königsenkel!!

      Tranduftend, unsauber, Naturmensch, – und doch: seine kecke Überlegenheit, sein rasches Auffassungsvermögen, seine Freude, sich reden zu hören, – seine ganze Persönlichkeit, die sich durch Worte, auf Papier gebracht, kaum erschöpfen läßt, – das war eine glückliche Mischung normannischen und indianischen Blutes, – denn Tounens, der Advokat, war kein reinblütiger Franzose gewesen. Königsenkel in Robbenleder …! Und mir war’s, als schimmerte der Orden des ersten und einzigen Königs von Araukanien durch Hemd und Lederwams hindurch …

      Jäher Stimmungswechsel …

      Draußen das Trappeln von Pferdehufen …

      Etwa Sennor Manuel Mastilo?!

      Nein – das wäre Film gewesen. Das Leben arbeitet andere Szenen aus …

      Zwei Reiter …

      »Hallo – – Chubur – – Chico!!«

      »Hallo, El Gento!« Und der einäugige Chubur springt aus dem Sattel, preßt mir die Hand.

      Die Freunde Coys, meine Freunde …

      Chico, der Hagere, preßt meine Hand noch stärker …

      »El Gento, – rasch mitkommen … Coy, satteln! Sennor Mastilo haben erwischt den Blinden und zehn dreckige Schweine von Tehuelchen … Schweine tot … Blinder fliehen mit den Tehu-Pferden … Dort …!«

      Und er hebt den Arm, deutet nach Nordwesten, wo die Andengipfel weiß erstrahlen.

      Chubur und Chico, deren Temperament weit geringer als das meines Coy ist, befinden sich in einer Aufregung, die nur durch eins zu erklären sein dürfte: sie müssen Augenzeugen von Szenen geworden sein, die das kriegerische Blut ihres großen Reitervolkes in heftigste Wallung versetzt haben!

      Und auch Coy ist dieses Drängen zur Eile, diese geradezu nervöse Hast der beiden Ankömmlinge zu übertrieben.

      »Erzählen du erst,« sagte er zu Chubur, dem Melancholiker, der heute wie ausgewechselt ist. »Und du schweigen, Chico, – du reden und reden und vergessen Hälfte …!!«

      Chubur, dessen leere linke Augenhöhle mit einer Lederkappe bedeckt ist (das Auge verlor er durch Möven an der Westküste von Santa Ines, als ein Teufel in Menschengestalt ihn in dem verfaulenden Kadaver eines Wales festgebunden hatte – ihn und Chico, der freilich dabei nur ein beträchtliches Stück Kopfhaut einbüßte), – dieser kleine sehnige braune Kerl beginnt in demselben Kauderwelsch, das ich nun ebenfalls vollkommen als Umgangssprache der Bewohner dieser und noch südlicheren Gegenden beherrsche:

      »Chubur Pferd geben für El Gento. Coy reiten weg mit Pferd. Wir anderes Pferd von Farm holen wollen. Treffen dreckigen Tehu an Waldrand. Tehu sitzen und passen auf. Pferd an Baum. Wir Tehu binden, Knebel in Mund. Dann Schüsse weiter in Wald, wir laufen, sehen zwischen Steinen großen Kampf …« Bisher sprach er mit erzwungener Ruhe. Nun schien ihn wieder der Blutdunst zu umwehen. Seine Blicke wurden glühend in Erinnerung dessen, was er geschaut hatte, seine Gestalt duckte sich zusammen, und seine Arme und Hände begleiteten die folgenden Worte mit eindruckvollsten Gesten. »Große Kampf sein … Waren da der Blinde und zehn dreckige Tehus … Waren da Sennor Mastilo mit vier Peons. Schossen, stachen, – – große Kampf. Blinde Mister abseits bei Pferde stehen, nichts tun. Tehus sterben, Peons sterben. Sennor Mastilo wie Pumaweibchen, wenn Junge haben. Dann blinde Mister fliehen und drei Pferde. Auf eine Pferd zwei Kisten. Mastilo lassen Tote, Verwundete liegen und reiten hinter blinde Mister. Wir nehmen Tehu-Gaul, schneiden lebenden Tehu an Waldrand Fesseln durch, reiten auch – immer neben Mastilo weit weg, daß uns nicht sehen. Viel Regen, nichts schaden … Dann Sonne, dann hierher, sollen mitkommen El Gento und Coy. So sein …«

      Diese knappe Darstellung genügte.

      »Wieviel Vorsprung hatte der Blinde?« frage ich nur noch.

      »Viel … Gute Pferde … Pferde wechseln er können. Mastilo-Pferd müde … Gute Spuren … Werden finden …«

      Auch mich hatte jetzt die Abenteuerlust in ihrer primitivsten, vielleicht natürlichsten Form gepackt. Es ging um Menschenleben … Auch ich witterte Blut … Und in uns allen steckt Bestie. Auch in dir, der du vielleicht geruhsam in der Sofaecke bei einer tadellosen Zigarre dir abends Ablenkung nach den Betrügereien und Gaunereien eines sogenannten arbeitsreichen Tages verschaffst, edler Großkaufmann oder Börsianer. –

      Die Bestie Mensch meldete sich. Coy hatte schon mit dem Satteln begonnen.

      »Bedeckt meinen toten Fuchs mit Steinen,« befahl ich Chubur und Chico.

      Sie nickten Beifall. Auch ihnen galt ein Pferd etwas. Sie waren Nachkommen eines freien Reitervolkes.

      Dann brachen wir auf, genau um ein Uhr mittags. Zwölf Stunden später sollte ich meine Sehnsucht, einmal den nie wegschmelzenden Firnschnee der Andengipfel kennen zu lernen, erfüllt sehen, freilich in anderer Art, als ich es mir je gedacht hatte.

      8. Kapitel

       Bergan

       Inhaltsverzeichnis

      Als ich Knabe war und als ich noch eine Mutter hatte, die ich liebte und die mir mehr Freundin als Erzieherin gewesen, denn mein Vater – leider – war mehr unser Feind, ohne dabei ein schlechter Mensch zu sein, – als ich mit glühenden Wangen die aufregenden Erfindungen der unerschöpflichen Phantasie eines Karl May in meiner Heimatsprache las – verschlang, da hat meine Mutter mir oft mahnend erklärt, daß ich nie vergessen möge, daß die Wirklichkeit denn doch wohl anders sei als May’sche Indianer- und Abenteurerromantik. Meine Mutter dämpfte die Begeisterung für jene Phantasiehelden, und so hat mir jene Lektüre nie etwas geschadet. Und meine Mutter hatte recht mit allem: Das Leben spielt anders mit Menschenschicksalen, und niemand, der am Schreibtisch seine Geistesprodukte tippt, wird dieses Leben je erschöpfen können. Wie ärmlich nimmt sich zum Beispiel jeder Roman im Vergleich zu den lebensvollen Reisewerken meines berühmten Landsmannes Sven Hedin aus! In Romanen reden die Leute zumeist in Kantschen tiefsinnigen oder in Nietzsches noch schwerer verständlicheren Sätzen, in den Romanen neueren Datums wird die Seelenanalyse bis zum Erbrechen gesteigert und dabei das Tempo des Geschehens dementsprechend gebremst. Man bietet dem »Volke« literarische Kost, die diesem »Volke« nichts zu sagen weiß. Man behauptet, dieses »Volkes« Geschmack »emporerziehen«

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