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bin viel zu ideal, das ist mein Hauptfehler.“

      „Ja, aber warum wollen Sie mir keinen Hut mehr machen? Das möcht’ ich wissen.“

      Denn die Rektorin war über diesen Punkt noch ebensowenig aufgeklärt, als wir es sind.

      „Alles wegen des Kindes, Madam Cabisius. Denn das Kind ist alles, was ich habe, und es soll glücklicher werden, als seine Mutter. Das sag’ ich immer: Lore, du sollst glücklicher werden als ich.

      Darum habe ich beschlossen, nach Tübingen zu ziehen. Madam Cabisius müssen nicht denken, daß es um meinetwillen sei. O nein, mir ist alles recht, mir ist’s auch in dieser kleinen Stadt recht, obgleich fast niemand Sinn für den höheren Geschmack hat, außer der Madam Cabisius, und — noch ein paar wenigen.

      Aber dort kann ich mich besser aufschwingen. Ich bin so sehr für den Aufschwung. Das sagte schon Maute immer, obgleich ich sonst nicht viel auf seine Meinung gebe: ‚Henriette, du bist viel zu schwunghaft.‘

      Er verstand mich nicht. Das hat uns getrennt.

      Dort kann ich einen Laden mieten und das bessere Publikum gewinnen. Und vielleicht nehme ich Studenten in möblierte Zimmer, später dann.“ Frau Maute sah in diesem Augenblick außerordentlich schwunghaft aus. Man sah ordentlich ihr Mutterherz durch die Falten ihrer geblumten Bluse scheinen. Denn das mit dem Laden und den möblierten Zimmern geschah ja nur des Kindes wegen, dem ein besseres Los bereitet werden sollte, und dem zuliebe die Mutter sich in jede verlangte Höhe zu schwingen bereit war.

      „Mutter, dein Haar,“ sagte Lore leise.

      Denn es hatte sich ein dünnes, rotblondes Zöpfchen unter den Spitzen des Morgenhäubchens vorgestohlen und wippte auf der geblumten Bluse auf und nieder, alle schwungvollen Bewegungen seiner Trägerin begleitend.

      „O, es ist mir nicht bange,“ sagte Frau Maute, und schob das Zöpfchen wieder an seinen Ort. „Ich kann mit allerlei Leuten verkehren. Wenn ich sonst nichts gelernt hätte, so hätte ich doch das gelernt. Und nun gar mit jungen Leuten. Wenn man selbst Mutter ist und das Leben kennt. Ich werde sie mütterlich beraten, meine Studenten, meine ich. Daran werden Madam Cabisius nicht zweifeln.“ „Madam Cabisius“ hatte wohl so ihre Zweifel, aber diese waren von einer Art, die hier nicht ausgesprochen werden konnte.

      Darum schwieg sie darüber und dachte nur im Stillen: „Ich bin froh, daß Gertrud nicht zu studieren hat. Mütterliche Beratung. Ich danke.“ Und dann bot sie ihren grauen Kopf her, um sich das werdende Kunstwerk ausprobieren zu lassen, und sah unter Samt und Spitzen hervor mitleidig auf das junge Kind, das zu seinem Besten an dem Aufschwung der Mutter teilnehmen sollte.

      „Soll mich wundern, was sie aus dem Mädchen macht,“ sagte sie zu sich selbst, als sie auf dem Nachhauseweg mit hochgehaltenen Röcken durch den Schmutz der Straßen stieg. „Einreden läßt sich da nichts. Nun ja. Mit ihren Hüten war ich immer zufrieden. Eine gelungene Person, das ist sie. Aber soll mich wundern, was sie aus dem Mädchen macht. Ein feines, kleines Ding ist das.“

      Und dann kam ihr mütterliches Herz ins Wallen.

      „Ich wollte doch,“ sagte sie, aber sie sprach nicht aus, was sie wollte. Vermutlich war ihr der Wunsch aufgestiegen, das „kleine, feine Ding“ zu behüten. Wovor? Da eilten ihre Gedanken weit voraus.

      Aber das war eigentlich nicht ihre Art so. Sie trat fest auf und machte rüstige Schritte, als sie über den gepflasterten Marktplatz ging. „Das lerne ich allmählich von ihm,“ sagte sie entrüstet zu sich selbst, „das Vorausdenken. Aber das ist nichts für mich. Braucht man mich etwa dazu? Ich meine, zur Weltregierung?“ Und sie schüttelte sich wacker unter dem Regenschirm und rief ihre sorgenden Gedanken zur Ordnung. Da kam sie hellen und heiteren Angesichts nach Hause und fand Gertrud, das Mädchen, das ihr zu gelehrt werden wollte, auf dem Treppengeländer reitend, daß die Zöpfe flogen. Sie sagte nichts darüber, wie sie an andern Tagen wohl getan hätte, und wußte auch warum.

       Inhaltsverzeichnis

      Kennt ihr das Geschlecht der Sonntagskinder?

      Es hat allerlei Namen. Man könnte es auch das Geschlecht der Schauenden nennen, oder der Horchenden.

      Es hat eine Gabe mitbekommen, die nicht alle haben, von dem Strom heimlichen Lebens zu wissen, der unter der Oberfläche aller Dinge hingeht. Die dazu gehören, die ahnen die wundersame Schönheit, die in die Welt gelegt ist, und lieben sie und horchen nach ihr hin. Und weil sie sich nach ihr sehnen, die Leben ist und Liebe, Licht, Freude und Werdekraft, so suchen sie sie überall.

      Im Grauen des Morgens, in der Glut des Mittags, im Wehen des Windes, im Zirpen der Grille im Grase.

      Im Lachen eines Kindes, in einem Männerzorn, in einer jungen, starken Menschenkraft, im Ringen der Leidenschaften, in tausend und tausend Regungen des Lebens vernehmen sie etwas von dem tiefen Grund, aus dem das Leben quillt.

      Und wenn ein Klang aus jener verborgenen Welt ihr Ohr streift, dann halten sie den Atem an und horchen still hinein.

      Manchem von ihnen ist es gegeben, in Tönen davon zu reden, manchem in Bildern, in der Glut der Farben oder in beredten Linien, manchem in Worten.

      Aber nicht allen. Es sind viele, die tragen den empfangenen Glanz still in sich herum und die Welt weiß nichts davon. Oft sind sie arm und unscheinbar, und oft macht sie die innere Fülle ungelenk, steif und wortarm nach außen. Aber was schadet das? Wer ihnen zu rechter Stunde in die Augen sähe, der sähe in einen tiefen See, in dem ein Schatz verborgen liegt.

      **

       *

      Der alte Korbmacher Hollermann war keiner von denen, die die Welt mit Harmonien füllen. Aber seine Seele war voll von einer Musik, die niemand gehört hatte, obgleich an warmen Abenden, wann die Fenster seines Häuschens offen standen, die Töne seiner Flöte, der ererbten Großvatersflöte, über die Äcker hin und über die Landstraße und zu den wenigen Häusern, die hier draußen an der Landstraße standen, hinflogen. Das, was aus der Flöte strömte, das war das, was an die Oberfläche drang. Aber wie wenig war das im Vergleich zum Ganzen. Wenn er so dasaß, mitten zwischen seinen Weidenkörben und Hühnerkäfigen, auf dem niedrigen Drehstuhl und in der grünen Schürze, mit hängenden Schultern und braunen, rissigen Händen, die die Flöte hielten, da sah ihm niemand an, daß er innerlich wunderbare Chöre hörte. Vielleicht waren sie wirklich, vielleicht tönten sie aus irgend einer Welt zu ihm herüber, wer vermag das zu sagen?

      Was er hervorbrachte, waren selten so eigentliche Melodien. Es war ein Reden in Tönen, vielleicht auch nur ein Stammeln. Es fragte ihn niemand danach und er sagte es zu niemand. Das heißt, das war seitdem so gewesen. Aber das sollte nun nicht länger so fortgehen. Die Jugend kam zu ihm herein unter das tief herabhängende Dach.

      Gertrud kam. Sie war einmal auf einem Spaziergang mit dem Großvater einen Augenblick eingetreten, hatte dem alten Hollermann bei der Arbeit zugesehen, hatte das Wetterhäuschen, aus dem der Kapuziner trat, wenn es schön Wetter wurde, bewundert, und die rankenden Kürbisse an der Hinterwand. Und da es ihr schien, als ob hier noch viel zu bewundern sei, so versprach sie das Wiederkommen. Das hielt sie auch. Als sie hier einigermaßen zu Hause war, brachte sie Georg mit. Der wurde es noch mehr als sie, und noch schneller. Das machte, daß er Meister Hollermanns Flötenspiel gehört hatte. Es war an einem Samstagabend gewesen. Die Kinder hatten über ihren Aufgaben gesessen, bis es dunkeln wollte. Dann hatte sie die Großmutter ins Freie gejagt: „jetzt geht! wollt ihr mir hier versitzen und mit sechzehn Jahren Brillen tragen?“

      Nein, das wollten sie nicht. Da gingen sie los. Die beiden Alten wandelten zwischen den Rabatten des Gartens hin und her, und die Kinder machten einen Streifzug. Durch den Baumgarten, da hingen kleine grasgrüne Äpfel in den Zweigen, es gab noch nichts Reifes; über den Lattenzaun, durch den trockenen Burggraben, da kamen sie auf freies Feld.

      „Jetzt besuchen wir den alten Hollermann,“ sagte Gertrud. Da liefen sie in langen Sätzen

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