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Weg – wohin!« Die nervöse Spannung wurde mir unerträglich. Meine Stimme war heiser und fremd.

      »Den Weg, der hier im Adelaide-Archipel endete, ganz im Süden, wo bereits die Magelhaens-Straße beginnt, die der kühne Portugiese vor Hunderten von Jahren als erster mit primitiven Schiffen zu befahren wagte … Aber diese goldverblendeten Narren ahnten nicht, daß meine rot punktierte Linie nicht ganz bis zum Ziele lief. – So vergingen die drei Tage, Abelsen. Und dann kamst du uns befreien. Wir danken dir. Es wird dir nicht vergessen werden. Jetzt schöpfe mir einen Eimer Seewasser. Ich werde zwei Stunden die Hände hineinhalten.«

      Ich blieb sitzen. »Jörnsen, heute will ich nicht drohen …« Meine Stimme zitterte. »Jörnsen, heute bitte ich: Was ist’s mit Gerda?! Wisse denn: sie war mir einst der Trost meiner Kindheitstage, heute – – liebe ich sie!«

      Die klaren, jungen Augen des Mannes, der so erbarmungslos zu schweigen verstand, ruhten mit besonderem Ausdruck auf meinem zuckenden Gesicht …

      »Du liebst sie?! Noch?!«

      »Ich … weiß es nicht … Wenn sie keine Lügnerin, keine Heuchlerin wäre, dann …«

      »Sie ist’s …! Töte diese Liebe, Abelsen … Und wenn das Mädchen ein Engel wäre: sie würde nie die Deine werden! – Geh’, hole mir den Eimer Wasser …«

      Ich gehorchte wie im Traum.

      Und als ich dann allein auf dem Vorschiff stand und hinüberschaute zu den düsteren Bergen mit den blauen Gletscherkappen und den weißen Schneehängen, da wurde ich mir meiner ganzen Wehrlosigkeit gegenüber Holger Jörnsens eiserner Unerbittlichkeit bewußt. Nein – Boche Boche und ich waren ihm niemals ähnlich. Wir waren Zwerge im Vergleich zu ihm, Außenseiter des Lebens, nicht Herren unserer selbst … –

      Frau Helga rief mich zum Essen. Wir speisten zu dreien in der kleinen Kajüte. Eine schweigsame Mahlzeit, bei der ich abermals die unübersteigbare Scheidewand zwischen mir und diesen beiden seltsamen Menschen spürte. Nachher verband ich Jörnsens Hände. Und dann legte ich mich vorn in der Back zum Schlafe nieder, weil mir plötzlich schwindlig wurde und ich die Ohnmacht der Erschöpfung nahen fühlte. Wie ein Toter schlief ich bis neun Uhr abends. Erwachte und hörte den Motor arbeiten. Der Kutter war in Fahrt, und oben an Deck sah ich Holger Jörnsen am Steuerrade lehnen.

      »Zyankali …« begrüßte er mich.

      »Du hast den Kaffee untersucht, Käpten?«

      »Ja, Zyankali aus der Schiffsapotheke …« Er hatte die unvermeidliche Pfeife im Munde …

      Der Kutter schlängelte sich durch einen Irrgarten von Kanälen, zwischen finsteren Felsinseln hindurch gen Süden … Schwarzes Gewölk hing am Himmel. Ein Weststurm heulte in den Steinmassen des Archipels, und vorn im Bugspriet leuchtete das grelle Auge eines der Karbidscheinwerfer in die dunkle, gefährliche Flut mit ihren sensenscharfen Riffen hinab … Vorn am Bugspriet stand des Käptens Weib und winkte, wenn das weiße Licht ihr ein Hindernis enthüllte. Der Torstensen fuhr mit halber Kraft.

      11. Kapitel

       Das Lied des Meeres

       Inhaltsverzeichnis

      Zehn Uhr … Der Kutter ankert in freiem Wasser im Schutze einer himmelhohen Inselwand, die den Wind abfängt. Den Wind, nicht die Wellenberge, die hier bereits dem Kundigen verraten, daß der Torstensen jene gefürchteten Gewässer erreicht hat, wo die Ungleichheit der Gezeiten zweier Weltmeere sich fühlbar macht, nie zu berechnende Strömungen erzeugt und noch weiter südlich Schiffe spurlos verschwinden läßt. Es ist die von allen Seefahrern am liebsten gemiedene Gegend, es ist das Ende der Welt, wo Satan sein Spiel mit hochbordigen schnellen Dampfern treibt. Hier ging der Hapagdampfer »Acilia« verloren, hier verschwanden Vermessungsschiffe, Salpeterfahrer, Segler, Jachten … Die Archipeln der Magelhaens-Straße sind ein riesiger Friedhof. Die Schiffsversicherungsgesellschaften wissen davon ein trübes Lied zu singen. Hier flüchteten klägliche Menschlein aus leckgeschlagenem Schiffe in die Boote und wurden tot, erfroren aufgefunden.

      Der Kutter reißt an den Ankerketten, tanzt, bäumt sich, steckt die Nase in die kalte Flut, schüttelt die Nässe wieder ab, torkelt, stöhnt, ächzt …

      Ich in Ölzeug habe Wache. Die Jörnsens schlafen. Es ist bitterkalt. Hin und wieder fegt Schnee aus dem fliegenden Gewölk herab. Drüben jenseits des Kanals, in dem wir hier liegen, eine flachere große Insel, dicht bewaldet – die immergrünen, faulenden, stinkenden Wälder Feuerlands. Die Musik von Sturm und Wogen und knarrenden Masten und klirrenden, kreischenden Ankerketten wird zuweilen übertönt von dem Sturz gewaltiger Stämme, die andere mit umreißen.

      Ich habe einen Becher Kognak im Leibe und zwei Wollsweater auf dem Leibe, stampfe auf dem nassen Deck umher – hin und her – vom Bug zum Heck, vom Heck zum Bug …

      Die Laternen kämpfen müßigen Kampf gegen die Finsternis, aus der die weißen Streifen der Wogenkämme heransausen wie flach fliegende Gespenster … Spritzer fahren in die Luft, klatschen auf Deck …

      Ich bekomme eine ungefähre Vorstellung von dem, was hier ein Unwetter bedeutet.

      Aber ich fühle mich frisch und voller Spannkraft, habe den Seelendruck überwunden. – Gerda – – Boche Boche … nicht daran denken! Ich ändere nichts! Armer braver Kamerad …! Wo mag seine Leiche von den Haien gefressen worden sein?! In Punta Garras schon – erst später?! – Nicht denken …!!

      Bevor ich um halb zehn diese einsame Wache antrat, hatte der Alte mich noch gewarnt. »Sei auf der Hut, Abelsen! Bilde dir nicht ein, daß dieser Seegang etwa die hier auf den Nachbarinseln als Fischer und Robbenfänger wohnenden Feuerländer irgendwie stört. Ihre hochbordigen Kähne halten jedem Unwetter stand.«

      Diese Ermahnung war wieder so recht unklar gefaßt. Das Fehlende mußte ich mir selbst ergänzen. Jörnsen fürchtete offenbar, daß der Weiße und Gerda sich mit den Eingeborenen, die für blankes Gold zu allem fähig waren, verbünden könnten. Anders war diese Warnung kaum zu verstehen.

      Ich hatte daher auch die Repetierbüchse entsichert im linken Arm hängen und in der rechten Tasche meines Ölmantels meine Pistole stecken. Was mich beruhigte, war die selbst mir als Nichtseemann einleuchtende Unmöglichkeit, daß bei diesem Toben der haushohen Wellen, deren Unregelmäßigkeit auf den Unterschied von Ebbe und Flut im Atlantik und im Pazifik zurückzuführen war, ein Kahn neben dem Torstensen anlegen könnte! Ausgeschlossen war das! Als Jörnsen schlafen ging, war’s noch nicht halb so schlimm her draußen. Überhaupt – daß das Ehepaar bei diesem Tanz des Kutters in den Kojen blieb!! Mitunter erklangen die überanstrengten Ankerketten so hell, daß dieser singende, metallische Ton mir der Vorbote des Reißens der Kettenglieder zu sein schien. Aber noch hielten sie … Ein Wunder, fürwahr!

      Der eisige Wind fuhr mir bis auf die Haut. Ich fror. Und des öfteren befragte ich die Aluminiumbuddel in der linken Manteltasche, wer stärker sei: guter Kognak oder ein eisiger Wind unweit Kap Horn. Der Kognak redete mir ein, daß er siegen würde. Allmählich kam ich immer mehr in Stimmung. Ich fühlte mich als Gott in meiner halben Trunkenheit und im Bewußtsein meiner zähen, unverbrauchten Kräfte. Was mir acht Monate Staatshotel seelisch und körperlich geraubt hatten, hatte mir der Torstensen zurückgegeben. Ich liebte den Kutter, von dem ich jeden Fußbreit kannte. Ich betrachtete ihn als meine neue Heimat, und das Meer als das unendliche Sanatorium all derer, die nicht mit der Nachtmütze über den Ohren durchs Leben schleichen.

      Kognak …! Und dieser Kognak hier an Bord war kein stinkender Fusel. Ich war bisher nie Alkoholiker gewesen. Mein Vater hatte mir das Hochgefühl eines leichten Schwipses gründlich ausgebläut. Und doch hatte ich ihn einmal so betrunken gesehen, daß ich ihn nicht nur haßte, sondern verachtete: am Todestage meiner Mutter!! Später begriff ich ihn. Er hatte sich betäuben wollen …

      Und letzten Endes wollte ich dasselbe heute ebenfalls. Auch ich hatte Tote zu beklagen, die meinem Dasein wieder Inhalt gegeben: Gerda und Boche Boche!

      So stampfte ich denn

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