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Arzt arbeitete konzentriert, man merkte ihm nicht an, daß er nervös war. Seine Hände bewegten die OP-Geräte mit traumwandlerischer Sicherheit.

      An einer Stelle lag das Tumorgewebe nur um weniger als einen Millimeter vom Rückenmark-Kanal entfernt, und jetzt kam es darauf an, ganz präzise zu arbeiten. Eine falsche Bewegung, ein kleiner Ruck, wenn auch nur um einen zehntel Zentimeter – und die Patientin würde wohl für immer gelähmt bleiben.

      Jetzt sah Adrian Winter doch ein wenig Schweiß auf der Stirn des Freundes, doch es war nicht der Moment, eine unsterile Schwester zu rufen, damit sie Dr. Franklin mit einem Tuch erfrischte. Jetzt galt es, das kranke Gewebe sorgfältig herauszuschälen und abzutragen.

      Bange Minuten vergingen, niemand sprach ein Wort. Nur das leise Zischen des Narkosegerätes war zu hören. Hin und wieder sah Adrian Winter auf den Bildschirm, aber alles lief lehrbuchmäßig.

      Und dann war es geschafft! Dr. Franklin legte die Instrumente beiseite und trat mit einem kleinen Seufzer vom Tisch zurück. »Das war’s«, sagte er nur.

      »Gratuliere. Das war einfach meisterhaft.« Dr. Winter lächelte dem Freund unter dem Mundschutz hinweg zu.

      »Machst du jetzt weiter? Ich will mich ein wenig ausruhen.« Dr. Franklin ließ sich jetzt von der jungen Schwester Annkatrin die Stirn trocken tupfen.

      Dr. Winter hingegen beugte sich tiefer über den Tisch und beendete den komplizierten Eingriff, indem er an der Bandscheibe einige Korrekturen vornahm. Das Knorpelgewebe war an einigen Stellen recht schwammig, teilweise aber auch verhärtet. Doch es gelang dem Arzt, die Bandscheibe optimal zu richten und zu stabilisieren.

      Fast fünf Stunden hatte der Eingriff gedauert, und alle atmeten auf, als Dr. Roloff die Patientin hinüber in den Aufwachraum begleitete, wo er persönlich darauf achten wollte, daß sie optimal versorgt wurde, wenn sie endgültig aus der Narkose erwachte.

      »Soll sie nicht gleich auf Intensiv?« fragte Adrian Winter.

      Der Anästhesist schüttelte den Kopf. »Hier kann ich noch besser eingreifen. Wenn ihre Werte in einer Stunde noch so gut sind, lasse ich sie hoch bringen.« Er zählte den Puls von Susanne Burgmer zum wiederholten Mal persönlich aus. »Es ist phantastisch«, meinte er, »aber sie hat wirklich eine super Konstitution – trotz des Unfalls und der Folgen. Ich bin sicher, sie wird es ohne Komplikationen schaffen.«

      »Ich wünsche es ihr von Herzen.« Adrian nickte dem Kollegen und Freund zu. »Ich gehe dann mal rüber und mache mich frisch. Bis später.«

      Dr. Roloff nickte nur und beugte sich erneut über Susanne.

      *

      Der schwarze Sportwagen fuhr viel zu schnell die Auffahrt zur Kurfürsten-Klinik hoch, und Schwester Walli und Schwester Monika, die gerade aus dem Portal traten und nach Hause gehen wollten, sahen dem Gefährt kopfschüttelnd nach.

      »Was soll denn der Irrsinn? Glaubt der Typ vielleicht auf dem Nürburgring zu sein?« Walli schaute dem Wagen nach, der eben in eine Parklücke fuhr.

      »Vielleicht bringt er einen Notfall«, meinte ihre Kollegin Monika.

      »Glaub ich nicht. Der Typ saß allein im Wagen.« Walli ging nur zögernd weiter, doch Monika lenkte sie gleich darauf mit der Schilderung einer spannenden Spielfilm-Handlung ab. Der Sportwagenfahrer war vergessen.

      Jonas Johannson stieg unterdessen aus und griff auf den Beifahrersitz. Hier hatte er Konfekt, ein paar Zeitschriften und Blumen deponiert – alles das eben, was man einer Kranken mitbrachte.

      Der junge Rennfahrer hatte ein denkbar schlechtes Gewissen bei dem Gedanken an Susanne. Sie waren schließlich mal ein Liebespaar gewesen, und ihm war schon klar, daß er die junge Frau genau in dem Moment im Stich gelassen hatte, als sie ihn am nötigsten gebraucht hätte.

      »Job ist Job«, sagte Jonas leise vor sich hin, und es klang wie eine Beschwörungsformel.

      Aber im tiefsten Innern wußte er genau, daß er sich selbst etwas vormachte. Er hatte nur an sich gedacht, hatte das Rennen in Budapest nur vorgeschoben, weil er sich nicht mit einer kranken Frau belasten wollte.

      Susanne im Rollstuhl…, nein, das würde er nicht ertragen! Aber ihn quälte das schlechte Gewissen, deshalb hatte er sich jetzt, nach mehr als vier Wochen, aufgerafft und sich nach ihr erkundigt.

      Von ihrer Nachbarin hatte er erfahren, daß Susanne immer noch in der Kurfürsten-Klinik lag, und so war er nun auf dem Weg zu ihr.

      Am Empfang sagte man ihm die Zimmernummer, und Jonas registrierte amüsiert, daß das junge Mädchen im weißen Kittel ihn anhimmelte, als es ihm Stockwerk und Zimmernummer nannte. Er war eben ein bekannter Mann, ein Formel 1-Star. Er konnte nur hoffen, daß Susanne das auch so sah und Verständnis dafür hatte, daß er in erster Linie an seine Karriere, an seine Verpflichtungen den Fans gegenüber denken mußte…

      Dennoch klopfte er recht zaghaft an ihre Zimmertür.

      Susanne lag im Bett, neben ihr saß ein Mann, den Jonas schon einmal hier gesehen hatte. In mindestens fünf Vasen standen gelbe Teerosen. Ihr Duft erfüllte den ganzen Raum. Susanne sah gut aus, auch wenn sie sehr schmal geworden war. Aber ihre Augen leuchteten, und im letzten Moment bemerkte Jonas, daß sie ihre Hand aus der des anderen Mannes zog.

      »Hallo…« Langsam trat er näher. »Ich bin wieder im Lande und wollte sehen, wie’s dir geht.«

      »Danke. Ganz gut.« Susannes Stimme klang ganz neutral. Kein Vorwurf schwang darin mit, aber auch kein bißchen Freude. Sie sah Jonas ruhig und gelassen entgegen, und er spürte ein dumpfes Gefühl in sich aufsteigen – Ärger, Verzweiflung, Trauer… es war von allem ein bißchen. Und Tatsache war, daß er Susanne verloren hatte! Es tat weh, weher als gedacht, und auf einmal schämte er sich für sein Benehmen.

      Er machte einen weiteren Schritt auf sie zu. »Du bist operiert worden, nicht wahr?«

      »Ja. Vor einer Woche.«

      »Und? Ist alles gutgegangen?«

      »Danke, ja. Wir sind sehr zufrieden, die Ärzte und ich.« Sie wies auf den Mann neben sich, der nicht die geringsten Anstalten machte, den Platz an ihrem Bett zu räumen. »Darf ich bekannt machen? Das ist Jonas Johannson, den du sicher schon kennst, Thorsten. Und das ist Thorsten Franzen, ein Mitpatient.«

      Jonas atmete auf. Also nur ein Kranker, der hier war, um Susanne die Zeit zu vertreiben! Gleich breitete sich wieder ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Na also! Wer sagte es denn? Sie war doch ganz auf ihn, Jonas, fixiert!

      »Hallo. Wie geht’s?«

      »Danke, ausgezeichnet.« Thorsten erhob sich ein bißchen schwerfällig, und Jonas sah erst jetzt, daß der andere sein Bein in Gips hatte und auch sonst noch einige sichtbare Blessuren hatte.

      »Thorsten hat mir in den Tagen vor und nach der Operation sehr geholfen«, erzählte Susanne da. »Er war immer da, wenn ich mutlos und verzagt war. Und…« Jetzt griff sie wieder nach der Hand des anderen! »… er hat ein wundervolles Mittel gefunden, mir neuen Lebensmut zu geben!«

      »Du wirst also wieder gesund. Schön für dich.« Jonas fühlte sich unbehaglich. Er wußte nicht, wie er diese Situation einschätzen sollte. Irgendwie hatte er das Empfinden, daß Susanne sich ein wenig lustig machte über ihn, daß sie ihn – vorführte. Ja, das war wohl das richtige Wort.

      »Die Zeitschriften sind hoffentlich von hier«, sagte sie jetzt. »Ungarische kann ich nämlich nicht lesen!«

      »Natürlich sind es deutsche Illustrierte«, bemerkte er nun beleidigt. »Was denkst du denn von mir?«

      Susanne sah ihm fest in die Augen. »Frag mich das lieber nicht, Jonas. Und jetzt laß uns bitte allein. Es war sehr freundlich von dir, dich nach meinem Befinden zu erkundigen, aber…«

      »Sag mal, wie behandelst du mich? So wie einen Verbrecher! Wie jemanden, der…«

      »Wie jemanden, der Susanne in den schwersten Tagen ihres Lebens im Stich gelassen hat.« Thorsten hatte sich

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