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Lauf lassen und sich ihren Kummer von der Seele weinen – doch der Augenblick ging vorüber. Sie versteifte sich wieder, löste sich von ihm und sagte sachlich: »Du kannst etwas für mich tun. Deshalb habe ich dich heute eingeladen. Ich möchte dich um etwas bitten.«

      Er stand auf, blieb noch einige Sekunden unschlüssig neben ihr stehen, aber ihr Gesicht war wieder so starr, daß er keine zweite Umarmung wagte. Also setzte er sich wieder ihr gegenüber und sah sie fragend an.

      »Heirate mich, Clemens«, bat sie. »Heirate mich, damit ich sicher sein kann, daß Kati in guten Händen ist, wenn ich... wenn ich nicht mehr da bin.«

      Er schluckte. Mit allem hatte er gerechnet, nur damit nicht. Wie oft hatte er schon davon geträumt, daß Natalie eines Tages doch bereit sein würde, ihn zu heiraten – und nun war sogar sie es, die ihn darum bat. Aber es war keine Liebe zu ihm, die sie zu diesem Schritt getrieben hatte, sondern Liebe zu ihrem Kind.

      Und viel schlimmer noch als das: Sie war krank. Sehr, sehr krank. Der Gedanke, sie vielleicht bald zu verlieren, brach ihm fast das Herz. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, und ihm wurde übel. Er mußte sich zwingen, langsam und bewußt zu atmen, um seinen revoltierenden Magen zu beruhigen. Ganz allmählich nur ebbte die Übelkeit ab.

      »Ist das sicher, daß der Tumor nicht operabel ist?« fragte er. »Wie viele ärztliche Meinungen hast du dazu gehört?«

      »Zwei«, antwortete sie. »Die der Ärzte aus der Röntgenpraxis und die meines Hausarztes. Er ist operabel, Clemens – aber das Risiko ist sehr hoch. Ich kann dieses Risiko nicht eingehen. Jedenfalls jetzt nicht.«

      »Was soll das heißen: Jetzt nicht?« fragte er. »Es wäre doch sicher besser, sich so schnell wie möglich operieren zu lassen und das nicht hinauszuschieben, selbst wenn es ein Risiko ist. Immerhin hast du dann eine Chance!«

      Sie hatte ihr Gesicht abgewandt, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. »Ich bin noch nicht so weit«, erklärte sie hastig. »Und was soll Kati mit einer Mutter, die vielleicht nicht mehr richtig denken kann? Oder die eine andere schwere Behinderung davonträgt, die ich mir gar nicht ausmalen möchte? Bitte, Clemens, laß mich jetzt nicht im Stich. Ich weiß keinen Menschen, zu dem ich mehr Vertrauen habe als zu dir. Ich weiß, daß ich viel von dir verlange, aber ich schwöre dir, daß ich sonst keinerlei Ansprüche an dich stellen werde.«

      »Hör auf«, bat er und legte seine Hand auf ihren Arm. »Hör auf, Natalie, es tut mir weh, wenn du so redest. Du weißt, daß ich dich liebe. Ich würde alles für dich tun, alles. Auch das weißt du.«

      »Entschuldige.« Sie ließ den Kopf hängen und wieder bröckelte der Schutzpanzer, unter dem sie ihre Verzweiflung verbarg. Als sie den Kopf endlich hob und ihn ansah, bemerkte er, daß ihre Augen voller Tränen waren. »Es tut mir leid, Clemens«, flüsterte sie. »Ich weiß, daß du gehofft hast, eines Tages würde ich vielleicht das Gleiche für dich empfinden wie du für mich...«

      Sie wischte sich mit einer hastigen Geste über die Augen. »Vielleicht... vielleicht wäre dein Wunsch ja auch in Erfüllung gegangen, es gibt wirklich niemanden außer Kati, den ich lieber habe als dich. Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr, verstehst du? Ich muß alles regeln, bevor es zu spät ist. Wirst du mir helfen?«

      Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. »Natürlich werde ich das«, sagte er und schaffte es irgendwie, seine Stimme fast heiter klingen zu lassen. »Hör mal, es ist, wie du sagst: Ich wollte dich immer schon heiraten. Du glaubst doch nicht, daß ich mir diese Gelegenheit entgehen lasse!«

      Sie lächelte unter Tränen, dankbar für seinen Takt. »Das vergesse ich dir nie.«

      Er drückte ihre Hand. »Wirst du es Kati sagen? Daß du krank bist, meine ich?«

      »Irgendwann schon, aber nicht sofort. Wenn ich mich ein wenig beruhigt habe, werde ich noch einmal mit Dr. Scholz reden. Aber davon unabhängig möchte ich so schnell wie möglich heiraten, Clemens. Erst dann werde ich mich besser fühlen.«

      »Natürlich«, sagte er. »Ich kümmere mich um alles, überlaß das mir. Nur deine Papiere brauche ich.«

      »Wie lange wird das dauern?« fragte sie ängstlich.

      »Ich sehe zu, ob ich die Dinge nicht ein wenig beschleunigen kann«, antwortete er. »Denn ich nehme ja an, du möchtest nicht mit mir in eins dieser Heiratsparadiese fahren, wo sie im Viertelstundentakt die Paare trauen?«

      »Nein, das nun doch nicht«, sagte sie. »Es soll zwar bald sein, aber ich möchte trotz allem eine richtige Hochzeit haben – es wird schließlich die einzige meines Lebens sein.«

      Er wußte, daß sie den Vater ihrer Tochter nicht geheiratet hatte, weil schon zum Zeitpunkt der Geburt deutlich geworden war, wie wenig sie zueinander paßten. Bald danach hatten sie sich dann auch getrennt, und Natalie hatte das alleinige Sorgerecht für Ann Kathrin erhalten.

      »Willst du nicht doch noch etwas essen?« fragte sie zaghaft.

      »Kein Appetit«, murmelte er. »Tut mir leid, aber das ist mir auf den Magen geschlagen. Ich kann nicht glauben, daß es für dich keine Hoffnung gibt, Natalie.«

      »Vielleicht ändere ich meine Meinung später«, meinte sie. »Es kann ja sein, daß man dann plötzlich doch so sehr am Leben hängt, daß man selbst eine riskante Operation durchführen läßt – aber im Augenblick ist mein Gefühl eher: Nein, ich lasse mich nicht operieren. Wenn ich so krank bin, daß ich sterben muß, dann sterbe ich – aber vielleicht geschieht ja auch ein Wunder.«

      »Was passiert denn, wenn du dich nicht operieren läßt?« fragte er. »Wächst der Tumor und du bekommst andere Beschwerden?«

      »Das Hämangiom kann platzen«, erklärte sie müde. »Dann kann ich gelähmt sein – du mußt es dir vorstellen wie bei einem Schlaganfall. Aber das muß nicht bald passieren. Vielleicht bleibt mein Zustand noch eine Weile so, wie er jetzt ist. Wenn ich mich aber operieren lasse, dann weiß ich nicht, in welchem Zustand ich bin, wenn ich aufwache. Dann kann sofort alles vorbei sein, verstehst du?«

      »Aber du kannst doch nicht mit einer solchen Zeitbombe im Körper leben. Das hält kein Mensch aus!«

      »Ich werde es aushalten«, erklärte sie eigensinnig.

      »Aber ich nicht. Ich will dich nicht verlieren, Natalie«, sagte er verstört. Jetzt erst sickerte die volle Bedeutung ihrer Eröffnung in sein Bewußtsein: Natalie würde vielleicht sterben, sehr viel früher sterben als er – Natalie, die für ihn die Frau seines Lebens war. Keine andere Frau hatte ihn mehr interessiert, seit er sie kannte.

      Sie legte beide Hände vor ihr Gesicht und fing endlich an zu weinen, ihre Kraft war zu Ende. Er ging zu ihr, setzte sich neben sie und zog sie in seine Arme. Sie klammerte sich wie ein Kind an ihn und schluchzte, während er Mühe hatte, die eigenen Tränen zurückzuhalten.

      *

      »Haben Sie eigentlich nie daran gedacht, ein Restaurant aufzumachen, Frau Senftleben?« fragte Adrian, als er nach dem Essen mit seiner Nachbarin noch ein Glas Wein trank. »Ich bin sicher, Sie würden ein paar von diesen Sternen verliehen bekommen, hinter denen alle berühmten Köche so her sind.«

      Sie lachte vergnügt und strich sich die grauen Haare aus der Stirn. Carola Senftleben war sechsundsechzig Jahre alt – aber nur auf dem Papier. In ihrem Herzen war sie keinen Tag älter als fünfundzwanzig, und das war es auch, was Adrian an ihr faszinierte, unabhängig von ihren Kochkünsten: Sie war ein Mensch, der sich die Neugier auf das Leben bewahrt hatte. Er liebte es, sich mit ihr zu unterhalten, weil sie vielseitig interessiert und sehr belesen war.

      »Ich koche, weil es mir Spaß macht«, erklärte sie nun. »Und seit ich Sie kenne, Adrian, macht es mir noch viel mehr Spaß, weil Sie so ein dankbarer Gast sind. Mit einem Restaurant wird Kochen Arbeit, und dann wäre der Spaß sofort vorbei.«

      »Ja, das ist ein Argument«, gab Adrian zu. »Im übrigen bin ich ja sehr froh, daß es so ist, wie es ist. Ich profitiere schließlich ständig davon.« Sie stießen miteinander an, dann fragte Adrian: »Habe ich Ihnen schon erzählt, daß wir in einigen Wochen einen hochberühmten

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