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Die Umrundung des Nordpols. Arved Fuchs
Читать онлайн.Название Die Umrundung des Nordpols
Год выпуска 0
isbn 9783667112941
Автор произведения Arved Fuchs
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Das sind die Nachteile eines gaffelgetakelten Kutterriggs. Die Segelfläche des Groß ist enorm, hinzu kommen der schwere Baum und die Gaffel. Wenn der richtige Zeitpunkt zum Reffen verpasst ist, wird ein Reffmanöver immer zu einer sehr ernsten Angelegenheit. Vor der Erneuerung des Riggs hatte ich daher durchaus daran gedacht, das Schiff als Schoner oder Ketsch umzutakeln. Kleinere Segelflächen verteilt auf zwei Masten lassen sich in jedem Fall leichter handeln und man kann bei schlagartig wechselnden Wetterlagen schneller reagieren. Es spricht tatsächlich vieles dafür.
Aber auch wenn es vielleicht bisweilen unpraktisch ist, das Rigg eines Gaffelkutters ist einfach ästhetisch und schön. Und zudem bringt es Spaß, mit einer eingespielten Mannschaft dieses Schiff zu segeln.
Die Zeichen bleiben weiterhin auf Sturm stehen. Unter dreifach gerefftem Groß und der Fock laufen wir fast 7 Knoten, das Schiff zieht unverdrossen weiter Richtung Osten. Strecktaue werden an Deck gespannt, der defekte Stagreiter am Klüver ausgewechselt, Tauwerk aufgeschossen und durchnässte Kleidungsstücke im Maschinenraum zum Trocknen aufgehängt. Der plötzliche Wetterumschwung hat auch sein Gutes: Plötzlich ist Murmansk in weite Ferne gerückt.
Noch immer zeigen die Eiskarten dichtes Eis im Bereich der Karastraße, jener Meeresenge, die die Barentssee von der Karasee trennt. Jugorski Shar, südlich der Karastraße gelegen, ist noch total blockiert. Würden wir zu früh in die Karastraße einfahren, hätten wir nichts gewonnen. Im Gegenteil! Wir würden im Eis herumlavieren, Material und Nerven strapazieren und dennoch nicht schneller vorankommen, als wenn wir die Jahreszeit für uns arbeiten lassen. Mit Gewalt lässt sich in diesen Breiten nichts erreichen.
Die Durchfahrung der Nordostpassage ist unter anderem deshalb so schwierig, weil es ganz klar definierte Schlüsselstellen gibt, die man zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt erreichen beziehungsweise passieren muss. Ist man zu früh, kommt man nicht durch und hängt im Eis fest. Ist man zu spät, kann man vielleicht noch diese eine Stelle passieren, dafür aber nicht mehr die nächste, weil sich das Eis dort schon wieder geschlossen hat. Und von solchen Stellen kann die Nordostpassage gleich mit einer ganzen Handvoll aufwarten: die Karastraße, das Nordenskiöld-Archipel, Kap Tscheljuskin als der Knackpunkt schlechthin, die Dmitri-Laptev-Straße, das Ayon-Eis sowie die als Schiffsfriedhof berühmt-berüchtigte De Long-Straße. Zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle sein – das ist unsere Strategie.
Genau um diese Möglichkeit hatte man uns bei unserem letzten Versuch im Jahre 1994 gebracht. Indem man uns in Providenija festhielt, konnten wir diesen eng gesteckten Zeitplan nicht mehr einhalten, versuchten es dennoch und verloren dabei um ein Haar das Schiff.
Bei unserem jetzigen Versuch stehen uns allerdings auch andere Informationsquellen zur Verfügung. Anders als bei den vorangegangenen Fahrten, bei denen wir fast ausschließlich auf die recht dürftigen Eisinformationen der Russen angewiesen waren, sind wir jetzt unabhängig. Lars Kaleschke, ein junger Wissenschaftler von der Uni Bremen, hatte sich angeboten, uns per Satellit jeweils die neuesten Eiskarten zu übermitteln. Täglich bereitet er die Informationen auf, die er wiederum von Wetterbeobachtungssatelliten erhält, fertigt danach eine Karte für uns und schickt sie per E-Mail an Bord. Es ist bei weitem die genaueste Eisvorhersage, die wir jemals auf einer Expedition bekommen haben.
Darüber hinaus – und das ist vielleicht das Wichtigste – muss man trotz aller technischen Möglichkeiten seine Erfahrung und seinen Verstand gebrauchen. Die Auflösung der Eiskarten gibt keine Detailinformation preis. Man muss sie zu interpretieren wissen und die aktuelle Wetterlage mit in die Überlegung einbeziehen, bevor man sich ins Eis begibt.
Eisfahrten erscheinen mir immer wie ein Schachspiel. Indem man die Eisfelder erreicht, eröffnet man das Spiel. Das Eis macht den nächsten Zug. Mal verhalten, mal gutmütig, dann wieder aggressiv und unerwartet. Man ist ständig in der Defensive und rechnet immer mit dem Schlimmsten. Sollte man zumindest. »Ice is nice« heißt es so schön und ich kann dem nur zustimmen. Aber Eis ist auch tückisch und bedrohlich und verfügt über ein unglaubliches Zerstörungspotenzial. Dabei wirkt es immer harmlos und versucht einen in die Falle zu führen.
»So schlimm ist das doch alles gar nicht«, ist eine verhängnisvolle Geisteshaltung, weil sie einen leichtfertig und nachlässig werden lässt. Und dann schlägt das Eis plötzlich zu! Ich merke das besonders gut bei den Crewmitgliedern an Bord, die noch nie im Eis waren. Ulli, der die Expedition als Maler begleitet, kann es gar nicht abwarten, die ersten Eisfelder zu sehen. Dicht und gewaltig sollen sie sein, je dramatischer desto besser. Markus denkt ähnlich. Kaum kann er es abwarten, bis die ersten Eisfelder auftauchen. Die anderen sind je nach der Intensität ihrer Eiserfahrung verhaltener. Elise, die zwar genügend Eis gesehen hat und auch die eingefrorene DAGMAR AAEN kennt, hat die Bedrohlichkeit von Eispressungen noch nicht miterlebt. Achim, Katja und Torsten, die an der Ostküste Grönlands an Bord waren, sind da schon zurückhaltender, und Slava, Henryk, Brigitte und ich freuen uns über jeden Tag, an dem wir noch kein Eis vorfinden. Wir haben die umfangreichste Eiserfahrung. Ich bemerke auch, dass mein vorsichtiges Taktieren bei einigen auf Unverständnis stößt. »Wir sind doch hierher gesegelt, um ins Eis zu fahren«, bekomme ich zu hören.
»Wir sind nicht hier, um ins Eis zu fahren, sondern um durch die Nordostpassage zu segeln. Das ist ein Unterschied. Dabei müssen wir zwangsläufig durchs Eis hindurch. Aber suchen tue ich es ganz sicher nicht.«
»Falsch«, sage ich, »wir sind nicht hier, um ins Eis zu fahren, sondern um durch die Nordostpassage zu segeln. Das ist ein Unterschied. Dabei müssen wir zwangsläufig durchs Eis hindurch. Aber suchen tue ich es ganz sicher nicht.« Zumindest nicht auf dieser Expedition. Die Zielsetzung ist eine andere.
Die Eisverhältnisse in der Nordostpassage ändern sich von Jahr zu Jahr. Es gibt gute Jahre und es gibt schlechte. Das Problem beseht darin, rechtzeitig zu erkennen, in welche Richtung das Pendel ausschlägt. Da man eine Expedition von langer Hand planen muss, gibt es zu diesem frühen Zeitpunkt keinerlei Hinweise, wie sich die Eislage entwickeln wird. Man muss das Risiko auf sich nehmen, dass man ein ungünstiges Jahr erwischt. Die Wahrscheinlichkeit, dass man ein schlechtes Jahr erwischt, ist größer als die, an ein gutes Jahr zu geraten. Wie sich die aktuelle Eislage in einem Sommer entwickeln wird, lässt sich oftmals erst wenige Wochen vorher beurteilen. Die Möglichkeit, auf ein gutes Jahr zu warten um dann erst loszufahren, besteht also nicht. Daran hat sich seit den Zeiten von Eduard Dallmann oder Fridtjof Nansen nichts geändert. Allerdings gibt es in diesem Sommer Hinweise dafür, dass das Frühjahr im Norden Norwegens und auch in den angrenzenden russischen Gebieten ungewöhnlich warm und milde war. Das lässt zumindest hoffen. Vergleiche mit den Vorjahren zeigen uns, dass die Eisfelder weiter im Osten in dem Maße abnehmen, wie es in einem durchschnittlichen Jahr zu erwarten wäre. Ein durchschnittliches Jahr gibt uns zumindest eine faire Chance.
Seit wir Murmansk verlassen haben, sind uns mit Ausnahme einiger russischer Trawler keine Schiffe begegnet. Wir sind allein auf weiter Flur. Ich hatte bei unseren täglichen Besuchen bei der Murmansk Shipping Company versucht herauszufinden, warum die Eisbrecherflotte untätig im Hafen liegt. Warum gibt es kein Frachtaufkommen innerhalb der Passage? Neben dem Eisbrecher YAMAL, der seine alljährliche Nordpol-Kreuzfahrt unternimmt, sind offenbar nur zwei weitere Eisbrecher im Einsatz: die TAYMYR, die wir noch in Murmansk in der Werft gesehen haben, sowie die SOVIETSKI sojus, einer der großen 75.000 PS starken Atomeisbrecher. Letzterer sollte im Bereich der Karastraße liegen und dort Schiff, die zum Jenissei oder Ob wollen, durchs Eis geleiten. Einen Konvoi, der die gesamte Passage befährt, gibt es dieses Jahr nicht – wie auch schon in den vorangegangenen Jahren. Nach dem Grund befragt, ernten wir nur ein Schulterzucken – no comment!
So sieht Rainer Ullrich die Annäherung