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stürmische Wetter hält an, Murmansk gibt sogar eine Sturmwarnung aus. Um nicht bei Sturm und Seegang in die Eisfelder der Karastraße einzufahren, entschließe ich mich, in Lee der Kolgujev-Insel beizudrehen und auf eine Wetterbesserung zu warten. Einmal in den Eisfeldern drin, hat der Seegang keine Auswirkungen mehr, da das Eis die See glättet. Die Schwierigkeit besteht darin, erst einmal weit genug ins Eis zu gelangen, bis sich die See beruhigt hat. Davor geht es nämlich zu wie auf einem Verschiebebahnhof. Eisschollen werden von der Dünung hin- und hergeworfen, prallen aufeinander und ändern unberechenbar ihre Richtung. Bei einem Seegang von drei bis vier Metern spielen sich dabei spektakuläre Szenen ab. Wehe dem Schiff, das von einer surfenden Eisscholle gerammt wird! Wenn ich es vermeiden kann, warte ich ab und fahre bei günstigeren Verhältnissen ins Eis, so wie jetzt.

      Wir setzen Trysegel und Sturmfock und liegen bei. Sofort liegt das Schiff verhältnismäßig ruhig, wir gehen unter Deck und genießen die Ruhe. Als am nächsten Tag der Wind nachlässt, setzen wir wieder volle Segel und nehmen Kurs auf die Karastraße.

      Das Wissen um die Wetterentwicklung ist für die Durchfahrung der Nordostpassage äußerst wichtig, weil das Eis mit dem Wind driftet. Verfügt man also über eine verlässliche Prognose über die Wetterentwicklung der nächsten Tage, ist die Entscheidung darüber leichter, ob man ins Eis hineinfährt oder besser nicht. Ablandiger Wind treibt das Eis von der Küste fort und lässt dadurch eine eisfreie Rinne entstehen, auflandiger Wind schiebt das Eis und gegebenenfalls das Schiff auf die Küste – mit einem möglicherweise katastrophalen Ausgang. Der tägliche Wetterbericht des Deutschen Seewetterdienstes war für uns deshalb von größter Bedeutung. Sozusagen als Gegenleistung haben wir uns dazu verpflichtet, als Wetterbeobachtungsschiff zu agieren. Unter Martins Obhut wurden bis zu sechsmal täglich genaue Wetterbeobachtungen nach einer Vorgabe des DWD durchgeführt und anschließend über Inmarsat nach Hamburg durchgegeben. Die Daten fließen in einen Rechner ein und speisen die Wettermodelle mit entsprechenden Angaben. Da nahezu alle russischen Wetterstationen ihren Dienst eingestellt haben, fehlen von dort oben Messdaten, die wir jetzt liefern können. In komprimierter Form senden wir die Wetterdaten täglich auch noch nach Moskau in das Büro von Arthur Chilingarov, wie ich ihm das bei meinem Besuch in Moskau versprochen hatte. Auf einem relativ kleinen Schiff wie der DAGMAR AAEN nehmen die Messungen von Luft- und Wassertemperatur sowie Windrichtung und -geschwindigkeit, Taupunkt und Wolkenformationen, das Codieren und anschließende Versenden der Daten ziemlich viel Zeit in Anspruch. Zwischen dreißig und vierzig Minuten dauert der Vorgang. Trotzdem wird es durchgezogen.

      Am 1. August erreichen wir die Karastraße. Es herrscht rund um die Uhr Tageslicht, daher spielt es keine Rolle, dass wir uns dem Eis während der Nachtstunden nähern. Zu beiden Seiten taucht in der Ferne Land auf, im Norden zeigen sich die Umrisse von Nowaja Zemlja. Es ist strengstens verboten, sich der Insel zu nähern geschweige denn sie zu betreten. Es ist ganz sicher auch nicht ratsam, zumindest nicht, wenn einem an seiner Gesundheit etwas liegt. Auf dieser Insel haben die größten überirdischen Atombombentests der Geschichte stattgefunden. Die langgestreckte Insel – ursprünglich ein Naturparadies – ist im unteren Drittel von der so genannten Matoshin Shar durchbrochen. Dieser Fjord, der noch zu Dallmanns Zeiten Schutzhafen und Zugangsmöglichkeit zur Karastraße darstellte, ist heute offenbar hochgradig nuklear verseucht. Die größte jemals gezündete Bombe soll eine Sprengkraft von 50 Millionen Tonnen TNT gehabt haben, was der 4.000-fachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe entspricht – und es war offenbar nur eine von vielen. Das kontaminierte Terrain wartet immer noch auf eine Sanierung – sofern dies technisch überhaupt machbar ist. Die Region wurde zum Sperrgebiet erklärt, Informationen, wie es heute dort aussieht, unterliegen nach wie vor der Geheimhaltung. Lediglich der Norden der Insel soll offenbar unbelastet sein.

      Als wir diese riesige Insel mit ihren schneebedeckten Bergen und Tälern am Horizont auftauchen sehen, verfluchen wir einmal mehr die Leichtfertigkeit, mit der man ganze Landstriche verwüstet und sie für Generationen zu einer nuklearen Wüste verkommen lassen hat, in der es auf Dauer kein Leben geben kann.

      In der Karasee wurden in den Siebziger- und Achtzigerjahren zudem ungeheure Mengen an abgebrannten Kernbrennstäben versenkt, die auf Eisbrechern oder Marineschiffen verwendet wurden. Der erste nuklearbetriebene Eisbrecher LENIN hat dort gleich ganze Generationen seiner offenbar störanfälligen Reaktoren versenkt. Wo und in welchem Zustand sich der Atommüll heute befindet, ist ebenfalls ungewiss. Für ein Sanierungsprogramm fehlt offenbar das Geld und wohl auch die Einsicht zur Notwenigkeit. Und überhaupt, wohin mit dem Kram? Mehrere Jahrgänge von ausgedienten U-Booten und Reaktoren aus den zivilen wie militärischen Bereichen warten dort auf ihre Verschrottung. 1991 lagerten an Bord der im Hafen von Murmansk aufgelegten LENIN die Brennstäbe ganzer Reaktorgenerationen, sozusagen als Zwischenlager. Der ausgediente Frachter LEPSE soll angeblich noch heute als schwimmende Atommülldeponie dienen, ebenso wie die WOLODARSKIJ, ein anderer ausgedienter Frachter. Alles in unmittelbarer Nähe von Murmansk. Die Kernkraftwerke dieser Region würden in der westlichen Welt umgehend vom Netz genommen werden müssen, so marode sind sie. Was darüber hinaus noch in den geheimen und als absolutes Sperrgebiet ausgewiesenen Militärbasen wie etwa Seweromorsk lagert, weiß keiner. Darüber kann nur spekuliert werden.

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      »Die Stimmung an Bord ist ausgelassen, ›das ist ja alles gar kein Problem‹, lautet die Einschätzung. Eine Bewertung, die wenig später in aller Stille revidiert wird.«

      Die ersten Eisschollen, auf die wir treffen, werden mit großem Hallo empfangen. »Endlich Eis«, höre ich Elise jubeln, so als ob es sich um ein Geschenk des Himmels handeln würde. Ich merke, wie sich bei mir die alte Unruhe ausbreitet, die ich immer verspüre, wenn ich ins Eis fahre. Es ist eine Art der inneren Anspannung, wie sie ein Regattasegler vor dem Start empfindet. Die Konzentration wächst und alle Sinne werden geschärft, alles andere tritt in den Hintergrund.

      Tatsächlich sieht es großartig aus. In der niedrig stehenden Sonne zeichnet das Licht weiche Pastelltöne, die Ulli umgehend zu den Stiften und Pinseln greifen lässt. Ununterbrochen sitzt er an Deck und bringt die Stimmungen mit einer Intensität und einem Einfühlungsvermögen aufs Papier, dass wir nur staunen können. Seitdem er in Tromsø an Bord gekommen ist, malt Ulli jeden Tag, ganz gleich wie das Wetter ist. Sein Tagebuch, seine unglaubliche Begabung, Eindrücke zu sammeln und sie ins Bild zu setzen, versetzt uns alle immer wieder in Erstaunen. Im Laufe der Reise entsteht auf diese Art und Weise ein einzigartiges Dokument.

      Obwohl uns Murmansk die Empfehlung ausgesprochen hat, einen nördlichen Kurs durch die Eisfelder zu nehmen, wählen wir einen südlicheren, da unsere Eiskarten dort günstigere Verhältnisse ausweisen. Irgendwo weiter im Norden soll die SOVIETSKI sojus auf Station liegen, aber mit dem Eisbrecher haben wir ohnehin nichts zu tun. In Murmansk hatte man uns wissen lassen, dass uns jeder Tag, an dem uns ein Eisbrecher helfen würde, 44.0 US $ kosten würde. Wir hatten dankend abgelehnt.

      Die Karastraße ist der erste Flaschenhals, den wir passieren müssen. Die starken westlichen Winde der vorangegangenen Tage haben das Eis überwiegend aus der Enge geblasen, aber dahinter wartet es auf uns. Die Stimmung an Bord ist ausgelassen, »das ist ja alles gar kein Problem«, lautet die Einschätzung. Eine Bewertung, die wenig später in aller Stille revidiert wird. Fast glauben wir, die Eisfelder schon passiert zu haben, als es wirklich dicht wird. Das sorgt für Irritation – wieso? Irgendwo muss es doch einen Durchgang geben? – Gewiss, aber wo? Vom Mastkorb aus gesehen erstrecken sich vor uns riesige Eisfelder, die zwar immer wieder Streifen schwarzen Wassers aufweisen, die zugleich aber auch im Irgendwo enden. Das Eis treibt. Fahren wir dort hinein, droht es uns einzuschließen. »Fahre niemals in unübersichtliches Eis«, lautet eine alte Regel der Eismeerfahrer. Abwarten können wir aber auch nicht. Also was tun? Wie weit müssen wir nach Süden ausweichen – und gibt es dort vielleicht nicht auch noch Küsteneis, das uns den Weg versperren wird? Mit einem Mal weicht die ausgelassene Stimmung und Freude über das Eis einer gewissen Ernsthaftigkeit. Ständig steht jemand oben im Krähennest und sucht Schneisen. Vorn am Bug steht eine weitere Person und zeigt mit ausgestrecktem Arm dem Rudergänger die Richtung an, in die er steuern muss. Ich berate mich mit Martin und treffe die Entscheidung, noch weiter nach Süden auszuweichen, da vor uns alles dicht ist. Das alte Spiel hat wieder angefangen.

      Die DAGMAR AAEN trifft auf ein Eisfeld.

      Ein

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