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      „Ich möchte Dir mal folgendes aus den amerikanischen Kriminalakten über Erpressergesellschaften erzählen. – In Neuyork hatte sich 1902 eine derartige Gesellschaft überaus eifrig betätigt und gegen fünf Millionen in kurzer Zeit „verdient“. Als man die Bande schließlich abfaßte, stellte sich heraus, daß ihr Oberhaupt einer der angesehensten Ärzte Neuyorks war, der seine Kenntnis intimer Familienverhältnisse dazu benutzt hatte, den Erpresserbriefen auch allerlei Tatsachen einzufügen, die den Opfern höchst peinlich sein mußten.“

      Ich überlegte. Was sollte diese Geschichte? Weshalb erwähnte Harald sie jetzt gerade?! – Dann die Erleuchtung – blitzartig –!

      „Du argwöhnst, daß der dicke Lörax, die berühmte Witzblattfigur, vielleicht ebenfalls in ähnlicher Weise den Brüdern der grünen Maske nahesteht?“ fragte ich gespannt.

      „Ja. Das vermute ich!“

      „Weshalb? Was hat Deinen Verdacht erregt?“

      „Oh, ich war ganz arglos, bis Lörax hier gleichfalls dafür war, wir sollten nach Dahlen zurückkehren.“

      Ich dachte scharf nach.

      „Gestatte eine Einwendung,“ flüsterte ich dann. „Lörax war es doch, der den Schwestern riet, sie sollten Dich um Hilfe bitten.“

      „Gewiß. Das tat er, weil er dann als Vertrauter der Schwestern in der Lage war, unsere Schritte zu überwachen. Er mag so kalkuliert haben: es wird in Dahlen doch in kurzem bekannt, daß Colding entführt worden ist. Harst ist in Dahlen und kommt dann vielleicht von selbst in einer Verkleidung her und kann Dir dann lästig werden. Wenn Du aber die Schwestern hinschickst und ihn herbitten läßt, kannst Du es schon so einrichten, daß er wieder das Feld räumen muß. – So mag er sich’s zurechtgelegt haben. Und – deshalb kann er es gewesen sein, der Mary Colding riet, den zweiten Drohbrief zu schreiben und ihn Jane ins Zimmer zu legen, wobei er so getan haben wird, als ob er sich nun zu Marys Ansicht bekehrt hätte, uns beide nicht hinzu zu ziehen.“

      „Hm – das leuchtet zwar ein, ist mir aber zu kompliziert.“

      „Warte ab. Wenn Lörax jetzt hier sich wieder einstellt und irgendwie uns zu beweisen sucht, daß der zweite Drohbrief nicht etwa eine Fälschung ist, dann –“

      „Gestatte! Wie soll Lörax wissen, daß Du den Brief für Marys Fabrikat ansiehst?“

      „Die Frau wird’s ihm sagen, die uns belauscht hat!“

      „Ah – verstehe: es ist Frau Lörax gewesen!“

      „Sehr wahrscheinlich!“

      „Lörax wird also unter einem Vorwand herkommen und Deinen Verdacht, der Brief sei gefälscht, zu entkräften suchen.“

      „Ja, vielleicht tut er das. Geschieht es, dann ist meinem Theorie richtig.“

      „Du glaubst also wirklich, Lörax hat bei Coldings Entführung mitgewirkt?“

      „Das vermute ich mit ziemlicher Bestimmtheit. Lörax traf hier in Haukeli am Tage nach Coldings Verschwinden ein. Es mag dies ein Zufall sein, aber es ist immerhin auffallend.“

      „Wohin mag man Colding verschleppt haben?“

      „Hier im Gebirge gibt es zahllose Verstecke. Möglich auch, daß Colding gar nicht weit weggeführt worden ist. Mir ist da vorhin, als ich Prang und Lörax nachgelaufen war und nochmals mit ihnen sprach, ein besonderer Gedanke gekommen. Prang erwähnte nämlich, daß Lörax nebst Gattin allein in dem einen Unterkunftshause wohnt und alle drei Zimmer belegt hat. Du kennst ja die Gebäude des Haukeli. Die sogenannte Sennhütte, richtiger der große Gasthof, liegt nebst zwei Ställen auf der einen Seite der Straße; auf der anderen befinden sich die beiden Unterkunftshäuser und zwei Wohnhäuser von Kleinbauern. Wenn nun –“

      Harst schwieg plötzlich.

      Auch ich spürte den scharfen Dunst, der mit einem Male über uns hinwehte.

      Ich sah noch undeutlich, daß Harald sich aufzurichten versuchte.

      Dann – schwanden mir schon die Sinne.

      Mein letzter Gedanke war:

      „Ottmar Orstra –!“

      Und mein erster, als ich gefesselt und geknebelt wieder zu mir kam:

      „Wenn’s Ottmar Orstra war, seid Ihr verloren!“

      Denn – wo wir uns befanden, konnte ich nicht erkennen.

      Ringsum tiefste Dunkelheit.

      Aber neben mir atmete jemand schwer und keuchend. Das mußte Harald sein.

      Dem einen Gedanken, der alle Befürchtungen in sich vereinte, folgten andere, wachgerufen durch das, was ich spürte, was mein Gefühl wahrnahm.

      Erstens: es war hier eisig kalt! So kalt wie in einem Eiskeller.

      Und die Luft war dumpf und feucht, stank wie fauliges Wasser.

      Zweitens: ich lag auf kahlem Fels lang ausgestreckt. Die Hände waren mir über der Brust zusammen geschnürt.

      Drittens: ich konnte mich nicht aufrichten, kein Glied rühren! Ich war an den Felsboden irgendwie festgeschnürt, – selbst um den Hals lief ein dünner, straff gespannter Strick. Und der Knebel im Munde wurde durch einen Bindfaden, der um das Genick herumging, festgehalten. –

      Wie lange wir uns hier bereits befanden, wie lange unsere Betäubung gewährt hatte, dafür fehlte mir jede Schätzung.

      Nur – ich fror derart, daß ich bereits Stunden in dieser Eisluft liegen mußte; ich merkte, daß meine Füße und Arme wie Eisklumpen waren, fast gefühllos –!

      Stunden mußten vergangen sein, seitdem man uns dort in der Hütte durch irgend ein höllisches Gas plötzlich betäubt hatte.

      Durch Gas! Auch das sprach eigentlich dafür, daß Lörax, der berühmte Chemiker, der Täter war, und nicht Ottmar Orstra!

      Seltsam – wie war ich nur mit einem Male auf Orstra gekommen, der vor vier – nein, vor fünf Tagen aus Dahlen mit den Juwelen der Frau Flamborg entkommen war. –

      Mein Kopf wurde immer klarer. Ich fühlte nur eins: daß ich entsetzlich fror!

      Dann – ein Hüsteln neben mir.

      Harald regte sich –!

      Dann ein Röcheln, als ich mich ebenfalls durch Hüsteln als bei Bewußtsein gemeldet hatte.

      Ein Röcheln – so, wie jemand röchelt, der all seine Kräfte gleichzeitig mit äußerster Energie anspannt.

      Das Röcheln verstummte.

      Harst atmete schnell und pfeifend. Das, was er durchs diese Kraftentfaltung versucht hatte, schien nicht geglückt zu sein.

      Wieder Stille ringsum – Totenstille.

      Nein – doch nicht völlige Stille.

      Da waren leise klingende Geräusche – bald nah, bald fern: da war ein regelmäßiges Tak – tak – tak –

      Wassertropfen – fallende Wassertropfen!

      Und – plötzlich dachte ich an den Gletschertunnel nördlich von Haukeli.

      Die Kälte – die fallenden Tropfen! Ja – es mußte einer der Gletschertunnel sein oder doch eine Aushöhlung in einem der Gletscher! –

      Dann wieder das krampfhafte Röcheln neben mir.

      Harald versuchte sich zu befreien.

      Und – wieder mißlang es!

      Nun verhielt er sich ruhig. –

      Die Sekunden, die Minuten wurden in dieser Kälte zu Ewigkeiten.

      Selbst die immer aufs neue erwachende

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