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von Bier- und Weindünsten und einem Gemisch aller möglichen Wohlgerüche. Einige sechzig Paare schoben sich bald nach dem Takte der Musik über das gewachste Parkett hin.

      Der Junge in seinem vielfach geflickten Anzug mit dem umgehängten Korb voller Rosen sah ganz wie einer jener Blumenverkäufer aus, die unter dem Deckmantel eines armseligen Gewerbes doch nur Bettelei betreiben und gerade an diesen Stätten der Genußsucht und falscher Eleganz die besten Geschäfte machen. Nirgend fliegt das Geld ja leichter von Hand zu Hand als gerade hier.

      Karl schlich mit demütigem Gesicht von Tisch zu Tisch, bot seine Rosen an und wußte die geschminkte Weiblichkeit durch starke Schmeicheleien stets für sich einzunehmen. An jedem Tisch fand er mindestens eine Gönnerin, an die er sich dann stets leise mit derselben Frage wandte: »Kennen Sie vielleicht die Claire Ruckser? – Ein feiner Kavalier will sie gleich im Cafee Steuer sprechen.« – Dieses Verslein hatte er nun schon unzählige Male hergeleiert, und immer hatte dann die Gönnerin den anderen am Tisch Sitzenden zugerufen: »Wer von euch kennt eine Claire Ruckser?« – Bereits das fünfte Nachtlokal klapperte Karl nun schon auf diese Weise ab. Bisher ohne Erfolg. Harst hatte die heute Nacht zu besuchenden Tanzstätten und größeren Bars zwischen sich und dem Jungen verteilt und je einen Treffpunkt für 12 Uhr nachts und für 2 Uhr morgens mit ihm vereinbart.

      Er selbst hatte sich gegen zehn Uhr abends zunächst in ein Konzertcafee der oberen Friedrichstraße begeben. Hier forschte er sehr geschickt die Kellner aus, denen ja die Stammgäste in dieser Art von Lokalen zumeist mit Namen bekannt sind. Das Geld tat auch hier Wunder. Die Kellner erkundigten sich an verschiedenen Tischen, so daß Harst es nicht nötig hatte, selbst diese unangenehme Aufgabe zu übernehmen. – Zwei Cafees hatte er nun umsonst besucht. Das dritte, unweit der Ballsäle des Nordens gelegene, betrat er etwa um halb zwölf. Abermals spendete er den Kellnern je ein Zehnmarkstück und wartete nun, bei Eislimonade in einer Ecke allein sitzend, den Erfolg ab. Der Treppenaufgang zu den Billardsälen lag gerade vor ihm. Mit wachsamen Augen verfolgte er das Leben und Treiben in dem nur mäßig gefüllten, großen Raume. Auf der Treppe vor ihm erschien jetzt ein Kellner, dessen Gesicht ihm schon vorhin aufgefallen war. Er hatte diesen blassen, schielenden Menschen fraglos bereits irgendwo und –wann im Gerichtssaal gesehen. Als Angeklagten kaum, denn dann hätte er ihn sofort wiedererkannt. Also wohl als Zeugen. Der Schielende schlenderte der Drehtür des Ausganges zu. Harsts kritische Blicke stellten in den Bewegungen dieses krankhaft bleichen Menschen etwas gemacht Nachlässiges und Harmloses fest. Er hatte den Eindruck, als wollte der Kellner so recht zum Ausdruck bringen, daß er ganz von ungefähr und ganz ohne bestimmte Absicht der Tür zuschritt, hinter deren Radwindfang er nun verschwand. Harst stand auf, trat an das nahe Fenster und spähte an der Seite durch einen Vorhangspalt hindurch, sah den Schieläugigen mit fliegenden Frackschößen über die Straße laufen und war kaum zwei Minuten später hinter dem Manne drein, der seiner Überzeugung nach irgend etwas Besonderes im Schilde führte. Er besann sich jetzt auch, daß jener, als er ihm genau wie den anderen Kellnern zehn Mark heimlich zugesteckt und ihn gefragt hatte, ob ihm eine Claire Ruckser bekannt wäre, leicht zusammengefahren war, dann aber sofort gemurmelt hatte: »Das verdammte Nervenzucken!« Und er hatte auch wirklich noch verschiedentlich ein paar ruckartige Bewegungen mit dem Kopf gemacht. – Daß dieses Nervenzucken nur eine schlaue Bemäntelung des ersten leisen Zusammenschreckens gewesen, bezweifelte Harst jetzt nicht weiter. Der Mensch kannte Claire Ruckser, das war gewiß.

      Harst erkundigte sich bei zwei Streichholzverkäufern nach dem Verbleib des Kellners. Ein Mensch im Frack und ohne Kopfbedeckung, der es so eilig hatte, mußte auffallen, zumal der Fußgängerverkehr hier nur gering war. Er hatte jedoch kein Glück. Der Schielende blieb verschwunden. Harst überlegte, stellte sich dann dem Cafee gegenüber auf die Schattenseite in eine tiefe Haustür. Nach etwa drei Minuten tauchte der bleiche Kellner wieder auf und mäßigte sein Galopptempo erst dicht vor der Drehtür des Lokals, das er dann sehr gemächlich wieder betrat. Der Assessor blieb noch zehn Minuten in seinem Versteck. Es war ja nicht ausgeschlossen, daß der Blasse nochmals das Cafee verließ. –

      Die Ballsäle des Nordens lagen nur um die Ecke. Soeben hatte Karl wieder an eine »Gönnerin« die bekannte Frage gerichtet. Und nun – endlich ein Erfolg! – »Ach – die Film-Claire meinst du wohl, Junge?« – »Sie soll große Augen und ne Stupsnase haben,« meinte Karl eifrig. – »Stimmt – det is se. Du, sag’ man dem Kavalier, daß die Film-Claire schon lange nach München abjerutscht is. Sie hat ’n Engagement dort jekriegt.« – Karl war enttäuscht. Aber er war auch schlau genug, diese Quelle weiter anzuzapfen. – »Wissen Sie’s auch janz bestimmt?« fragte er nun. Da deutete die »Gönnerin« nach der einen Saaltür hin, sagte achselzuckend: »Der da mit’s Monokel könnt’ Dir wohl ihre Adresse anjeben. ’t is ihr Freund.«

      Karl duckte sich plötzlich hinter ihrem Riesenhut zusammen. Das da drüben war der Zylinder-Onkel, der Violinenkünstler! Und jetzt kam auf den langen Hageren sehr eilig ein bleicher Kellner zu. Sie flüsterten miteinander, schritten der Haupttreppe zu. Karl blieb dicht hinter ihnen. Die Treppe hatte eine scharfe Biegung. Und der Junge fing nun ein einzelnes Wort auf, einen Namen, dem eine Verwünschung folgte.

      »Harst! Der Teufel hole den Hund!« –

      Harald Harst sah in seinem Versteck nach der Uhr. Gleich zwölf. Und um zwölf wollte er sich mit Karl auf der Weidendammer Brücke treffen. Er schaute sich nach einem Auto um, ging dann zu Fuß der Friedrichstraße zu. Plötzlich hinter ihm eine Stimme: »Sie, Herr, – einen Augenblick –« – Es war der bleiche Kellner in Hut und Mantel. Er war ganz atemlos, hastete nun hervor: »Gut, daß ich Sie noch gefunden habe. Sie wollten doch was über die Claire Ruckser wissen. Ich war inzwischen in den Borussia-Sälen. Dort hab’ ich mich erkundigt. Die Film-Claire soll jetzt Kellnerin in der Goldenen Traube in der Gartenstraße sein. Wenn Sie zehn Emmchen spendieren, Herr, hole ich sie Ihnen heraus für ’n Momang.«

      Harst witterte eine Falle, denn Claire Ruckser konnte nicht Kellnerin sein – seit längerer Zeit nicht mehr! Trotzdem ging er zum Schein auf den Vorschlag des Blassen ein. Er wollte feststellen, in welchen Beziehungen dieser Schielende nun wieder zu dem an Marga verübten Morde stand. – Bis zur Gartenstraße war es nicht weit. Aber Harst hatte Eile, und da konnte es ihm nur recht sein, daß ein geschlossenes Auto jetzt langsam an ihnen vorüberfuhr. Er rief es an. Es war frei. Der Blasse nannte dem Chauffeur das Fahrtziel, öffnete die Tür mit einem höflichen: »Bitte!« – Harst zögerte. Da erhielt er einen furchtbaren Stoß ins Genick, flog halb in den Kraftwagen hinein, wurde von innen vollends hineingezerrt, spürte zwei Hände wie Eisenklammern an seinem Halse. –

      Karl beobachtete in der Vorhalle der Ballsäle stehend, wie der Zylinder-Onkel und der bleiche Kellner sich auf der Straße voneinander verabschiedeten. Da – eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter. Er sah sich zwei Herren gegenüber, von denen der eine jetzt sagte: »Wir sind Kriminalbeamte von der Wirtshauspatrouille und hinter Dir schon eine Weile her. Du hast Dich durch Deine fortwährenden –« – Karl ließ den Beamten nicht aussprechen, denn auch der lange Hagere ging jetzt eilends davon, dem er um jeden Preis auf den Fersen bleiben wollte. Mit knappen Worten klärte er die beiden Beamten darüber auf, daß er im Auftrage des Assessors Harst hier tätig wäre. »Bitte – begleiten Sie mich,« fügte er hinzu. »Ich lüge nicht. Ich erzähle Ihnen draußen das weitere.« – Harst! – die Beamten wußten sofort Bescheid: 20 000 Mark-Verlobter der ermordeten Marga Milden.

      So kam es, daß sie ebenfalls Zeugen wurden, wie der Hagere ein Auto anrief, mit dem Chauffeur verhandelte, ihm Geld reichte, einstieg, und wie nun dieser Kraftwagen langsam davonfuhr. In einem zweiten folgten sie. Einer von ihnen war neben dem Chauffeur auf den Vordersitz geklettert, hatte dem Manne zugeraunt: »Kriminalpolizei!« – Das genügte. – Das andere Auto hielt dann an einer menschenleeren Stelle. Zwei Herren wollten zu dem Hageren hineinsteigen. – Der Beamte auf dem Vordersitz hatte gute Augen, sah trotz der Entfernung und trotz des blitzschnellen Überfalles auf den einen der beiden Herren gerade noch genug, rief seinem Nachbar zu: »Los – ran an den Wagen da vor uns – Höchstgeschwindigkeit!« Und der Chauffeur schob sofort die Steuerung herum.

      5. Kapitel

       Moderne Verbrecherjagd

      

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