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mir hinterher abstreiten willst, bleibt’s auch so ziemlich gleich; mein Ruf ist sowieso ein für allemal hin.«

      »O Dand, bist du denn ein Lügner?« fragte sie und zögerte noch immer.

      »Die Leut’ behaupten es«, entgegnete der Barde.

      »Wer behauptet es?« fuhr sie fort.

      »Die, welche mich am besten kennen«, erwiderte er. »Die Mädels, zum Beispiel.«

      »Aber Dand, mich würdest du doch nie belügen?« forschte sie.

      »Das will ich dir überlassen, Katzel«, meinte er. »Wirst mich schon rasch genug beschwindeln, wenn du erst einen Schatz hast. Das sag ich dir, und es ist die Wahrheit; wenn du erst ‘n Schatz hast, hast du ihn für gute und schlechte Tage, komme, was da will. Ich kenn’ mich aus: war auch einmal so, aber der Teufel hat mir reingepatzt. Und jetzt mach, daß du fortkommst, und laß mich in Ruh; bist akkurat in meine poetische Stunde reingefahren, du unruhiger Aff.« Aber sie klammerte sich an ihres Bruders Gesellschaft, weshalb, wußte sie selbst nicht.

      »Willst mir nicht einen Kuß geben, Dand?« bat sie. »Hab’ dich immer so gern gehabt.«

      Er küßte sie und musterte sie einen Augenblick; etwas an ihr mutete ihn fremd an. Aber er war durch und durch Frauenjäger, hegte für das ganze Weibervolk nur Verachtung, gleichmäßig mit Argwohn gepaart, und erkaufte sich seinen Weg unter ihnen gewohnheitsmäßig durch müßige Komplimente.

      »So, und jetzt lauf!« sagte er. »Bist ein appetitlicher Fratz; damit gib dich zufrieden!«

      So war Dandie: ein Kuß und ein Zuckerplätzchen für die Hanne – billigen Tand und seinen Segen für Marie – und dann gute Nacht und auf Nimmerwiedersehen der ganzen Bande! Dinge, die ans Ernste streiften, waren Männerangelegenheiten: das dachte und sagte er offen. Frauen durften einen nicht gefangennehmen; sie waren Kinder, die man gegebenenfalls fortscheuchte. Lediglich in seiner Eigenschaft als Connoisseur blickte er seiner Schwester flüchtig nach, als sie über die Wiese schritt. »Der Balg ist gar nicht so übel!« dachte er überrascht, denn obwohl er ihr eben erst ein Kompliment gezollt, hatte er sie doch nicht wirklich angesehen. »Nanu? Was soll das heißen?« Das graue Kleid hatte kurze Ärmel und einen fußfreien Rock und enthüllte ein paar feste, schlanke Beine in rosa Strümpfen von der gleichen Farbe wie das Tuch, das sie um die Schultern trug, und die Strümpfe glänzten im Gehen. Das war nicht das richtige Werkelstaggewand; er kannte ihre Gepflogenheiten und die aller Weiber hierzulande, keiner kannte sie besser; wenn sie nicht barfuß gingen, trugen sie dicke, wollene Strümpfe meist von fast unsichtbarem Blau, wenn nicht gar Schwarz; und beim Anblick dieses Putzes rechnete Dandie zwei und zwei zusammen. Das Busentuch war aus Seide, folglich würden die Strümpfe gleichfalls aus Seide sein; sie paßten zueinander – ergo war der ganze Anzug ein Geschenk Clems, ein kostbares Geschenk, keines, das man spät an Sonntagnachmittagen durch Sumpf und Dornen spazierentrug. Er stieß einen Pfiff aus. »Mein sauberes Püppchen, entweder du bist ganz verdreht, oder es geht hier was vor«, bemerkte er und ließ damit den Gegenstand fallen.

      Sie ging anfänglich langsam, dann immer rascher und in geraderer Linie auf Cauldstaneslap zu, einen Paß zwischen den Bergen, dem der Hof seinen Namen verdankte. Der Paß öffnete sich gleich einer Tür zwischen zwei runden Hügelkuppen; durch ihn führte der Abkürzungsweg nach Hermiston. Auf der anderen Seite fiel er stracks ab in das Teufelsmoor, ein ziemlich großes, morastiges Tal zwischen den Höhen, voller Quellen, verkrüppeltem Wacholder und Tümpeln, in denen das schwarze Torfwasser schlummerte. Hier gab es keine Aussicht. Man hätte ein halbes Jahrhundert lang auf des Betenden Webers Stein sitzen können, ohne ein einziges Lebewesen zu sehen, außer zweimal alle vierundzwanzig Stunden die Kinder von Cauldstaneslap auf dem Schulwege und gelegentlich einen Schäfer samt seinem Clan Schafe, oder die Vögel, die schreiend und schrill pfeifend die Quellen belagerten. Sowie Kirstie daher den Eingang des Passes durchschritten hatte, sah sie sich von Einsamkeit umfangen. Sie blickte ein letztes Mal nach dem Hofe zurück. Immer noch lag er verlassen, mit Ausnahme von Dandie, den man jetzt etwas in seinen Schoß kritzeln sah, denn endlich war der Muse ersehnte Stunde gekommen. Von dort kreuzte sie in raschem Schritt das Moor und erreichte das andere Ende, wo ein träger Bach entspringt, den der Weg nach Hermiston in seinem ersten Abschnitt zu Tal geleitet. Von dieser Seite aus gewann sie einen umfassenden Rundblick über die ganze Heidefläche, die stellenweise vom Winterfrost immer noch gelblich und rotbraun schimmerte, mit dem kühn sie durchschneidenden Pfad samt einzelnen Birkengruppen am Bachesrand und – zwei Meilen fern im Vogelflug, von jungen Pflanzungen und Einfriedungen umgeben – den in der Abendsonne blitzenden Fenstern von Hermiston.

      Hier setzte sie sich und wartete und spähte lange Zeit nach den fernen, hellen Scheiben hinüber. Es freute sie, einen so weiten Blick zu haben, schoß es ihr durch den Kopf. Es freute sie, das Hermistoner Herrenhaus zu sehen. »Menschen, Nachbarn«, und in der Tat unterschied sie eine menschliche Einheit, vielleicht den Gärtner, der dort den Kiesweg herunterschlenderte.

      Als die Sonne untergegangen war und die östliche Moorfläche ganz in klarem Schatten lag, gewahrte sie eine männliche Gestalt mit äußerst unregelmäßigen Schritten, jetzt laufend, dann wieder innehaltend und unverhohlen zögernd, den Pfad hinaufkommen. Sie beobachtete ihn anfänglich in völliger Gedankenleere. Sie hielt ihre Gedanken an, wie ein Mensch den Atem anhält. Dann, endlich, gestattete sie sich, ihn zu erkennen. »Er wird nicht hierherkommen, es kann nicht sein; es ist unmöglich.« Und eine unterdrückte, würgende Spannung bemächtigte sich langsam ihrer. Aber er kam wirklich; sein Zaudern war völlig dahin, sein Schritt wurde fest und rasch; es blieb kein Raum für Zweifel. Statt dessen erhob sich sogleich die Frage: Was sollte sie tun? Was nützte es schon, daß ihr Bruder selbst ein Grundbesitzer war, daß man von gelegentlichen Zwischenheiraten sprach und auf die Verwandtschaft pochte wie Tante Kirstie? Der Unterschied in ihrer sozialen Stellung war schneidend; Schicklichkeit, Klugheit, alles, was sie gelernt hatte, was sie wußte, hieß sie fliehen. Allein der Becher des Lebens, der sich ihr bot, war gar zu köstlich. Einen kurzen Augenblick erkannte sie deutlich die Frage und traf endgültig ihre Wahl. Sie stand auf und zeigte ihre Umrisse eine Sekunde lang klar gegen den Himmel in dem Bergeinschnitt; in der nächsten Sekunde floh sie zitternd und setzte sich, glühend vor Aufregung, auf des Betenden Webers Stein. Sie schloß die Augen und rang, betete um Fassung. Die Hand in ihrem Schoß bebte, sinnlose, nichtige Reden drängten sich in ihrem Hirn. Was gab es nur, sich so anzustellen! Sie war sich selber doch Schutz genug! Was konnte es schaden, mit dem jungen Herrn zusammenzutreffen? Es war im Gegenteil das Beste, was geschehen konnte. Sie würde ein für allemal die richtige Entfernung zwischen ihnen abstecken. Mählich, ganz allmählich hörten die Räder ihres Seins auf, wie toll zu kreisen, und sie saß in passiver Erwartung, eine stille, einsame Gestalt mitten im grauen Moos. Ich sagte, sie sei keine Heuchlerin gewesen, aber darin tat ich unrecht. Nicht einen Augenblick gestand sie sich selber zu, daß sie den Berg hinaufgekommen wäre, um Archie zu treffen. Und vielleicht wußte sie es wirklich nicht, vielleicht geschah es einfach, wie der Stein zur Erde fällt. Denn die Schritte der Jugend sind in der Liebe, besonders bei Mädchen, instinktiv und unbewußt.

      Inzwischen kam Archie eilig näher; er zum mindesten suchte bewußt ihre Nähe. Der Nachmittag war zu Asche geworden in seinem Munde; die Erinnerung an das Mädchen hatte ihn am Lesen verhindert und ihn wie mit Stricken gezogen, und endlich bei beginnender Abendkühle hatte er mit ersticktem Ausruf nach seinem Hut gegriffen und sich auf den Heideweg nach Cauldstaneslap gemacht. Er erwartete nicht, sie hier zu treffen; er wählte diese blasse Möglichkeit ohne Hoffnung auf Erfolg, lediglich um seine eigene Unruhe zu bekämpfen. Um so größer war daher seine Überraschung, als er den Hang hinaufklomm und das Teufelsmoor erreichte, hier auf des Toten Webers verwittertem Stein als Erfüllung all seiner Wünsche die zierliche, frauliche Gestalt in dem grauen Kleide und dem rosa Brusttuch zu finden, klein, hingekauert, verloren und grenzenlos einsam in dieser Öde. Was noch vom Winter sprach, umgab sie rings mit rostigbraunem Schimmer, und alle Frühlingsverheißungen hatten die zarten, frischen Farben der kommenden Zeit angelegt. Selbst das unwandelbare Antlitz des Grabsteins verriet den Wandel des Jahres: das Moos in der geritzten Inschrift erneuerte sich in funkelnden Juwelen von Grün. Dank eines nachträglichen, echt künstlerischen Einfalls hatte das Mädchen den rückwärtigen Zipfel ihres Tuches über den Kopf gezogen, daß es jetzt eine kleidsame Folie für ihr lebhaftes

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