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Herr je, die Arbeit!«, rief sie aus.

      Sie schaute erneut auf den Wecker. 06.12 Uhr. Noch drei Minuten, bis der Alarm losgehen würde.

      Erleichtert schaltete sie das Gerät ab und schob Paul vorsichtig von ihrem Bauch hinunter.

      Das war sein unmissverständliches Zeichen dafür, dass die Zeit zum Schmusen vorerst vorbei war.

      Paul streckte sich und hüpfte dann vom Bett herunter.

      Jetzt konnte auch Christina aufstehen.

      Es war schon fast hell, als Christina endlich aus der Dusche heraustrat und nach einem Handtuch griff, dass sie sich um die nassen Haare wickelte.

      Paul hatte sich auf dem Badezimmerteppich zusammengerollt, während er darauf wartete, dass sie aus der Dusche herauskam.

      »Na kleiner Mann, jetzt musst du aber raus hier, sonst wird es zu eng.«

      Christina ging in die Hocke, streichelte über seinen Kopf und gab ihm dann einen leichten Stoß, damit der Kater Aufstand und das Badezimmer verließ.

      Beim Aufstehen streifte ihr Blick den großen Ganzkörperspiegel, der an der Wand befestigt war. Dieser zeigte ihr nacktes Spiegelbild. Ihr Blick glitt zurück zu einem zweiten Handtuch, welches noch am Waschbecken hing und das sie sich gerade umlegen wollte, schweift wieder zu ihrem Spiegelbild und bannte ihn dann vollends. Christina hasste Spiegel.

      Das war nicht immer so gewesen, doch es war eine Zeit gekommen, die das geändert hatte. Spiegel versuchte Christina zu meiden, seit sie begonnen hatte sich selbst zu verletzen. Seitdem wollte sie sich einfach nicht mehr betrachten. Sie konnte den Anblick der vielen Narben nicht ertragen.

      Nun aber starrte Christina ihr Spiegelbild schamlos entgegen. Sie hatte diesen einen, riesigen Spiegel mit Absicht im Badezimmer aufgehängt. Er sollte sie mahnen und er machte seine Arbeit mehr als gut.

      ‚Du wirst es bald wieder tun, du kannst nicht ablassen davon, du bist süchtig danach!‘, schien er jetzt zu sagen.

      Christina schreckte zurück, sie wollte diese Gedanken nicht mehr. Seit Längerem versuchte sie sich mit aller Macht dagegen zu wehren und es gelang ihr in letzter Zeit sogar immer öfter. Diese Gedanken waren einfach nur schrecklich. Sie wusste, wenn sie einmal in ihrem Bann war, würde sie nicht wieder hinauskommen, ohne Blut zu lassen. Christina schob den Gedanken mühevoll beiseite und schüttelte den Kopf, als könne sie damit alles abwehren.

      »Nicht jetzt, bitte nicht an diesem Tag, er bedeutet mir doch so viel!«, flehte sie ihr Spiegelbild an.

      Das Gefühl der Benommenheit legte sich, als hätte er sie tatsächlich verstanden.

      Christina griff nach ihren Zahnputz-Utensilien, die auf einem kleinen Regal neben dem Spiegel standen, und putzte sich die Zähne. Danach cremte sie sich von Kopf bis Fuß ein, trocknete sich die Haare ab und zog sich an. Als Nächstes ging sie vom Badezimmer durch den Flur in die Küche.

      ‚Jetzt ein gutes Frühstück und der Tag ist halb überstanden‘, dachte sie bei sich.

      Sie war unendlich erleichtert darüber, dass sie den Kampf, gerade eben im Badezimmer, gegen sich selbst gewonnen hatte.

      Der Kaffee, den sie vor dem Duschen schon aufgesetzt hatte, war fast durchgelaufen. Diese Automaten mit Zeitvorgabe waren eine tolle Erfindung. Ob sie die Maschine nun abends schon befüllte, damit der Kaffee morgens fertig war, wenn Sie Aufstand, oder die Zeit abschätzte, die sie im Badezimmer benötigte und die Maschine darauf programmierte. Egal wie sie es machte, immer hatte sie ihren Kaffee bereit, wenn sie ihn brauchte. Aber ausgerechnet heute musste sie darauf warten.

      Sie ließ sich auf einen Stuhl am Küchentisch nieder und griff nach der Zigarettenpackung, die daneben auf der Eckbank lag.

      Direkt nach ihrer Scheidung von Marc hatte sie angefangen zu rauchen. Warum? Das wusste sie selbst nicht genau. Vielleicht hatte sie einfach nur versucht etwas ihr Verbotenes zu tun, um herauszufinden, wie es ist dafür keinen Ärger und keine Strafen erleiden zu müssen. So schnell hatte sich ihr Körper an dieses Ritual gewöhnt. Wie oft hatte sie seitdem schon versucht, sich das Rauchen wieder abzugewöhnen? Viermal? Fünfmal? Öfter? Sie wusste es nicht, jeder Versuch war erfolglos gewesen.

      Die ersten drei bis vier Stunden hatte Christina stets tapfer durchgehalten, dann wurde sie langsam nervös und wusste nicht mehr wohin mit ihren Händen, bis die Nervosität in Aggressivität umschlug. Spätestens an diesem Punkt hatte Christina den aktuellen Versuch über Bord geworfen, aufgegeben und wieder nach den Zigaretten gegriffen. Sie konnte es nicht und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, sie wollte es mittlerweile auch gar nicht mehr. Es war niemand mehr da, der es ihr verbieten konnte.

      Bei diesem Gedanken zog sie erst recht genussvoll an der Zigarette, atmete den Rauch extra tief ein und verschluckte sich heftig dabei.

      »Mist! Das war der Grund, warum ich damit aufhören wollte«, fluchte sie leise in sich hinein und musste kräftig husten.

      Die halbe Zigarette hatte sie geraucht, als die Kaffeemaschine schließlich anfing zu röcheln.

      »Endlich was zum richtig wach werden«, sagte Christina zu der Maschine.

      Sie stand auf, schenkte sich eine Tasse ein, gab etwas Milch und Zucker hinein und ging zurück zum Tisch. Ihr Blick fiel auf die Uhr an der Kaffeemaschine.

      Kurz vor sieben. Noch genügend Zeit.

      Paul kam langsam in die Küche geschlichen. Er schaute Christina an und wartete darauf, ob sie ihn wieder aus dem Zimmer werfen würde, oder ob er diesmal bleiben durfte. Zu seiner Freude aber sah er, dass sie ihm sogar schon Futter in den Napf getan hatte. Sein Interesse galt zu diesem Zeitpunkt jedoch noch vollends seinem Frauchen. Über das Futter würde er sich hermachen, wenn sie die Wohnung verlassen hatte.

      Er trottete also zu ihr an den Tisch, schlich um ihren Stuhl herum und begann zu schnurren.

      Christina klopfte auf ihre Beine und sagte: »Komm hoch mein süßer.«

      Mit einem Satz war Paul oben und machte es sich auf ihrem Schoß bequem. Christina vergrub ihre Finger in Pauls Fell. An der Lautstärke seines Schnurrens konnte Christina hören, dass es Paul in diesem Moment nicht bessergehen konnte. Es beruhigte sie aber ebenfalls immer sehr, wenn sie mit Paul schmusen konnte. Er schien immer im richtigen Moment da zu sein. Hätte Christina doch bloß früher gewusst, dass ein Tier ihr eine solch bedingungslose Liebe schenken kann.

      Sie nippte an ihrem Kaffee, steckte sich eine neue Zigarette an, streichelte Pauls Kopf und merkte nicht, dass sie dabei einer Erinnerung an ihre Kindheit verfiel.

      »Wollen wir ein wenig mit dem Computer spielen?«, fragte Thomas seine neunjährige Cousine.

      »Ja, gerne! Zeigst du mir, wie es geht?«, freute sich Christina.

      »Na logisch! Komm in fünf Minuten in mein Zimmer, ich warte dann dort auf dich.«

      Christina war sehr überrascht darüber, dass Thomas tatsächlich mit ihr spielen wollte. Bisher hatte Thomas sie meist gemieden.

      Nie durfte sie mitspielen, wenn seine Freunde da waren und schon gar nicht durfte sie seinen Computer berühren.

      Ihre Mutter hatte ihr schon öfter erklärt, es läge daran, dass Thomas nun einmal acht Jahre älter war als sie und eben ganz andere Interessen hatte. Er verbrachte seine Zeit lieber auf andere Weiße, als sich mit einem kleinen Mädchen zu beschäftigen. Das musste sie so akzeptieren und fertig.

      Thomas war immerhin schon siebzehn Jahre alt und bisher Christinas größtes Vorbild.

      Jetzt hatte er sie regelrecht eingeladen, mit ihm zu spielen. Sie war überglücklich.

      Mama und Papa waren über das Wochenende geschäftlich verreist und als sie ihr sagten, dass sie das Wochenende über bei Tante Sophia übernachten sollte, dachte Christina, es würden die langweiligsten Tage überhaupt werden.

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