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das seltsam-geheimnisvolle Buch ein.

      Sie genossen es aber, da sie sich mehr an die Bilder hielten, die das Buch durchzogen, wie ein Märchen oder eine Sage und überschlugen die langen Gespräche und die Belehrungen und gingen mit Christ, dem Wanderer, durch all die Schrecknisse seines Weges. Und steckten einträchtig die Köpfe zusammen über dem Bild, da er zwischen den aufspringenden Löwen hindurchging, und dem, da er lag und schlief und sich ihm ein Gewappneter nahte mit gezücktem Schwert.

      Und atmeten tief auf, als er sich des Schlüssels erinnerte, der ihm und seinen Gefährten die eiserne Tür im Schloß des Riesen Verzweiflung auftat.

      Und als sie das Buch wieder zumachten, waren sie so froh wie vorher und keiner der düsteren Schatten war auf ihren Weg gefallen, und als sie anfingen, davon zu reden, wie es später kommen werde, da sprach das Buch nicht mit.

      Denn das, was sie bis jetzt vom Christentum gesehen hatten, das trug freundliche, liebreiche Züge und hatte keine Schrecken und keine Finsternisse.

      „Und daran sieht man,“ sagte der Rektor Cabisius, als er mit seiner Frau beim sinkenden Abend durch den Garten ging und die kleine Gesellschaft beieinander und das Buch neben ihnen fand, „daran sieht man, daß die Kinder wahrhaftig im Himmelreich leben, da sie mit den gewaltigen Mächten, vor denen die großen Leute erbeben, umgehen, als seien es Riesen und Drachen eines Märleins.“

      **

       *

      „Also, wenn du dann ein Student wirst, dann kommst du nach Tübingen. Da fangen wir wieder alles von vorne an,“ sagte Lore. „Das wird fein.“

      Georg nickte ihr zu. Er hatte sich die Hände unter den Kopf geschoben und lag der Länge nach im Grase.

      Durch die Lücken zwischen dem grünen Geäste des Baumes sahen kleine, schimmernde Fleckchen des blauen Septemberhimmels herein, nach denen sah er hin, als ob seine zukünftige Geschichte da geschrieben stände. Das war sicher, daß unendlich viel Schönes in der Zukunft lag. Dies oder anderes, es würde sich schon finden, was.

      „Ich will Musik machen lernen, das ist die Hauptsache. Sonst ist mir’s einerlei.“ Das sagte er seit einiger Zeit immer. Es ging nicht mehr so klipp und klar mit der Gleichheit, wie sonst, zu Gertruds Kummer. Was hatten sie für gemeinsame Pläne gemacht. Die verflogen nun so sachte und neue traten an ihre Stelle, die nicht mehr zu teilen waren. Das heißt, sie beredeten alles miteinander. Aber nun hieß es: ich will das und jenes tun. Und zuvor hatten sie immer gesagt: Das wollen wir.

      „Ich geh’ in die weite Welt,“ sagte Georg, denn er dachte an jenen Geiger, der das schönste Lied suchte.

      Sie aber nahm seine Knabenträume für feste Entschlüsse und erschrak sehr.

      „In die weite Welt? Dann kommst du wohl nie wieder?“

      „Ich weiß noch nicht, vielleicht.“

      Er sagte es sehr gleichmütig. Aber als er ihren Schreck sah lenkte er ein.

      „Doch, ich denke, ich kann es einrichten, Gertrud. Ach, ich weiß noch nicht, es hat noch Zeit, das alles.“

      Seine Wünsche lagen noch in der Morgendämmerung und wogten, aufsteigenden Nebeln gleich, durch seinen Sinn. Bald nahmen sie dies Bild an, bald jenes.

      Man würde schon sehen, was an ihnen war, je mehr der Tag heraufstieg.

      Gertrud saß und legte ihren Arm um Lore.

      „Ach, du kleines Ding,“ sagte sie. Und sagte es weich und mütterlich, so mit einem Ton, als ob sie Lores Großmutter wäre. Nein, ihre viel ältere Freundin; und sie war doch gleichen Alters.

      Sie war nur geistig weit mehr entwickelt, und sie hatte auch von Haus aus eine viel tiefere, schwerfälligere Art. Sie konnte nichts obenhin nehmen, so stark und tief sie Freude und Schmerz empfand. Sie mußte immer alles ganz erleben, schon als Kind.

      Und das Mütterliche, das den echten Frauennaturen angeboren ist, das regte sich stark in ihr. Aber sie wußte nicht, was es sei. Sie liebte nur alles Zarte, Kleine, und alles, was irgend der Hilfe bedurfte.

      Ja, und das Schöne, das liebte sie auch.

      Aber es focht sie heute noch nicht an, daß sie selber nicht schön sei. Sie dachte nicht von ferne daran.

      Wenn die beiden Mädchen in den nächsten Jahren so nebeneinander herangegangen wären, wie bisher, so hätte es sich, noch mehr als schon jetzt, geoffenbart, daß ihre Wege auseinandergingen.

      Es hätte keiner äußeren Trennung bedurft. Denn sie waren von ganz verschiedener Art. Aber nun, da sie schieden und Lore in all’ ihrer frischen, feinen Schönheit dahinging, und aussah, wie ein Schmetterling, der soeben auf die erste Blüte geflogen ist und noch den ganzen Schmelz auf seinen Flügeldecken hat — nun wallte es in Gertrud warm und stark auf: „ach, du kleines Ding.“

      Das mochte Lore gern. Sie schmiegte sich an, wie ein Kätzchen.

      Da raschelte etwas an dem Lattenzaun, der den Garten vom Stadtgraben trennte.

      Als sie aufsahen, schwang sich Franz Ehrensperger daran in die Höhe und kam mit einem Satz herüber in den Rektorsgarten. „Jetzt kommt der,“ sagte Lore und setzte sich zurecht, und streckte ihre zierliche Gestalt, so gut sie konnte und sah sehr würdevoll aus.

      Er war in Hemdsärmeln und trug sie aufgekrempelt bis über die Ellbogen, wie das ein richtiger Bäckerjunge tut, und hatte eine weiße Schürze an, die leuchtete durch die Bäume vor großer Sauberkeit. Als er näher kam, sah man, daß er ein Paket in den Brustlatz der Schürze gesteckt hatte. Aber die Gesellschaft unter dem Süßapfelbaum erfuhr nicht, was darin sei.

      „Da bin ich,“ sagte er, und stemmte die Arme in die Seite.

      „Das sieht man,“ sagte sein Bruder.

      „Ich muß jetzt heim, es wird dunkel.“

      Damit stand Lore auf, und Gertrud tat ihren Arm um sie, wie sie pflegte, wenn sie ihr das Geleite gab bis zu dem Brunnen vor der Haustür.

      „Jetzt, wenn ich komme gehst du?“ Franz tat ein wenig beleidigt.

      „Hättest halt früher kommen sollen.“

      Lore konnte nicht wenig schnippisch sein, wann sie wollte, und wann sie mit Franz redete, wollte sie das zuweilen.

      Dafür hatten die beiden andern kein Verständnis.

      Aber Franz lachte nur.

      „Racker,“ sagte er. „Früher kommen, das kannst du leicht sagen. Und überhaupt, weiß ich, daß du da bist?“

      Er hatte es wohl gewußt, aber das brauchte er ja nicht zu gestehen. „Es ist einerlei. Wenn du doch gehst, ich muß auch in die Kirchgasse, ich — ich muß den Schneider Butz etwas fragen; er hat meine Sonntagshosen. Da können wir ja miteinander gehen. Dann komm.“ „Erst muß sie noch der Großmutter adieu sagen.“ Da führte Gertrud das Mädchen ins Haus, und umschlang sie im dunkeln Hausflur und küßte sie. „Ach Lore, jetzt gehst du. Schreib’ auch, hörst du’s?“

      Und die Frau Rektorin kam aus der Küche und trocknete sich die Hände an der Schürze ab, und trocknete sich nach einer kleinen Weile auch die Augen an derselben Schürze.

      „So behüt dich Gott, lieb’s Kind,“ sagte sie, und gab ihr auch einen Kuß. „Sag’ deiner Mutter einen Gruß. Und sie soll dich nicht so — ach nein, du brauchst ihr nichts zu sagen. Es geschieht doch, was geschehen soll. Behüt dich Gott.“

      Und Lore schluchzte auf einmal heiß und heftig und wußte nicht recht, warum. Und stellte sich auf die Zehen und legte ihre weißen Arme um Gertruds Hals.

      Aber das ging schnell vorüber.

      Draußen, an der Hausstaffel, stand Georg und bot ihr die Hand, etwas tapsig und ungeschickt, und tat, als ob es nur ein Abschied bis morgen wäre. „Gut Nacht, Lore,“ sagte er.

      Da lachte sie hell auf. „Sonst weißt du nichts?“ sagte sie.

      „O

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