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nachdem festgestellt war, daß seine Schwester sich auch nicht in den Eisenbahnwagen aufhielt. Diese wurden auf die Geleise gedrückt, und für die Reisenden begann nun die Zollabfertigung in der nahen Halle.

      Der junge Arzt wurde immer besorgter und ratloser. Er meldete den Vorfall telephonisch der Polizei in Saßnitz, die sofort die Kabine Nr. 24 abschließen ließ, nachdem nunmehr erwiesen war, daß Thora während der Überfahrt verschwunden sein mußte.

      Doktor Olavsen benutzte sodann den D-Zug nach Berlin, um hier die Hilfe meines Freundes anzurufen. Er hatte sich dann vom Stettiner Bahnhof direkt nach der Blücherstraße begeben. –

      Dies teilte er uns mit, während wir den Speisen alle Ehre antaten.

      Auch Olavsen zeigte einen gesegneten Appetit. Seine Aufregung hatte sich gelegt. Er betonte, daß er nun wieder guten Mutes sei, wo er sich Harst anvertraut hätte. „Sie werden Thora finden, daran zweifele ich nicht,“ meinte er. „Ihr Abhandenkommen muß ja eine harmlose Aufklärung finden, wie ich mir jetzt selbst sage. Thora hätte ja nicht den geringsten Grund gehabt, etwa in die See zu springen. Und durch einen unglücklichen Zufall kann sie auch nicht in die See gestürzt sein. Sie ist gesund und kräftig, sportgeübt und schwimmt vorzüglich. Nein – es wird sich hier wohl wieder um irgend eine von Thoras Extravaganzen handeln. Sie hat mir schon mancherlei zu raten aufgegeben.“

      Er lächelte nachsichtig. „Thora ist nämlich durchaus keine sogenannte kühle, abgeklärte Nordländerin, Herr Harst,“ fügte er hinzu. „Sie besitzt Temperament und liebt es auch, allerlei kleine Geheimnisse vor mir zu haben.“

      Harald hatte bisher den jungen Arzt nicht unterbrochen.

      Jetzt fragte er, indem er Messer und Gabel weglegte:

      „Wie kamen Sie auf den Gedanken, Herr Doktor, sofort zu mir zu fahren?“

      „Der Saßnitzer Polizeiwachtmeister riet es mir. Er sagte, Sie hätten vor zwei Jahren in Saßnitz zu tun gehabt. Daher kennt er Sie persönlich. Er scheint ein glühender Bewunderer Ihrer berühmten Persönlichkeit zu sein.“

      „Wann fährt die Preußen wieder nach Trelleborg?“

      „Morgen mittag. Der Polizeiwachtmeister rechnete damit, daß Sie sich die Kabine Nr. 24 ansehen würden, Herr Harst. Deshalb schloß er sie auch ab.“

      „Das war sehr verständig von ihm. – Wir werden mit dem Abendzug nach Saßnitz fahren, Herr Doktor.“

      „Oh – wie soll ich Ihnen nur danken, Herr Harst!“

      Die Köchin Malwine betrat wieder das Speisezimmer und reichte Harald eine Depesche.

      Er öffnete sie, las dann vor:

      Harald Harst, Berlin-Schmargendorf.

       Beide Koffer Fräulein Thora Olavsens von unbekanntem Mann in Empfang genommen, der den Gepäckschein im Besitz hatte. Mann verschwunden.

      Polizeiwachtmeister Bließke, Saßnitz.

      „Ah – und Thora hatte ihr Geld in dem kleineren Koffer!“ rief der Doktor jetzt mit einem Gesicht, das wieder überaus ängstlich aussah.

      „War es viel?“ fragte Harald.

      „15 000 Kronen wollte sie mitnehmen. Sie besitzt ihr eigenes Vermögen. Wir sind reich, Herr Harst. Mein Vater war Fabrikbesitzer und hatte auch drei eigene Dampfer.“

      „Wir wollen den Kaffee auf der Veranda trinken,“ meinte Harst etwas zerstreut.

      Doktor Olavsen mußte ein sehr unausgeglichener Charakter sein. Man sah ihm an, daß er sich jetzt wieder seiner Schwester wegen schwere Sorgen machte. Und soeben war er noch so zuversichtlich gewesen. Ein merkwürdiger Mensch!

      Harald trank zwei Schlückchen Kaffee und fragte dann:

      „Worin äußerten sich die extravaganten Neigungen Ihrer Schwester, Herr Doktor? Und – welcher Art waren ihre kleinen Geheimnisse?“

      Olavsen strich sich nervös den Schnurrbart glatt.

      „Das läßt sich so im einzelnen schwer aufzählen Herr Harst. Es sind alles Belanglosigkeiten. Sie raucht zum Beispiel leidenschaftlich Zigaretten, trinkt gern schweren Wein, unternimmt oft tagelange Ausflüge mit ihrem Motorrad, ohne mich davon irgendwie zu verständigen, korrespondiert mit ihren Bekannten meist postlagernd, selbst mit ihrem Verlobten, und verbrennt alle Briefe sofort, läßt mich nie einen sehen, obwohl zu dieser Heimlichtuerei doch wahrlich kein Grund vorhanden ist.“

      „Wann war Ihre Schwester zu längerem Aufenthalt hier in Berlin?“ fragte Harst.

      „Sie kehrte erst vor einem halben Jahr, im April, nach Christiania zurück. Dann lernte sie Holger Boomlund kennen. Von ihrer Seite war es wohl Liebe auf den ersten Blick, wie man zu sagen pflegt. Boomlund ist ein sehr stattlicher Mann.“

      „Und von seiner Seite?“

      „– Ist es die Liebe eines reifen Mannes, der über die Zeiten leidenschaftlicher Schwärmerei hinaus ist.“

      „Wo befindet der Kapitän sich jetzt?“

      „Wahrscheinlich in Kopenhagen. Er führt den großen Frachtdampfer „Haugesund“, der dem Reeder Westrup in Christiania gehört. Von Kopenhagen sollte die Haugesund nach Stettin gehen. In Stettin wollten Thora und ich mit Holger zusammentreffen.“

      „Wie heißt Ihrer Schwester hier in Berlin verheiratete Freundin?“

      „Frau Lotte Ruperti. Sie wohnt Lützowstraße 102. Ihr Mann ist Rechtsanwalt, Doktor Hans Ruperti –“

      „Ruperti? – Den kenne ich ja persönlich. – Entschuldigen Sie uns einen Augenblick, ich möchte Ruperti einmal anläuten. Schraut, Du könntest zur Post gehen.“

      Wir ließen den jungen Arzt auf der Veranda allein.

      In seinem Arbeitszimmer sagte Harald leise, als er den Hörer vom Telephon nahm:

      „Du brauchst Olavsens Mienen nicht so zu belauern, mein Alter. Der Doktor ist ein durchaus harmloser Mensch, der keinerlei Mißtrauen verdient. Anders steht es mit Fräulein Thora. Ihre „kleinen“ Geheimnisse scheinen recht bedeutungsvoll gewesen zu sein: postlagernder Briefwechsel, plötzliche Ausflüge per Motorrad, starker Wein – Hinter alledem steckt etwas –“

      Er verlangte dann Rupertis Büronummer. Der Bürovorsteher teilte ihm jedoch mit, daß Herr und Frau Ruperti seit drei Tagen in Bad Harzburg weilten und daß sie vor dem zehnten Oktober kaum zurückkehren würden.

      „Schade,“ meinte Harald. „Nun werde ich telephonisch eine Depesche an die Kopenhagener Polizei aufgeben, unter „dringend“. Die Antwort lasse ich nach Saßnitz postlagernd senden.“

      Er rief das nächste Postamt an. – Das bestellte Telegramm hatte folgenden Wortlaut:

      Polizeiinspektor Drombör, Kopenhagen, Polizeidirektion.

       Bitte feststellen, ob Kapitän Boomlund vom Frachtdampfer Haugesund heute dort anwesend war. Wenn nicht, seit wann abwesend und wohin gereist. Antwort Saßnitz postlagernd. Gruß Harald Harst.

      „Man muß hier möglichst zahlreiche Fühler ausstrecken,“ sagte er dann zu mir. „Der Bürovorsteher Rupertis gab mir das Pensionat Arnhelm in Harzburg an. Dort wohnt das Ehepaar. Ich werde auch an Ruperti depeschieren.“

      Dieses zweite Telegramm lautete:

      Bitte um Auskunft, ob Thora Olavsen, deren Bruder wegen plötzlichen Verschwindens Thoras sehr in Sorge, während Berliner Aufenthalt Beziehungen zu irgend einem Herrn hatte. Antwort recht erschöpfend Saßnitz postlagernd. – Gruß Harald Harst.

      „Du merkst,“ erklärte er darauf, „daß ich hier eine Art Liebestragödie vermute. Olavsen wird uns hierüber auch so ein wenig Auskunft geben können. Ich werde ihn fragen, ob seine Schwester auch vor ihrer Berliner Reise sich ihre Briefe postlagernd senden ließ. Ist dies nicht der Fall gewesen, dann hat sie eben mit jemandem

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