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zu zeigen. Er schaut mir dabei über die Schulter, gibt mir zu verstehen, dass er hier oder dort auch gewesen sei und zeigt sich überaus interessiert an allem, was ich zu berichten habe. Slava schaut dem Treiben mit maßlosem Erstaunen zu. Später sagt er mir, dass ihm das wie in einem Traum vorgekommen sei. Er konnte und kann es nicht fassen, dass sich die Probleme plötzlich aufzulösen scheinen. Keiner von uns sitzt mehr, wir gehen durch das geräumige Arbeitszimmer, bleiben mal hier vor einer Karte stehen oder sehen uns an anderer Stelle Fotos an. Dann eine kurze Anweisung an den Assistenten, eine Flügeltür wird geöffnet, dahinter ein weiterer großer Raum mit einem gedeckten Tisch. Slava lächelt mich an: »Five drops, Arved – you know, it’s an old Russian tradition.« Der unvermeidliche Vodka wird großzügig ausgeschenkt, wir stoßen an, Herr Chilingarov wünscht jetzt unserem Projekt gutes Gelingen und Erfolg auf ganzer Linie. Die Vodkagläser leeren sich, ein Stück Brot und Gurke werden gereicht, um den Schnaps zu neutralisieren – die Atmosphäre wird immer ungezwungener und freundschaftlicher. Der Assistent wird aufgefordert, Fotos von ihm und mir zu machen. Arm in Arm, mit den Zeigefingern auf der Landkarte mal am Nordpol, mal am Südpol, dazwischen immer wieder kräftiges Händeschütteln und die Zusicherung, uns nach besten Möglichkeiten zu unterstützen. Ob wir bereit wären, im Verlauf der Expedition Wetterdaten zu sammeln und sie nach Moskau zu schicken? Spontan sichere ich ihm das zu, zweimal täglich werden wir von unterwegs alle verfügbaren Daten an ihn weiterleiten. Sollten wir Probleme mit lokalen Behörden haben – er sagt dies zu Slava auf Russisch –, möge er sich umgehend per E-mail oder Telefon mit ihm in Verbindung setzen. Darüber hinaus wolle er die oberste Militärverwaltung von dem Projekt unterrichten und ihnen sein Engagement in dieser Sache mitteilen. Zusätzlich würde er auch die Deutsche Botschaft darüber informieren.

      »›Ich müsse verstehen, dass Herr Chilingarov sich schon eingehend informieren müsse, bevor er die Schirmherrschaft übernehmen könne‹. Habe ich richtig gehört? Sagte er Schirmherrschaft? Das ist weit mehr, als ich je zu hoffen wagte.«

      Wir sind schon eine gute Stunde bei ihm. Schließlich ein letztes Foto, abermals kräftiges Händeschütteln, Visitenkarten werden ausgetauscht und dann sind wir entlassen. Slava und ich schauen uns an, so richtig glauben können wir beide nicht, was wir eben erlebt haben. Das muss gefeiert werden! Ich bin wieder in Russland!

      Am

      Eintrittstor

      der Passage

      MURMANSK

      68° 57‘ N; 33° E

      04

      15. Juli 2002: Zum zweiten Mal läuft die DAGMAR AAEN diesen Hafen am Eingang der Nordostpassage an.

      Der Anruf über UKW kommt nicht überraschend: »This is russian coastguard. Ship in position 69° 35’ N; 033° 30’ E. What is your name and destination, present course and speed?« »This is the sailing vessel DAGMAR AAEN, DIXX, we are bound for Murmansk, our course is 180°, our speed is 5 knots«. Überraschend ist lediglich der Umstand, dass der Anruf auf Englisch erfolgt. Bislang wurde erwartet, dass jedes Schiff, das nach Murmansk einlief, auch der russischen Sprache mächtig war. Wenige Minuten später taucht am Horizont die graue Silhouette eines Patrouillenbootes auf, das mit schäumender Bugwelle direkt auf uns zuhält. Kurze Zeit später dann über UKW die Aufforderung zu stoppen und abzuwarten, man wolle die Papiere überprüfen und zu diesem Zweck zwei Offiziere übersetzen. Das dauert.

      Eigentlich müsste die Coast Guard genau wissen, wer wir sind, denn unser Auftauchen kann nicht überraschend für sie kommen. Den Vorschriften gemäß hatten wir bereits vor zehn Tagen per Fax unsere vermutliche Ankunftszeit Murmansk durchgegeben, danach noch einmal 24 Stunden und nochmals zehn Stunden vor unserem Eintreffen. Aber vielleicht will man sich vergewissern, ob wir alle Papiere ordnungsgemäß an Bord haben. Derer haben wir gleich einen ganzen Ordner voll. Mit qualmenden Dieselmotoren dreht das Coast-Guard-Schiff bei, und Minuten später löst sich ein Schlauchboot von der grauen Bordwand und hält auf uns zu. Zwei junge Offiziere in Uniform grüßen uns freundlich und klettern an Bord. Beide sprechen gut Englisch – es scheint sich um eine Routineuntersuchung zu handeln.

      Unter Deck bei einer Tasse Kaffee präsentiere ich die Schiffs- und Expeditionspapiere, Henryk, der fließend Russisch spricht, sitzt daneben, um den Offizieren die Konversation zu erleichtern. Endlich das Urteil: Die Papiere sind in Ordnung! Es gibt keinerlei Beanstandungen, aber – warum wir uns um Himmels Willen nicht vorher angemeldet hätten? Henryk und ich schauen uns verdutzt an. Natürlich haben wir uns angemeldet, erklärt Henryk auf Russisch und öffnet zur Beweisführung das Logbuch, wo das Fax mit Übertragungsprotokoll eingeklebt ist. Die beiden Grenzschützer überprüfen das Logbuch, Henryk zeigt ihnen auch die beiden anderen Anmeldungen, danach strahlen sie uns an. Ganz klar, die beiden suchen kein Haar in der Suppe, sondern freuen sich mit uns, dass alles seine Ordnung hat. Über Funk teilen sie ihre Erkenntnisse ihrem Kommandanten mit. Wir bereiten schon die Verabschiedung vor, als vom Schiff die Meldung kommt, wir sollten noch abwarten, da man erst in Murmansk nachfragen wolle. Der Zeitpunkt dafür ist denkbar ungünstig. Es ist 6 Uhr morgens und zudem Montag. Vor 9 Uhr würde keine Behörde und kein Büro öffnen und auch danach würde man sich nur schleppend an die Arbeit machen. Glücklicherweise ist das Wetter schön und ruhig, die See ist fast spiegelglatt. Den beiden Offizieren tut die Verzögerung Leid. Sie sind eifrig um Konversation bemüht, wir zeigen ihnen das Schiff, laden sie zum Frühstück ein und endlich kommt Elise auf die glorreiche Idee, zu angeln. Die beiden sind begeistert. Kaum dass die Angel im Wasser ist, hat auch schon der erste Dorsch angebissen, danach geht es Schlag auf Schlag. Wer soll die vielen Fische essen? Egal, die beiden angeln, Elise schlachtet, Torsten fotografiert und wir anderen machen gute Miene zum bösen Spiel.

      Auch um 9 Uhr noch keine Antwort aus Murmansk, und um 10 Uhr findet sich ebenfalls keine Lösung. Auf dem Achterdeck stapeln sich derweil die Fische, Elises Hose ist mit Schuppen und Fischblut gesprenkelt und in den Gesichtern aller spiegelt sich der Unmut über diese Verzögerung. Endlich scheint es auch dem Kommandanten zu langweilig zu werden. Er gibt Anordnung, dass einer der beiden Offiziere mit dem Schlauchboot zurückkommen solle, während der andere bei uns an Bord bleiben soll. Da unsere ETA-Meldung bislang nicht aufgetaucht ist, müsse man uns leider festnehmen. Im Klartext heißt das: Wir sind aufgebracht und verhaftet worden – trotz aller Genehmigungen. Henryk, der den Funkkontakt verfolgen kann, hört deutlich den Unmut des Kommandanten über die Schlamperei in Murmansk heraus, aber wenn der Behördenweg einmal eingeschlagen ist, gibt es kein Zurück mehr. Sobald das Schlauchboot, in das Elise schnell noch einen großen Plastiksack mit Fischen gelegt hat, an Bord genommen ist, fährt das Patrouillenboot voraus, wir laufen hinterher.

      Unterwegs überholt uns eines der großen russischen Atom U-Boote, ansonsten passieren wir jede Menge Schiffswracks, verlassene und verfallene Häuser links und rechts des Fjordes, den abgesehen von dem Verfall und den militärischen Einrichtungen eine schöne nordische Fjelllandschaft säumt. Bereitwillig gibt uns unser Offizier Auskunft über die Region. Wir passieren die verbotene Stadt Severomorsk, das große Schwimmdock, in dem angeblich das deutsche Schlachtschiff TIRPITZ gelegen haben soll und in dem noch vor wenigen Monaten die Überreste der KURSK abgewrackt worden sind. Endlich zeichnet sich hinter einer weiteren Fjordbiegung Murmansk ab.

      •

      Wir machen an einer Schwimmpier fest. Eine kleine Armee Uniformierter ergießt sich auf unser Deck, inzwischen hat sich wohl auch unsere Anmeldung eingefunden – immerhin ist es erst 14 Uhr –, und so ist die Situation nicht ganz so angespannt wie ich befürchtet hatte. Aber trotzdem! Unser Offizier von der Coast Guard wirft sich für uns ins Getümmel: Nein, die Coast Guard hätte uns gegenüber keinerlei Vorwürfe aufzuweisen, wir hätten uns absolut korrekt verhalten, man habe nur auf Weisung gehandelt und uns nach Murmansk geleitet. Ich fülle stapelweise Formulare, Zolllisten, Crewlisten et cetera aus. Irgendwann ist auch das getan. Ich schenke dem Coast Guard-Offizier ein Buch über unsere letzte Expedition, er verabschiedet sich per Handschlag von jedem von uns – und dann bleibt nur noch die Frage, wer die Schuld an dem ganzen Dilemma trägt. Eine Zivilperson mit ernster Miene erscheint wenig

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