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Seewege anstatt von Straßen. Die Bewohner von Nan Madol besuchten sich gegenseitig mit dem Boot. Es nimmt nicht Wunder, dass sie ihre in den Weiten der Südsee verlorene Heimat Nan Madol nannten, was sich mit »Ort der Zwischenräume« übersetzen lässt.

Luftaufnahme_von_Nan_Madol

      Luftaufnahme von Nan Madol

      Der Weg von Pohnpeis Hauptstadt Kolonia nach Nan Madol ist nichts für Menschen, die schnell seekrank werden. Die Reise muss so angetreten werden, dass man dann am Ziel ankommt, wenn die Flut hoch steht. Und man muss sich wieder auf den Rückweg machen, so lange die Flut noch währt. Sonst sind die seichten Meeresuntiefen um Nan Madol herum nicht zu passieren. Lihp Spegal, der tüchtige Guide, erklärte mir: »Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste: Man fährt langsam aufs Meer hinaus. Dann spürt man jede einzelne Welle und wird durch das dauernde Auf und Ab auf den hohen Wellen seekrank. Die zweite: Man fährt so schnell es geht. Dann fliegt man förmlich über die Wellen dahin. Aber fast jede schlägt kräftig gegen den Boden des Boots. Man wird also tüchtig durchgeschüttelt!«

      Meine Reisegefährten und ich, wir entschieden uns für Version 2. Tag für Tag nahmen wir zwei bis drei Stunden Ritt auf den polternden Wellen in Kauf. Und das in einem einfachen Kahn, auf einem Brett am Boden sitzend. Schon nach kurzer Zeit war der Boden mit Salzwasser bedeckt, saß man mit dem Allerwertesten hart und nass. Meine Kameraausrüstung lag dabei in meinem Schoß. Ich versuchte, die gewaltigen Schläge so gut es ging abzufedern. Ausgestattet war unser Vehikel mit einem Motor für ein starkes Rennboot. So brauste unser Kahn nur so dahin, bekam etwa alle zehn Sekunden von einer Welle einen gewaltigen Hieb gegen den wenig vertrauenerweckend aussehenden Boden. Die langen Risse im Kunststoffrumpf übersahen wir dabei geflissentlich. Irgendwann würde der Rennkahn auseinanderbrechen. Sollte mir das widerfahren, so hoffte ich, dass die Haie derweil anderweitig beschäftigt sein würden.

      In rasender Fahrt ging es vorbei an kleinen dicht bewaldeten Inselchen. Da und dort sieht man eine windschiefe Hütte darauf errichtet. Ein paar Pfähle wurden in den Boden gerammt. Ein Wellblechdach als Regenschutz und Schattenspender angebracht. Diese »Bauten« passen nicht in die Natur. Schon haben wir die kleinen Eilande hinter uns gelassen. Immer wieder musste das Tempo stark gedrosselt werden. Dann zuckelten wir wieder einmal über eine seichte Untiefe. Bunte Seesterne leuchteten vom greifbar nahen Boden. Geschickt hob dann Guide Lihp Spegal den Außenbordmotor hoch. »Sonst streift er mir am Boden an!«, erklärte er lachend in gut verständlichem Englisch und fügte hinzu: »Jetzt stellen Sie sich einmal vor, wir hätten eine tonnenschwere Basaltsäule im Boot, um sie nach Nan Madol zu transportieren! Wir würden garantiert an einer dieser Untiefen hängen bleiben!«

      Gnadenlos brannte die Sonne vom Firmament, wenn es nicht wieder einmal in Strömen regnete. Sonnenbrände entstehen, mag man sich noch so intensiv mit Sonnencreme einschmieren, alle Tage wieder. Die Schmerzen sind aber rasch vergessen. Denn unser Ziel ist das achte Weltwunder, das steinzeitliche Venedig der Südsee.

      Schon dem flüchtigen Beobachter drängen sich Fragen auf, sobald er sich per Boot dem geheimnisvollen Ziel nähert. Sie konnten bislang nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Warum wurde im Meer vor der südöstlichen Küste von Temuen ein steinzeitliches »Disneyland« geschaffen? Warum geschah dies nicht stattdessen auf der Hauptinsel von Pohnpei, also auf Temuen selbst? Etwa im Norden, im Distrikt Sokehs. Hier wachsen vieleckige Steinsäulen wie monströse Haare aus dem Boden: erstarrte Lava. Diese natürlichen Riesenbalken wurden abgeschlagen, wie auch immer über weite Distanzen transportiert und zu gewaltigen Bauten nach dem »Blockhütten-Prinzip« aufgetürmt.

      Heutige »Aufklärer« der populärwissenschaftlichen Sorte neigen dazu, die großen Rätsel der Vergangenheit einfach weg zu erklären. Dies geschieht auch in Sachen Nan Madol. Da wird so getan, als sei es geradezu ein Kinderspiel gewesen, das Baumaterial für die Monsterbauten von Nan Madol zu gewinnen. Weil angeblich die Basaltpfeiler allesamt so, wie sie später verbaut wurden, fix und fertig vor Jahrmillionen entstanden.

Gewaltige_Mauern_schuetzen_heilige_Staedte

      Gewaltige Mauern schützen heilige Städte

      Fußnoten:

      (1) Ashby, Gene (Hrsg.): »A Guide to Pohnpei/ An Island Argosy by George Ashby«, 2. revidierte Auflage, Kolonia 1993, Seite 236

      (2) »Nan Madol« = »spaces between«, nach Shah, Amish: »Built by levitation«, Manuskript, undatiert, Archiv Walter-Jörg Langbein

      (3) Ashby, Gene (Hrsg.): »A Guide to Pohnpei/ An Island Argosy by George Ashby«, 2. revidierte Auflage, Kolonia 1993, Seite 346

      Oxford-Professor John Macmillan Brown, unermüdlicher Forschungsweltreisender und einer der großen Gelehrten Neu Seelands, Gründer die »University of Canterbury« von Christchurch, anno 1924 in »The Riddle of the Pacific« (1): »Beim südöstlichen Riff von Ponape gibt es eine zyklopische Ruine; da sind große Gebäude mit einer Grundfläche von insgesamt elf Quadratmeilen errichtet worden, auf quadratischen oder rechteckigen künstlich geschaffenen Inselchen. Das Verschiffen über das Riff bei Flut und das Hochzerren dieser gewaltigen Blöcke, wovon viele bis zu fünfundzwanzig Tonnen wiegen, bis in eine Höhe von zwanzig Metern, muss den Einsatz von Zehntausenden von gut organisierten Arbeitern bedeutet haben. Und die müssten alle gekleidet und ernährt worden sein.«

      Das aber, so der Gelehrte, war eigentlich unmöglich: Für zehntausende Arbeiter war kein Platz. Zehntausende konnten nicht hinreichend ernährt werden. So viel Nahrungsmittel konnten auf dem kleinen Eiland gar nicht produziert werden. Und selbst wenn die Arbeitssklaven kärglichst verköstigt wurden, so hätten sie doch unübersehbare Spuren hinterlassen müssen. Selbst wenn sie in armseligsten Behausungen vegetiert hätten, derlei große Ansiedlungen verschwinden nicht spurlos. Fazit: Um die Bauten von Nan Madol zu verwirklichen, wären Zigtausende von Arbeitern erforderlich gewesen. Ein auch nur annähernd großes Heer von Arbeitern hat es aber auf Nan Madol nie gegeben. Also dürfte es eigentlich die Anlagen von Nan Madol gar nicht geben. Sie existieren aber. Professor Macmillan Brown (2): »Es ist eines der großen Mirakel der Südsee!«

      Im Skaftafell-Nationalpark im Südosten Islands gibt es eine besondere Sehenswürdigkeit: den Svartifoss-Wasserfall. Tosende Wassermassen stürzen da weißschäumend in die Tiefe, und das vor schwarzen Basaltsäulen. So soll zumindest auch einer der »Steinbrüche« von Nan Madol aussehen. Die Säulen mussten nur noch gebrochen und transportiert werden. Trotz mehrerer Anläufe ist es mir nicht gelungen, einen der Steinbrüche zu besichtigen. Ich muss zugeben: Die Ruinen waren mir sowieso wichtiger.

Svartifoss_Wasserfall

      Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Svartifoss#/media/File:SvartifossSummer.jpg; Andreas Tille

      Wie groß Nan Madol einst wirklich war, wir wissen es nicht. Man kann davon ausgehen, dass Teile der heutigen Ruinenstadt im Meer versunken sind. Taucher haben Reste von einstmals wohl riesenhaften Bauten weiter im Westen von Nan Madol auf dem Meeresgrund entdeckt. Eine Untersuchung hat es dort bis heute nicht gegeben. Klar ist: Die »Säulen« wurden von der Erde gestellt, schlagen und transportieren musste sie der Mensch.

Nan_Madol_aus_der_Vogelperspektive

      Nan Madol aus der Vogelperspektive

      Warum hat man aber die Gebäude nicht in der Nähe des Steinbruchs errichtet? Genauer: Warum hat man die Stadt aus Basaltsäulen nicht in der Nähe eines der Steinbrüche gebaut? Mehrere heute von Urwaldickicht überwucherte Orte werden als potentielle ehemalige Steinbrüche gewertet. Erreichbar waren sie bei meinen Besuchen leider nicht. Dann wäre das Problem des Transports der Säulen erst gar nicht aufgekommen. Irgendwie muss es vor vielen Jahrhunderten gelöst worden sein. Wie? Eine überzeugende Antwort vermögen die Archäologen nicht zu bieten. Warum wurden an der entgegengesetzten Seite

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