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Borderline - Wenn die Seele Halt sucht. Simone Weber
Читать онлайн.Название Borderline - Wenn die Seele Halt sucht
Год выпуска 0
isbn 9783965442733
Автор произведения Simone Weber
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Warum bist du denn schon wach?«, fragte Marc erstaunt.
»Ich habe eine wunderbare Neuigkeit«, antwortete Christina. »Ich wollte dir beim Frühstück davon erzählen.«
Sie schaute ihm lächelnd hinterher, als er von der Küchentür zum Tisch ging. Das nasse Handtuch legte er blindlings auf einen der Stühle, zog sich seinen eigenen heran und setzte sich.
»Was ist es denn? Du scheinst es ja richtig zu genießen, spanne mich nicht so auf die Folter«, hakte Marc nach.
Christina konnte ihre Vorfreude nicht mehr länger im Zaum halten. Die Worte sprangen ihr geradezu aus dem Mund: »Ich habe einen Job! Ist das nicht fantastisch? Jetzt haben wir beide ein Einkommen und …«
Weiter kam sie nicht. Marcs Gesicht wurde finster, er ballte seine Hände zu Fäusten und schrie Christina an: »Ein Job, ja? Den wirst du sofort wieder kündigen. Meine Frau hat es nicht nötig arbeiten zu gehen. Du bleibst zu Hause und damit basta!«
»Aber …!«, wollte Christina einlenken. Ihr standen Tränen in den Augen. So sehr hatte sie sich darauf gefreut jetzt auch arbeiten zu können und dann das?
Sie wollten sich doch zusammen ein Haus kaufen, irgendwo auf dem Land. Dafür brauchte man Geld und wenn sie beide arbeiten gingen, bekämen sie das Geld doch viel schneller zusammen. Etliche Male hatte Christina zu rechnen begonnen, wie lange es dauern würde, wenn sie keine Arbeit bekäme, wenn Marc für alles sorgen müsste. So stolz war sie gewesen, als ihr der Job zugesagt wurde. Zwar sollte dieser erst einmal auf Probe sein, doch wenn es gut liefe und sie Glück hatte, könnte sie dort sogar eine Ausbildungsstelle bekommen. Was wollte man mehr?
Und nun so etwas!
Was war nur los mit ihm? So hatte sie ihn niemals zuvor erlebt. Zumindest konnte Christina sich nicht daran erinnern.
»Kein aber!«, sagte Marc, noch immer mit lauter Stimme, »du bleibst zu Hause habe ich gesagt, sonst setzt es eine! Aus, Thema beendet und vorbei!«
Um seinen Worten nochmals Nachdruck zu geben, schlug Marc mit der flachen Hand auf den Tisch und stand auf. Er rauschte aus der Küche in den Flur, nahm seinen Koffer mit den Papieren, die er im Büro benötigte und stürmte aus dem Haus zur Arbeit. Sein Frühstück blieb unbeachtet und unberührt stehen.
Christina saß noch immer am Küchentisch. Sie konnte kaum glauben, was sie gerade gehört hatte. Er verbot ihr nicht nur zu arbeiten, er drohte ihr sogar noch Schläge an, wenn sie nicht auf ihn hörte!
Christina war nicht bloß enttäuscht, sondern auch fassungslos, erschüttert und betrübt - alles zur gleichen Zeit.
An diesem Morgen hatte man ihr ihren freien Willen genommen.
Die nächsten drei Jahre sollten so weitergehen.
Christina wurde gedemütigt, hin und wieder sogar tatsächlich geschlagen, doch der Mut oder gar den Gedanken an sich, ihren Mann zu verlassen, kam ihr nicht in den Sinn. Etwa nach der Hälfte des ersten Ehejahres begann Marc sogar sie nachts zu belästigen. Ob sie Lust auf ihn hatte oder nicht, war ihm dabei vollkommen egal. Wenn er sie wollte, hatte Christina für ihn da zu sein. Bald kam ihr die vermeintlich großartige Idee sich einfach schlafend zu stellen, wenn er sich dem Schlafzimmer näherte, doch selbst das war ihm egal. Die Übergriffe hörten dadurch nicht auf, sie wurden sogar noch brutaler.
Immer mehr durchdrang Christina der Wunsch, diesen schrecklichen Mann zu verlassen, aber ihre Angst war zu groß, dass er ihr, wie angedroht, wirklich noch schlimmeres antun würde.
Außerdem, wer würde schon eine Frau lieben können, die zu dem gemacht worden war, was Christina mittlerweile war?
Damals, vor drei Jahren, da war sie noch ein hübsches Mädchen gewesen. Groß, schlank, lange blonde Haare, grüne Augen mit einem wunderbaren Leuchten, doch heute? Heute waren ihre Augen stumpf und leer. Ihre Haare waren strohig geworden, ihre Haut blass und fleckig. Heute war sie magersüchtig und litt mehr denn je unter dem Zwang sich selbst zu verletzten. Natürlich immer darauf bedacht, dass Marc keinen Verdacht schöpfen konnte.
Stets spann sie sich eine passende und glaubwürdige Ausrede zurecht, bevor sie Hand anlegte und sich, zum Beispiel mit einem Küchenmesser, in einen Arm schnitt. Sobald Marc danach fragte, wie dieser Schnitt passiert war, erzählte Christina ihm, dass sie beim Gemüseschneiden abgerutscht sei. Selbstverständlich folgten auf ihre Aussage Beleidigungen, wie dämlich sie denn sei und ähnlicher Art. An manchen Tagen schlug Marc ihr zur Strafe sogar noch auf die Wunden und meinte, er mache das nur, um ihr zu helfen. Der extra Schmerz solle sie daran erinnern, vorsichtiger zu sein. Ihr dummes Gehirn musste ja wohl eines Tages endlich einmal etwas lernen.
Es sollte noch ein Jahr dauern, bis Christina sich endlich durchrang, den Mut zu fassen und die Scheidung einzureichen.
Der Rechtsanwalt, der ihr dabei half, war ein Freund ihres Vaters, sodass die Scheidung zu ihrem Glück recht schnell vollzogen werden konnte.
Frische blaue Flecken an den Beinen und ein erst einige Tage alter Schnitt am Arm wurden Marc zur Last gelegt. Das brach ihm vor Gericht förmlich den Hals.
Dass sie allerdings selbst verantwortlich für diesen Schnitt war, das blieb natürlich Christinas Geheimnis.
Nun war sie wieder frei, durfte endlich selbst über ihr Leben entscheiden. Von heute an sollte ihr niemals mehr wieder jemand sagen, was sie zu tun hatte, oder was sie bleiben lassen sollte. Es war ihr Leben und das wollte sie voll und ganz selbst gestalten und so, wie es ihr gefiel.
Kurzerhand und mit ein wenig Hilfe des Rechtsanwaltes, fand sie eine eigene Wohnung und gleich darauf sogar einen kleinen Job.
Mit ihrem ersten Verdienst war Christina direkt ins nächste Tierheim gelaufen. So ganz alleine in ihrer Wohnung fühlte sie sich schrecklich. Der Vorschlag, sich doch ein Haustier zuzulegen, kam von ihrem Vater und Christina war mehr als begeistert davon.
Eigentlich hatte sie geplant, einen kleinen Hund zu adoptieren. Doch als sie an dem Katzenzimmer vorbeikam und den traurigen Blick einer kleinen Katze durch die große Scheibe sah, warf sie den ursprünglichen Plan sofort über Bord.
Die Tierpflegerin wollte Christina zwar noch andere Tiere zeigen, doch sie war nicht mehr zu bewegen, auch nur irgendein anderes Tier sehen zu wollen.
»Das ist mein Paul«, sagte sie bestimmend.
Die Tierpflegerin öffnete schließlich die Tür zum Katzenzimmer, damit Christina eintreten konnte.
‚So wie die aussieht, laufen die Tiere eher vor ihr weg. Das geht doch sicher nicht gut‘, dachte die Tierpflegerin bei sich, als sie die Tür hinter sich schloss, damit sich keiner ihrer Schützlinge ungefragt davonmachen konnte.
Als Christina den Raum betrat, kam der kleine Kater allerdings direkt auf das mitleiderregende Mädchen zu und strich schnurrend um ihre Beine herum. Christina ging langsam in die Hocke, um ihren Paul streicheln zu können. Da spürte die Tierpflegerin, wie ernst es Christina war und dass sie sich gut um den kleinen Kater kümmern würde.
Gemeinsam gingen sie in das Büro des Tierheims.
Christina bekam die Papiere des Katers ausgehändigt. Schnell waren diese in ihrer Handtasche verstaut und sie eilte zu dem Tierfachhandel, der sich direkt neben dem Tierheim befand. Sie kaufte alles Nötige für die ersten Tage. Darunter Futter, Spielzeug, ein Katzenkorb und natürlich eine Transportbox, damit sie ihren kleinen Paul gefahrlos nach Hause bringen konnte. Kaum hatte sie alles bezahlt, hetzte Christina zurück zum Tierheim, um Paul abzuholen. Und tatsächlich bekam sie Paul mit. Zwar bekam Sie von dem Tierheim noch gesagt, dass nachkontrolliert wird, ob sie sich auch gut um die kleine Katze kümmerte, aber das war kein Problem für Christina. Sie konnte es noch immer nicht glauben.
‚Wahnsinn‘, dachte sie bei sich, ‚ich wollte etwas und habe es bekommen. Niemand hat mich angeschrien oder beschimpft.‘
Diese Erfahrung, für Christina etwas völlig Ungewohntes, hatte ihr Selbstbewusstsein um ein gutes Stück wachsen lassen.