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unter anderem eine Konferenz in Florida, von der sie wusste, dass er sich darauf freute. Wenn er selbst entschieden hatte zu verschwinden, dann konnte es jedenfalls nicht sehr lange geplant gewesen sein.

      Als Benedicte die Papiere auf dem Schreibtisch durchgesehen hatte, durchsuchte sie die Schubladen. Sie begann mit der untersten. Einige Ausgaben des Playboy und von Penthouse lagen sorgfältig versteckt unter anderen Papieren. Eigentlich doch recht unschuldig, fand sie und blätterte ein bisschen in dem obenauf liegenden Magazin. Ein paar junge Mädchen mit künstlichen Brüsten und rasierten Geschlechtsteilen. Wenn ihren Mann so etwas außerhalb des Ehebettes erregte, war es ja geradezu rührend. Sonst hatte sie den Eindruck, dass männliche Wesen immer eigenartigere Sexualinspirationen brauchten, damit er ihnen stand. Sie legte die Blätter zurück und durchsuchte die nächste Schublade. Nichts Auffälliges, konstatierte sie, nachdem sie in einer Mappe mit Weinetiketten geblättert hatte, die aus einer Zeit stammten, in der Martin zum Kenner werden wollte.

      Erst in der obersten Schublade fand sie etwas, das ihre schlimmsten Ahnungen bestätigte. Ganz hinten, unter einem Ordner mit Quittungen für den Steuerberater, lag ein zusammengefaltetes weißes A4-Blatt. Gewöhnliches Druckerpapier, etwas abgegriffen und zerknittert, als ob es schon häufiger aufgefaltet worden war oder viele lange Minuten in einer schweißfeuchten Hand zugebracht hätte.

      Benedicte hatte sich immer vorgestellt, dass ein anonymer Brief aus Buchstaben bestand, die aus Zeitungen und Magazinen herausgeschnitten wurden. Sie hatte es so oft in Fernsehserien gesehen und in Krimis gelesen. Die Realität indes war anders. Die Buchstaben dieses Briefes waren völlig neutral, so als würde es sich um einen Aushang auf der Toilette der Marketingabteilung handeln: »Bitte Klobürste benutzen!!! Deine Mutter arbeitet nicht hier!!!« Nur bestand dieser Brief nicht aus witzigen Klischees mit übertrieben oft gesetzten Ausrufezeichen. Er bestand aus drei Sätzen, ausgedruckt in der fantasielosen Computerschrift Arial:

      Was glaubst du, warum deine dämliche Frau bei Petax Karriere macht? Es hilft, den Chef zu ficken. Grüße von einem Freund.

      Benedicte lehnte sich zurück. Martin wusste also von ihr und Axel. Der Zettel war ebenso sprechend wie ein Abschiedsbrief. Jetzt wusste sie, was passiert war. Er hatte sich das Leben genommen, und es war ihre Schuld. Sie schämte sich wie nie zuvor. Sie schämte sich so sehr, dass die Scham beinahe sogar die Trauer überwog. Sie würde sich das niemals vergeben können. Und Anton durfte es niemals erfahren. Langsam und sorgfältig zerriss Benedicte den anonymen Brief in schmale Streifen.

      Samstag, 18. Dezember 2010

      11

      Dan Sommerdahl hatte die Weihnachtsgeschenke ausnahmsweise rechtzeitig gekauft. Eigentlich fehlte nur noch eines. Allerdings ist das auch am schwierigsten, dachte er und sah sich ein wenig verloren im vorweihnachtlichen Trubel um. Das Einkaufszentrum von Christianssund war voller schweißdampfender Menschen, die viel zu warm bekleidet waren. Man konnte die Luft in Scheiben schneiden.

      Dan schlenderte durch das Einkaufszentrum und starrte ohne jede Idee in die Schaufenster. Was schenkte man seiner Exfrau, die gleichzeitig eine Hin-und-wieder-Geliebte war und hoffentlich bald wieder mehr sein wollte als das? Kochgeschirr? Erinnerte zu sehr an eine Ehe. Parfüm? Sie benutzte immer dasselbe, da gab es keine Überraschungsmöglichkeiten. Kleider? Ein bisschen gefährlich, wenn man nicht sicher war, hundertprozentig den Stil und die Größe zu treffen. Unterwäsche? Ein etwas zu dick aufgetragenes Klischee. Bücher? Vielleicht, dachte er.

      Er wollte nur zu gern etwas absolut Einzigartiges finden. Etwas, worüber sie sich lange freute, das sie an ihn erinnerte – und durchaus auch daran, wie schön es sein könnte, wieder zusammenzuleben. Vielleicht war das etwas zu viel verlangt von einem einzigen Weihnachtsgeschenk.

      Dan schnitt eine Grimasse und arbeitete sich in Richtung Ausgang vor. Er hatte das unbedingte Gefühl, dass er in diesem Einkaufszentrum nicht das wirklich geniale Geschenk finden würde. Kälte schlug ihm entgegen, als er auf die Straße trat. Hastig verstaute er seine Einkaufstüten auf dem Gepäckträger, zog sich die dicken Lederhandschuhe an und die Mütze tief über die Ohren. Zum Teufel noch mal, ist das kalt, dachte er, als er aufs Rad stieg. Und bis zum Frühjahr dauerte es noch Monate.

      Er trat in die Pedale und fuhr relativ schnell durch die Stadt. Als er zur Hafenpromenade einbog, waren nur knapp zehn Minuten vergangen. Nicht schlecht, sagte er sich und schob das Fahrrad durch das Hoftor. Seit man ihm vor anderthalb Jahren sein nagelneues Mountainbike gestohlen hatte, ging er kein Risiko mehr ein und stellte das Rad immer im Hof ab.

      Er hatte gerade die Handschuhe ausgezogen und den Hausschlüssel aus der Jackentasche geholt, als zwei Männer auf ihn zukamen.

      »Gerner?«, freute sich Dan. Er stellte die Tüten ab und streckte eine Hand aus. Dan hatte bei mehreren Kriminalfällen geholfen, an denen auch Svend Gerner beteiligt gewesen war, und er mochte den ernsten, etwas umständlichen Mann, obwohl er nicht sicher war, ob die Sympathie erwidert wurde.

      Der Polizeiassistent Svend Gerner stellte ihm seinen neuen Partner vor, Thor Bentzen, der im Gegensatz zu dem großen und hageren Gerner eher vierschrötig wirkte. Jeans, dunkler Wintermantel, gefütterte Lederstiefel.

      »Hast du eine halbe Stunde?«, erkundigte sich Gerner.

      »Geht es um den Mord an Peter Münster-Smith?«

      »Ja.«

      »Ich habe mich schon gefragt, wann ihr auftaucht. Ich schließe nur schnell mein Fahrrad ab.«

      Kurz darauf saßen alle drei in Dans Wohnzimmer, auf dem Tisch stand eine Kanne Kaffee.

      »Genau das habe ich jetzt gebraucht«, sagte Svend Gerner und pustete in den brühend heißen Kaffee. Er hatte auf dem Finn-Juhl-Sofa Platz genommen, während Dan auf seinem Arbeitsstuhl saß, den er in den Erker gerollt hatte.

      »Du hattest am Donnerstag eine Sitzung mit Peter Münster-Smith von Petax Entreprise«, begann Gerner, und Thor Bentzen zog sein Notizbuch heraus. Er setzte sich ans andere Ende des Sofas.

      »Ja«, bestätigte Dan. »Wir haben um dreizehn Uhr eine Kleinigkeit miteinander gegessen und waren bis kurz vor drei zusammen.«

      »Wer hat noch an der Sitzung teilgenommen?«

      »Die Kommunikationschefin von Petax, Benedicte Johnstrup, war die ganze Zeit dabei, außerdem meine Kollegin und ich. Peter ist ab und zu rausgegangen. Aber das waren wir so von ihm gewohnt. Sein Handy klingelte ein paar Mal, außerdem fiel ihm irgendwann ein, dass er selbst jemanden anrufen musste, doch die meiste Zeit hat er sich an der Sitzung beteiligt.«

      »Wie heißt deine Kollegin?«

      »Katrine Danstrup. Sie ist mein AD.«

      »Entschuldige, dass ich so dumm frage«, warf Thor Bentzen ein. »Was ist das?«

      »AD? Das ist die Abkürzung für Art Director. Bei einer Werbekampagne ist ein Art Director für das Visuelle verantwortlich. Ich bin ja Texter.«

      »Ist sie bei dir angestellt?«

      »Ich arbeite für bestimmte Projekte mit ihr zusammen. Meine Firma besteht eigentlich nur aus mir. Den Rest überlasse ich Freelancern – von der Buchhaltung bis zur Medienplanung und der grafischen Produktion. Das klappt sehr gut, und ich bin nicht so in der Pflicht wie mit fest angestellten Mitarbeitern.«

      »Wo habt ihr eure Büros?«

      »Wir haben jeder eine Ecke in einer Bürogemeinschaft in der Garverstræde.«

      Svend Gerner übernahm: »Worum ging es bei der Sitzung?«

      »Um ein neues Erschließungsprojekt in Südfrankreich, zu dem wir einen Entwurf präsentiert haben. Die Aufgabe bestand in einer zweiphasigen Kommunikationsstrategie: Der erste Teil richtet sich an neue potenzielle Investoren und die französischen Behörden, in der zweiten Phase sollen Privatpersonen und Firmen angesprochen werden, sowohl dänische wie ausländische, um die fertigen Wohnungen zu kaufen oder zu leasen. Und das Ganze soll von einer großen Imagekampagne begleitet werden, die das Projekt

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