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bechergleiche Tal, in dem ihres Bruders Hof lag. Sie sah in einer Tiefe von etwa fünfhundert Fuß, wie sich das Haus mit Kerzen schmückte – ein deutlicher Wink, daß sie sich beeilen müsse. Denn Kerzen wurden an Sonntagabenden nur zu jener Familienandacht entzündet, welche die unvergleichliche Langeweile des Tages beschloß und die Entspannung des Abendessens heranrückte. Sie wußte, Robert würde jetzt schon am Kopfende des Tisches sitzen und den Text auswählen; denn es war Robert in seiner Eigenschaft als Familienpriester und -richter und nicht der begabte Gilbert, der bei diesen Gelegenheiten amtierte. Sie eilte daher so rasch wie möglich den steilen Abhang hinunter und kam atemlos vor der Tür an, gerade als die drei jüngeren Brüder, frisch ihrem Schlummer entrissen und umgeben von einer Horde kleiner Neffen und Nichten, in der Abendkühle schwatzend auf das Zeichen zur Andacht warteten. Sie hielt sich zurück; sie hatte wenig Lust, deren Aufmerksamkeit auf ihr verspätetes Eintreffen und ihren keuchenden Atem zu lenken.

      »Kirstie, diesmal bist grad noch zurechtgekommen«, meinte Clem. »Wo warst du nur?«

      »Ach, nur so ‘n bißchen spazieren«, sagte Kirstie.

      Und sie fuhren fort, über den amerikanischen Krieg zu sprechen, ohne der Ausreißerin zu achten, die zitternd vor Glück und im Bewußtsein ihrer Schuld neben ihnen im Schutze der Dunkelheit sich verkroch.

      Das Zeichen ertönte, und die Brüder gingen, umdrängt von Hobs Kinderschwarm, einzeln ins Haus.

      Aber Dandie blieb als letzter zurück und ergriff Kirsties Arm. »Seit wann geht Ihr in rosa Strümpfen spazieren, Mamsell Elliott?« fragte er schlau.

      Sie blickte an sich herab, von Kopf bis Fuß eine einzige Blutwelle. »Ich muß reinweg vergessen haben, sie zu wechseln«, sagte sie und begab sich jetzt ihrerseits voller Unruhe zum Gottesdienst, hin und her gerissen zwischen Sorge, ob Dandie auch nicht in der Kirche ihre gelben Strümpfe bemerkt und sie über einer greifbaren Lüge ertappt hätte, und Scham, daß sie so bald seine Prophezeiung wahr gemacht. Sie erinnerte sich seiner Worte; wie es ihr ergehen würde, wenn sie erst einen Schatz hätte, und daß sie ihm dann in guten und schlechten Zeiten anhängen würde. »Habe ich denn jetzt wirklich einen Schatz?« dachte sie mit heimlichem Glücksschauer.

      Und im Verlaufe der Andacht, bei der es ihr Hauptbestreben war, vor der gleichgültigen Madam Hob ihre rosa Strümpfe zu verbergen – und beim Abendbrot, während sie lediglich zu essen vorgab und strahlend und verlegen bei Tische saß – und später, als sie die anderen verlassen und sich in ihr Zimmer begeben hatte, wo sie mit ihrer schlafenden Nichte allein war und endlich den Panzer gesellschaftlicher Formen ablegen konnte – klangen die gleichen Worte in ihr nach: das nämliche, tiefe Glück, das Bewußtsein einer völlig veränderten, wiedergeborenen Welt, eines Tages, den sie im Paradies verbracht, und einer Nacht, in der sich ihr der Himmel erschließen sollte. Diese ganze Nacht war es ihr, als glitte sie auf einem seichten Strom des Schlafens und Wachens zwischen den Grotten Elysiums dahin; diese ganze Nacht pflegte sie in ihrem Herzen jene köstliche Hoffnung; und als sie diese gegen Morgen in tieferer Bewußtlosigkeit begrub, geschah es nur, um im ersten Augenblick des Erwachens von neuem nach jenem Regenbogen des Gedankens zu greifen.

      7

       Eintritt Mephistopheles’

       Inhaltsverzeichnis

      Zwei Tage später setzte ein Gig aus Crossmichael Frank Innes vor den Toren Hermistons ab. Einmal im vergangenen Winter während eines besonders heftigen Anfalls von Langeweile hatte ihm Archie einen Brief geschrieben. Dieser hatte eine Art Einladung enthalten, oder eine Anspielung auf eine Einladung – Innes wie er selbst erinnerten sich nicht mehr genau daran. Als Innes ihn empfing, hatte ihm nichts ferner gelegen, als sich mit Archie zusammen im Moor zu vergraben; allein selbst die scharfsinnigsten politischen Köpfe wandeln nicht immer mit untrüglicher Zielbewußtheit durchs Leben. Das würde eine Gabe der Voraussicht erheischen, die den Menschen abgeht. Wer hätte sich zum Beispiel denken können, daß noch nicht einen Monat nach Empfang jenes Briefes, den er verspottet, dessen Beantwortung er verschoben, ja den er zu guter Letzt gar verloren hatte, Mißgeschicke düsterster Natur sich um Franks Laufbahn sammeln würden? Der Fall läßt sich mit wenigen Worten schildern. Sein Vater, ein kleiner Gutsbesitzer in Morayshire mit einer zahlreichen Familie, wurde widerspenstig und sperrte plötzlich den Wechsel; Frank hatte sich die Anfänge einer recht anständigen Bibliothek zugelegt, die er sich genötigt sah nach einigen unerwarteten Verlusten auf dem Rennplatz wieder zu verkaufen, noch ehe sie bezahlt waren; seinem Buchhändler kam diese Tat zu Ohren, und er erließ gegen Innes einen Haftbefehl. Frank hörte noch rechtzeitig davon und war imstande, seine Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Bei diesem Wirrwarr seiner Angelegenheiten und angesichts der drohenden Klage hielt er es für das klügste, sofort zu verschwinden; er schrieb daher einen glühenden Brief an seinen Vater und bestieg die Postkutsche nach Crossmichael. Jeder Hafen war ihm recht in diesem Sturm! Mit männlicher Entschlossenheit kehrte er dem Parlamentshaus und seinem heiteren Klatsch, kehrte Porter und Austern, dem Rennplatz und der Arena den Rücken, kühn entschlossen, mit Archie Weir in Hermiston ein lebendes Grab zu teilen, bis die Wolken sich zerstreut hätten.

      Um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Er selbst war über seine Abreise nicht weniger erstaunt als Archie über seine Ankunft; nur verbarg er seine Verwunderung mit unendlich viel größerer Gewandtheit.

      »Ja, hier bin ich!« sagte er, als er ausstieg. »Endlich ist Pylades zu seinem Orest gekommen. Übrigens, haben Sie meine Antwort erhalten? Nein? Wie ärgerlich! Ja, jetzt bringe ich die Antwort selbst; um so besser!«

      »Ich freue mich natürlich sehr, Sie zu sehen«, sagte Archie. »Sie sind natürlich herzlich willkommen. Aber Sie haben doch nicht die Absicht zu bleiben, solange das Gericht noch tagt? Wäre das nicht äußerst unvernünftig?«

      »Der Teufel hole das Gericht!« meinte Frank. »Was ist die Jurisprudenz gegen die Freundschaft und ein bißchen Fischen?«

      Und so kamen sie überein, daß er bleiben solle ohne jeden anderen Termin für seine Abreise als den, welchen er sich privatim stellte – nämlich den Tag, an dem sein Vater mit dem Gelde herausrücken würde und er imstande wäre, seinen Buchhändler zu befriedigen. Unter so unklaren Verhältnissen begann für diese beiden jungen Männer (die nicht einmal Freunde waren) ein Leben größter räumlicher Nähe und ständig schwindender Vertraulichkeit. Sie sahen sich bei den Mahlzeiten sowie des Abends, wenn die Stunde des Whisky-Toddys sich nahte; allein es war auffallend (wäre jemand dagewesen; es zu beobachten), daß sie bei Tage nur selten zusammenkamen. Archie hatte Hermiston zu verwalten; die mannigfachsten Obliegenheiten führten ihn in die Berge, wo Franks Begleitung überflüssig war und Archie sie mitunter auch ablehnte. Manchmal ging er in aller Frühe vom Hause fort und ließ dem anderen auf dem Frühstückstisch lediglich einen Zettel zurück, um ihn von dieser Tatsache in Kenntnis zu setzen; dann und wann kehrte er auch ohne jede vorherige Ankündigung erst lang nach der Essenszeit heim. Innes seufzte unter dieser Fahnenflucht; er brauchte seine ganze Philosophie, um sich gelassen an den gemeinsamen Frühstückstisch zu setzen, und mußte die echte Gutmütigkeit seiner Natur zu Hilfe rufen, um Archie bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er verspätet zum Essen heimkehrte, freundlich zu begrüßen.

      »Was in aller Welt macht ihm nur so viel zu schaffen, Madam Elliott?« fragte er eines Morgens, nachdem er soeben eines dieser flüchtig hingekrizelten Billette gelesen und sich zu Tisch gesetzt hatte.

      »Geschäftliche Angelegenheiten vermutlich, Sir«, entgegnete trocken die Haushälterin und wies ihn durch die Andeutung eines Knickses auf den zwischen ihnen herrschenden Abstand hin.

      »Was für Angelegenheiten?« wiederholte er.

      » Seine Angelegenheiten, vermutlich«, wiederholte die unerbittliche Kirstie.

      Er wandte sich ihr mit jener strahlend guten Laune zu, die sein gewinnendster Zug war, und brach in schallendes, gesundes und natürliches Gelächter aus. »Gut pariert, Madame Elliott!« rief er, und der Haushälterin Gesicht löste sich in den Schatten eines eisernen Lächelns auf. »Wahrhaftig, gut pariert! Aber Sie müssen mich nicht

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