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und Tanzlieder, und was die jungen Mädchen und Burschen singen, und Kirchenlieder. Und manchmal spielte er etwas, das kein Mensch verstand. Da mußte weinen, wer es hörte. Es war, als ob er etwas suche und das tat er auch. Er suchte das schönste Lied von allen; da hörte er hie und da einen Ton, aber er fand nie das Ganze.

      Darüber wurde er alt und grau und kam zu sterben. Er war aber ganz allein, denn, Georg, wer das will — aber das verstehst du noch nicht.

      Ja, und da klang es auf einmal irgendwo, und nun wußte er, daß dies das Lied sei, das einzige, das es gebe. Und er griff nach seiner Geige, und, so stark seine Hand zitterte, er konnte es doch spielen. Aber die Saiten zersprangen davon, eine nach der andern. Da starb er und das war auch ganz gut, denn sonst hatte er ja nichts gewollt. Und siehst du, darum denke ich, daß es einen Ort gibt, wo man das alles kann, was man in sich hat, weil es dem Geiger irgendwo her tönte, als er schon im Sterben lag. Und weil ihm die Seiten sprangen, als er es zu spielen versuchte, darum denke ich, es muß irgendwo bessere Geigen geben. Aber ich bin ein alter Mann, Bub. Ich bin begierig, wie alles wird, und ich denke, es wird irgendwie gut. Das ist alles, was ich so sagen kann.“

      „Das will ich alles auch lernen,“ sagte Georg und machte ein sehr entschlossenes Gesicht dazu. „Ja, das tu’ du.“ Der Alte war sehr einverstanden damit.

      „Ich kann dich das nicht lehren. Aber mein Großvater sagte, wenn er die Geschichte erzählte: ‚Das kann man einen überhaupt nicht lehren, wenn’s einer nicht in sich hat.‘ In großen Städten da haben sie Schulen dazu, dahin gehen die Leute, um das alles zu lernen. Ich meine, das Musikmachen und so was. Dahin gehen sie noch, wenn sie Männer sind. Ich hab’ schon solche gesehen mit Bärten, die gingen da hinein und lernten Musik machen. Den ganzen Tag Musik und nichts weiter. Das muß ein Leben sein, Bub. Wie im Himmel. Aber ich weiß nicht, ob’s die alle in sich haben.“ Da schlug sich der Bub aufs Knie, daß es schallte.

      „Dahin möcht ich auch,“ sagte er. „Was sagst du? Ganze Säle voll mit Orgeln und Klavieren und Geigen und Flöten? Dahin möcht ich auch.“

      **

       *

      Nun hatte er wieder ein Bild, das er sich abends beim Einschlafen vormalen konnte. Er steckte sich unter die Decke und hielt die Ohren zu, daß kein Laut von außen herein dringe. Und dann ließ er den Saal vor sich aufsteigen. Der war riesig groß, er wurde immer noch ein wenig größer. Und an den Wänden standen Orgeln, immer eine größer als die andere, mit blanken Pfeifen, und oben schwebte an jeder ein nackter Posaunenengel, denn solch einer war auch an der Wiblinger Kirchenorgel und Georg konnte sich keine Orgel denken ohne diesen Zierrat. In der Mitte des Saals aber standen Klaviere, die waren so schön wie das des Rektors Cabisius und waren alle aufgeschlagen. Da standen sie mit ihren schwarzen und weißen Tasten und vor jedem stand ein Stuhl. Menschen waren da nicht, und das war gut. Denn sonst hätte Georg sich nicht getraut, zu spielen. Aber das tat er nun. Heidi, wie seine Finger auf und nieder fuhren. Es war gut, daß er unter der Decke steckte, so konnte ihm niemand den kühnen Gedanken ansehen, der sich nun entspann: Er konnte es wahrhaftig noch besser als der Rektor.

      So, nun hatte er genug am Klavier. Da griff er nach einer der Geigen, die an den Wänden hingen, oder nach einer Flöte. Jagdhörner waren auch da. Trari, trara.

      Einmal, als er soweit war, vergaß er sich und tutete das Geheimnis über die Grenzen seines Bettes hinaus.

      Da brachen merkwürdige Töne unter der schweren Federdecke hervor wie ein unterirdisches Donnerrollen.

      Jungfer Liese, die in der anstoßenden Stube saß und Strümpfe stopfte, kam herein und zog ihm das Deckbett ein Stück weit hinunter. Es sei kein Wunder, wenn einer schwer träume, sagte sie. Wenn man sich dermaßen begrabe.

      Und Franz, der am Einschlafen war, warf sich herum und beklagte sich. „Da soll einer schlafen können,“ sagte er. Franzens Schlaf aber war heilig.

      Denn er war nun Bäckerlehrling seit Ostern, das war drei Monate her. Und er mußte aus den Federn, eh’ der Tag graute. Er wollte das auch. Er wollte später die Bretzel, die über der Ladenstaffel schwebte, neu vergolden, und wollte alles tun, was sich für den Hauptsprossen der Ehrenspergersfamilie gehörte.

      Da beugte sich Jungfer Liese über das Bett des jüngeren Sohnes, und wisperte ihm mit gedämpfter Entrüstung mahnende Worte zu. Der aber hielt die Augen geschlossen und atmete tief und lang und tat, als ob er schliefe, bis der wache Traum in einen wirklichen überging.

      Darin ging er mit dem alten Hollermann über ein flaches Feld, das sich weit und breit dehnte. Es wehte leise in der Luft, rings, so weit das Auge ging, wogte ein Meer von braunem, goldig glänzendem Heidegras, das rauschte so sachte, als ob es am Einschlafen sei. Fern am Horizont, wo die Sonne versunken war, standen die Höhen in rotem und violettem Glanz, und leuchtende Wolken mit Gold- und Purpursäumen zogen darüber hin und entschwanden, eine nach der andern.

      Da fing der alte Hollermann an zu singen, und hatte ein so glänzendes Gesicht dabei, als ob auch er in das Licht der Sonne getaucht sei.

      Georg verwunderte sich weder über das eine, noch über das andere, obgleich er ihn noch nie so gesehen oder gehört hatte. Das mußte nun gerade so sein.

      Es war aus einem alten Kreuzfahrerlied, was Meister Hollermann sang. Georg hatte es einmal irgendwo gehört, er wußte nachher nicht mehr wo.

      „Alle die Schönheit

       Himmels und der Erden

       Ist verfaßt in dir allein.“

      „Ist das nun das rechte Lied?“ fragte der Georg. „Ja,“ sagte der Alte und bog den Kopf vor, um zu lauschen, „hörst du, wie alles mitsingt, ringsumher?“

      „Wer?“ aber er erhielt keine Antwort mehr.

      Das Feld dehnte sich weit und weiter und wurde grau und still. Und der Traum versank; und Georg versank in die Tiefen eines jungen, festen Schlafes.

       Inhaltsverzeichnis

      Es war ein Spätnachmittag im Frühherbst.

      Die Sperlinge schwirrten mit viel Geschrei um das Weinspalier her. Das war an der Südwand des Rektorhauses, die nach dem Garten geht. Es war nicht viel für sie zu holen, es war ein feines, dichtes Netz über die Trauben gezogen. Da hatte es eine Lücke und dort eine. Aber was waren die paar Beeren für solch eine Schar? Das war gerade genug, um den Appetit zu reizen. Aber darum konnten sie es doch nicht lassen, schimpfend hin und her zu schwirren. Sie hielten lange Reden darüber, daß es nicht recht zugehe auf der Welt? Was? Nun waren die Trauben unbedeckt geblieben, so lang sie hart und grün waren, und wurden nun unter das Netz gesteckt, da sie täglich weicher, süßer und reifer wurden?

      Drüben im Obstgarten standen die Bäume voll reifender Äpfel. Schwer hingen die Äste herunter, sie vermochten kaum ihre Last zu tragen. Warum wurden nun diese nicht mit einem Schleier überzogen? Danach hätten die Sperlinge nicht gefragt; die Äpfel mochten ruhig reifen und zur Erde fallen, sie rührten keinen an. „Aber gerade das bißchen, was wir gern hätten, das mißgönnen sie uns,“ sagte ein alter, dicker Spatz und hüpfte schwerfällig und ärgerlich auf den Syringenbusch, von dem man die beste Aussicht auf das Weinspalier hatte, und die andern schrieen ihm Beifall.

      Da ging die Gartentür und drei Kinder kamen herein. Die Sperlinge kannten sie wohl, sie waren hier täglich zu sehen. Der lange, magere Bub, der so oft stand und die Hände in den Taschen hatte und in die Luft sah; das starke, bräunliche Mädchen mit den langen Zöpfen, und das kleine, feine rothaarige, dem die jungen Spatzen gern die Augen ausgepickt hätten, weil sie aussahen, wie reife Kirschen.

      Die gingen nun auch an das Weinspalier. „Seht ihr, seht ihr,“ riefen die Krakehler unter den Spatzen. „Die nehmen sich, was unser ist. Das ist Raub, das gehört in die Chronik.“ Aber die Kinder kümmerten sich keinen Augenblick um das Spatzengeschrei. „Eine für uns drei miteinander,“ sagte Gertrud. „Ich sag’s nachher der Großmutter, ich nehm’ sie nicht

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