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sein mußte – jetzt wußte er es sicher. Natalie sah aus wie der Tod. »Sollen wir zusammen essen gehen?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Ich bekomme heute keinen Babysitter mehr, und ich würde ohnehin lieber zu Hause bleiben. Komm zu mir, ich koche eine Kleinigkeit. Gegen acht? Dann schläft Kati schon.«

      »Ich will nicht schlafen, wenn Onkel Clemens kommt!« maulte Ann Kathrin. »Immer schickt ihr mich ins Bett!«

      »Nicht immer, aber heute«, erwiderte Natalie, und sie sagte es in einem so bestimmten Ton, daß ihre Tochter kein weiteres Wort des Widerspruchs mehr wagte. »Bis nachher, Clemens. Danke, daß du Kati abgeholt hast.«

      »Keine Ursache, hab’ ich gern gemacht, das weißt du doch. Bis nachher.« Er sah den beiden nach, wie sie über den Parkplatz zu Natalies Wagen gingen. Furcht kroch in ihm hoch, es mußte etwas Schreckliches passiert sein, wenn Natalie so verändert war. Wie sollte er die Ungewißheit nur bis acht Uhr aushalten?

      Er stieg wieder in seinen Wagen, legte eine Kassette mit Jazzmusik ein und versuchte, sich von den vertrauten Melodien aus dem Hier und Jetzt wegtragen zu lassen, was ihm nach einiger Zeit auch gelang.

      *

      »Also, was wolltest du von mir?« erkundigte sich Dr. Adrian Winter bei Thomas Laufenberg, dem Verwaltungsdirektor der Kurfürsten-Klinik in Berlin-Charlottenburg, als er dessen Büro betrat. Adrian war der jüngste Chefarzt der Klinik, er leitete deren Notaufnahme, die eine der größten des Landes war – und zugleich eine der berühmtesten, was nicht zuletzt an Adrians Arbeit lag.

      Mit Thomas Laufenberg hatte er sich nach anfänglichen Reibereien angefreundet und zwar ganz unabhängig davon, daß Thomas vermutlich sein Schwager werden würde. Adrians Zwillingsschwester Esther hatte sich in den charmanten Verwaltungsdirektor verliebt, der in seiner Freizeit gelegentlich als Jazzpianist in ausgesuchten Berliner Lokalen auftrat.

      »Es geht um diesen Arzt aus den USA«, erwiderte Thomas. »Du weißt schon, Dr. Bacharach, den Neurochirurgen, der kürzlich diesen aufsehenerregenden Artikel veröffentlicht hat, über den jetzt so viel diskutiert wird.«

      »Ich habe den Artikel gelesen«, erwiderte Adrian. »Sehr interessant, was der Mann schreibt – ich würde ihm gern einmal bei einer Operation über die Schultern sehen. In manchem sind uns die Amerikaner einfach immer noch voraus. Ich finde zwar unser Gesundheitswesen deutlich besser als das amerikanische, wo arme Leute häufig durch das Raster fallen und sich eine vernünftige Behandlung finanziell nicht leisten können – aber was die medizinische Forschung betrifft, da können wir zumindest auf einigen Gebieten von ihnen noch viel lernen.«

      »Ich habe Kontakt zu Dr. Bacharach aufgenommen«, warf Thomas ein.

      »Was sagst du da?« rief Adrian verblüfft. »Und das erzählst du so lässig?«

      »Ich weiß mittlerweile, wie ich es anstellen muß, um dich zu beeindrucken.« Thomas lächelte. »Hätte ich gesagt: ›hör mal, ich muß dir was Sensationelles erzählen‹, hättest du vielleicht noch was Tolleres erwartet und wärst enttäuscht gewesen.«

      »Sag schon – wieso hast du Kontakt mit ihm aufgenommen?« drängte Adrian.

      »Ich hatte gehört, daß er nach Berlin kommt, um hier einen Vortrag zu halten«, begann Thomas. »Und da habe ich ihn angeschrieben, ganz nebenbei erwähnt, was für ein tolles Krankenhaus wir hier sind und ihn gefragt, ob er bereit wäre, mit ein paar unserer Chirurgen an einem Abend für ein paar Stunden zu diskutieren – über seine neue Operationstechnik, seine Erfahrungen und so weiter.«

      »Und?« fragte Adrian gespannt. »Hat er geantwortet?«

      »Nicht nur das.« Jetzt klang Thomas’ Stimme triumphierend. »Er hat sogar zugesagt! Wie findest du das?«

      »Ich bin platt!« gestand Adrian. »Gute Idee von dir, Thomas.«

      »Ja, nicht?« Thomas lächelte zufrieden. »Ich finde mich auch nicht schlecht, muß ich sagen.«

      »Wann kommt der Mann denn?«

      »Irgendwann in den nächsten Wochen, das steht alles noch nicht fest, aber ich wollte es dir vorab schon einmal sagen, damit du dich innerlich auf diese Begegnung einrichtest.«

      »Aber ich bin kein Neurochirurg«, gab Adrian zu bedenken. »Wäre es nicht besser, ihn nur mit Kollegen der gleichen Fachrichtung diskutieren zu lassen?«

      Jetzt grinste Thomas über das ganze Gesicht. »Das Allerbeste habe ich mir natürlich für den Schluß aufgehoben. Du wirst es nicht glauben, Adrian, aber Dr. Bacharach hat ausdrücklich darum gebeten, dich kennenzulernen. Er hat deine Artikel zur Notfallchirurgie gelesen und wünscht sich nichts sehnlicher als einen fachlichen Gedankenaustausch mit dir. Ich glaube, wenn ich deinen Namen nicht in meinen Brief eingeflochten hätte, wäre er meiner Bitte vielleicht nicht so bereitwillig nachgekommen.«

      »Du übertreibst«, wehrte Adrian leicht verlegen ab.

      »Nein, das tue ich nicht!« Thomas war jetzt ganz ernst. »Manchmal denke ich, du weißt gar nicht, wie bekannt du bist!«

      »Hör auf!« rief Adrian. »Willst du mich eingebildet machen?«

      »Ach, ich denke, diese Gefahr besteht nicht«, meinte Thomas.

      »Kann ich mit den anderen darüber reden oder soll das noch geheim bleiben?«

      »Mit Julia Martensen und Bernd Schäfer kannst du reden – sie müssen es ja noch nicht überall verbreiten. Ich will lieber erst einen festen Termin mit Dr. Bacharach haben, bevor ich offiziell darüber rede, verstehst du?«

      Adrian nickte und ging zur Tür. »Danke, daß du’s mir jetzt schon verraten hast – das war eine wirklich nette Überraschung. Sie wird mir den Abend versüßen.«

      »Das war der Sinn der Sache! Gehst du jetzt nach Hause?«

      »Zum Glück, ja. Frau Senftleben hat mich zum Essen eingeladen...«

      »... wie so oft«, meinte Thomas. »Deine Nachbarin ist wirklich besser als ein Sechser im Lotto, scheint mir.«

      »Ganz sicher ist sie das. Ich werde ihr berichten, daß du das so einschätzt, es wird sie freuen.« Mit diesen Worten zog Adrian die Tür endgültig hinter sich zu und lief vergnügt pfeifend zum Ausgang.

      *

      »Also, Natalie«, sagte Clemens, »was ist los? Bitte, spann mich nicht länger auf die Folter!«

      Sie hatte lange überlegt, ob sie ihm die ganze Wahrheit sagen sollte. Es wäre so einfach gewesen, sie ihm zu verschweigen – sie mußte ihm nur sagen, daß sie nun doch bereit war, ihn zu heiraten. Das »Warum« spielte ja eigentlich auch gar keine Rolle. Aber er hatte Ehrlichkeit und Respekt verdient. Sie konnte ihm jetzt keine Gefühle vorspielen, die sie nicht hatte, nur damit sie ihr Ziel erreichte. Sie mußte ihm die Wahrheit sagen, alles, was sie wußte. Nun, fast alles. Und ihn dann um seine Hilfe bitten. Er würde sie ihr nicht versagen.

      »Iß!« bat sie. »Ich rede ja gleich, es ist nur so schwierig, einen Anfang zu finden.«

      Er tat ihr den Gefallen und begann zu essen, obwohl die Aufregung und die Angst vor dem, was da folgen mochte, ihm die Kehle zuschnürten und ihm jeglichen Appetit genommen hatten.

      Endlich sagte Natalie: »Ich habe einen Hirntumor, Clemens. Genauer gesagt: ein Hämangiom.«

      Er ließ die Gabel sinken, ihm wurde schwindelig. In ihrem Gesicht suchte er nach einem Anhaltspunkt für einen Trost, doch er fand keinen. Ihre Augen waren dunkler als sonst, ihre Züge starr, verkrampft.

      »So ein Tumor ist schwer zu operieren – das heißt, wenn ich mich in die Hände eines Chirurgen begebe, riskiere ich bleibende Schäden. Die Gefahr, das Hirn zu verletzen, ist außerordentlich groß.«

      Er legte das Besteck endgültig zur Seite, denn natürlich war nach dieser Neuigkeit an Essen nicht mehr zu denken. Er stand auf und ging neben Natalies Stuhl in die Hocke. Mit beiden Armen umschlang er sie und sagte hilflos: »Wenn ich wüßte, was ich für dich tun kann,

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