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einer geschlossenen Stadt lässt sich das aber nicht in einem vertretbaren Zeitrahmen realisieren. Wir haben den 9. August, es ist höchste Zeit, weiter nach Osten zu segeln. Vor uns liegen das Nordenskiöld-Archipel und das berüchtigte Kap Tscheljuskin. 1992 waren wir genau dort gescheitert.

      Mitunter gibt es nur einige wenige Tage im Jahr, an denen man das Kap passieren kann, in anderen Jahren geht es gar nicht. Wir müssen zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle sein, oder wir riskieren den Erfolg der gesamten Expedition. Nach bisher drei Fehlversuchen haben wir unser Kontingent ausgeschöpft. Dieses Mal muss es klappen, oder wir wären endgültig an der Passage gescheitert. Schweren Herzens entschließen wir uns, Lars und Karsten nach Tiksi kommen zu lassen, was angeblich keine Probleme mit den Flügen bereiten soll. Wir werden sehen. Vorerst fehlen zwei Crewmitglieder. Das wiegt umso schwerer, als Karsten von Beruf Pilot ist und er unser Ultralight-Flugzeug polaris fliegen sollte, um Eiserkundungen durchzuführen. Gerade am Kap Tscheljuskin wäre uns das eine wichtige Hilfe. Lars sollte von Elise die Aufgabe des Smut übernehmen. Von jetzt an würden wir abwechselnd kochen müssen.

      »Ice is nice« lautet ein Wahlspruch der Eismeerfahrer. Der Faszination kann sich schwerlich jemand entziehen.

      Im

      Schatten

      der

      Vergangenheit

      NORDENSKIÖLD – ARCHIPEL

      •

      76° 45‘ N; 096° 0‘ E

      07

      Wenn es etwas gibt, was ich im Eis gelernt habe, dann ist es, Geduld zu üben.

      Ich schlage das Logbuch von 1992 auf. Nur wenige Stunden nach dem Auslaufen von Dikson am 24. August 1992 waren wir auf die ersten Eisfelder getroffen. Es sind knappe, lakonisch klingende Eintragungen, aus denen für den Außenstehenden nicht unbedingt die Ernsthaftigkeit der Situation ersichtlich wird. Aber ich lese zwischen den Zeilen: Dichte Packeisfelder voraus, navigieren nach Sicht und den Eisverhältnissen entsprechend. In der Rubrik Wetterbeobachtungen steht: Lufttemperatur: +1,4 °C, Seewasser +1,0 °C, Wind Nordost 22 Knoten. Ich entsinne mich noch gut. Wir waren damals froh und erleichtert, Dikson endlich verlassen zu können, aber das Wetter war alles andere als dazu angetan, große Freude aufkommen zu lassen. Die DAGMAR AAEN stampfte in der kurzen steilen See, der Himmel war grau und bedeckt und die Eisbrocken schaukelten bedrohlich in der kabbeligen See. Wie ein Rammbock zielten die tonnenschweren Eisklötze auf die Bordwand der DAGMAR AAEN. Es war Schnee in der Luft und die nasse Kälte drang uns durch Mark und Bein. Trotzdem waren wir frohen Mutes. Kurzfristig. Denn bereits am Nachmittag des 25. August mussten wir Schutz bei der Oleny-Insel suchen, da es zu gefährlich war, weiter ins Eis zu fahren. Am nächsten Tag fiel die Lufttemperatur auf −2,5 °C, der Wind legte auf über 40 Knoten zu. Die Luft war angefüllt mit einer Mischung aus Gischt und Schnee. An den Wantenbrettern, dem Rigg und den Niedergängen begann sich erste Vereisung abzuzeichnen. Die Wache war froh, wenn sie sich unter Deck zurückziehen konnte – selbst für die Nordostpassage waren das für diese Jahreszeit ungewöhnlich kühle und schlechte Wetterverhältnisse.

      Zehn Jahre später treffen wir auf völlig veränderte Witterungsverhältnisse: Die Lufttemperatur liegt bei moderaten +8 °C, das Seewasser bei +7,6 °C. Das ist ein riesiger Unterschied, insbesondere in Bezug auf das Seewasser. Das Meer ist frei von Eis. Wir passieren die Oleny-Insel und wenig später die Einfahrt in die Mikhailova Bay, eine große, gut geschützte Bucht, in der wir am 28. August 1992 erneut Schutz vor dem Eis suchen mussten. Bis zum 6. September konnten wir damals die Bucht nicht verlassen. Immer wieder hatten wir – sofern das Wetter es zuließ – mit unserem Ultralightflugzeug das Eis aus der Luft erkundet. Aber immer war das Ergebnis niederschmetternd gewesen: Es blieb wie es war – überall lag Eis. Die russische Verwaltung ließ jegliche Unterstützung vermissen, wir bekamen kaum brauchbare Informationen. Zwischenzeitlich hatte sich die Seewassertemperatur auf −1,5 °C abgekühlt. So genanntes Nilas, dünnes, elastisches Neueis bildete sich in der Bucht. Ständig mussten wir den Ankerplatz wechseln, da meterdicke Eisschollen auf das Schiff zutrieben. Das Hauptproblem für uns aber bestand darin, eine realistische Einschätzung der Eislage im Bereich Kap Tscheljuskin zu erhalten. Die Reichweite unseres Ultralights reichte für derart weite Erkundungsflüge nicht aus und von den Russen hörten wir lediglich ein stereotypes »Ihr müsst umkehren«. Man wollte uns einfach loswerden. Boris Volny, unser Eislotse, tat und sagte ohnehin stets das, was die Verwaltung von ihm erwartete. Satellitenbilder, wie wir sie heute haben, gab es damals noch nicht – zumindest nicht für private Unternehmungen.

      Die Eiskarten, die wir heute dagegen von Lars Kaleschke erhalten, sind unheimlich aussagekräftig, und ihr Inhalt lässt uns staunen: Es ist, als würden wir in einem völlig anderen Seegebiet unterwegs sein. Erst im Bereich des Nordenskiöld-Archipels müssen wir mit Eis rechnen – mit viel Eis. Aber bis dorthin ist das Meer frei. Ich kann es gar nicht glauben. Zu gegenwärtig sind die Bilder von 1992. Und noch einen weiteren Unterschied gibt es im Vergleich zu damals: Es sind außer uns keine Schiffe unterwegs. Weder Frachtschiffe noch Eisbrecher – das Meer ist wie leergefegt. 1992 hatten wir immer wieder Sicht- oder zumindest Funkkontakt mit Schiffen. Sie waren letztlich für uns die einzigen verlässlichen Informationsquellen bezüglich der Eislage gewesen. Heute scheint hier so gut wie keine Schifffahrt mehr stattzufinden.

      Dass wir 1992 überhaupt bis zum Nordenskiöld-Archipel gekommen sind, mutet fast wie ein kleines Wunder an. Immer wieder saßen wir zwischen mehrjährigen meterdicken Eisschollen fest. Anhaltend schlechtes Wetter und Temperaturen, die beständig unter dem Gefrierpunkt lagen, ließen jede Hoffnung auf einen erfolgreichen Durchbruch schwinden. Obwohl es damals laut russischer Vorhersage östlich der Mikhilova Bay für uns überhaupt kein Durchkommen geben sollte, gelang es uns immerhin bis zu diesem kritischen Punkt zu kommen. Dort war endgültig Schluss. Bei einem erneut aufziehenden Unwetter hatten wir seinerzeit mit einer Bugleine an einem Eisfeld unmittelbar vor der Prawda-Insel festgemacht. Zuvor waren wir die gesamte Eiskante abgefahren, mussten aber erkennen, dass das Eis im Nordenskiöld-Archipel in jenem Sommer nicht aufgebrochen war. Es war genauso geschlossen und undurchdringlich wie im Winter. Für uns bedeutete es das Ende unserer Träume. Der Plan von der Durchfahrung der Nordostpassage war auch im zweiten Jahr der Icesail-Expedition geplatzt.

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