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Anfang an richtig verstehen. Wenn ich Ihre Gesellschaft wünsche, werde ich es Sie wissen lassen.«

      »Oh«, rief Frank. »Sie wollen also meine Gesellschaft nicht, was?«

      »Jetzt im Augenblick offenbar nicht«, entgegnete Archie. »Ich ließ jedoch durchblicken, wann sie mir genehm sein würde, falls Sie sich erinnern – und zwar beim Essen. Falls wir beide reibungslos zusammenleben wollen – und ich sehe nicht ein, weshalb das nicht der Fall sein sollte –, kann das nur geschehen, wenn einer des anderen Bedürfnis, allein zu sein, respektiert. Fangen wir gleich zu Anfang an, uns einander aufzudrängen –«

      »Hören Sie auf! Das lass’ ich mir von niemandem gefallen! Ist das Ihre Art, einen Gast und alten Freund zu behandeln?« schrie Innes.

      »Jetzt gehen Sie nach Hause, und denken Sie allein über das nach, was ich Ihnen sagte«, fuhr Archie fort, »ob es vernünftig oder ob es in Wahrheit beleidigend ist, und wir wollen beim Essen zusammenkommen, als wäre nichts geschehen. Ich will mich sogar folgendermaßen ausdrücken: Ich kenne meinen eigenen Charakter, ich freue mich im voraus (und zwar aufrichtig) auf einen langen Besuch von Ihnen und treffe von vornherein meine Vorsichtsmaßregeln. Ich erkenne den Punkt, über den wir – über den ich meinetwegen mich zanken werde, und ich beuge vor und obsto principiis. Ich wette mit Ihnen fünf Pfund, Sie werden schließlich einsehen, daß ich aus lauter Freundschaft so handle, und das tue ich auch wirklich, glauben Sie mir, Francie«, schloß er nachgebend.

      Berstend vor Zorn, nicht eines Wortes mächtig, schulterte Innes seine Angel, verabschiedete sich mit einer Geste und ging mit langen Schritten den Flußpfad hinab. Archie sah ihm regungslos nach. Er bedauerte das Vorgefallene, aber er schämte sich durchaus nicht. Er haßte es, ungastlich zu erscheinen, aber in einem Punkte war er seines Vaters Sohn. Er war von dem Bewußtsein durchdrungen, daß sein Haus sein Haus sei und niemandes anderen; und sich auf Gnade und Ungnade einem Gast ausliefern, das zu tun, weigerte er sich strikte. Er haßte es, schroff zu erscheinen, aber schuld daran war Franks Standpunkt. Hätte Frank nur das gewöhnliche Maß Diskretion gezeigt, er wäre selbst anständig höflich geblieben. Dann gab es auch noch ein weiteres Bedenken. Das Geheimnis, das er jetzt hütete, gehörte nicht ihm allein; es war genauso Christinas; es gehörte zugleich jenem unfaßlichen Wesen, das mit Macht von seiner Seele Besitz zu ergreifen begann und das zu verteidigen er bald bereit sein würde, ganze Städte einzuäschern. Er blickte Frank nach, der hastig und mit großen Schritten weiterging, hin und wieder in der verfärbten Heide untertauchend und allmählich zu weniger als Liliputgröße zusammenschrumpfend, und als dieser das Ende des Baches erreicht hatte, vermochte Archie bereits über den Vorfall zu lächeln. Entweder würde Frank abreisen – das würde an sich eine Befriedigung bedeuten –, oder er würde bleiben, und sein Wirt mußte sich weiterhin mit ihm abfinden. Jetzt aber hinderte Archie nichts mehr daran, auf verschlungenen Wegen hinter Hügeln und über Bachbette dem Stelldichein zuzueilen, wo Kirstie, von Moorhuhn und Kiebitz umschrien, auf des Puritaners Stein seiner harrte und ihm entgegenbrannte.

      Innes schritt währenddessen in einem Sturm haßerfüllter Empörung, der sehr natürlich war, sich allmählich jedoch dem Gebot der Lage anpaßte, den Hügel hinunter. Er beschimpfte Archie als einen kaltherzigen, unfreundschaftlichen, sacksiedegroben Hund und sich selbst noch leidenschaftlicher als einen Narren, hierher nach Hermiston gekommen zu sein, da ihm fast jedes andere Haus in Schottland als Zufluchtsstätte offengestanden haben würde. Aber der Schritt war, einmal getan, so gut wie unwiderruflich. Er besaß kein Geld mehr, sich anderswo hinzubegeben; er würde sowieso zum nächsten Klubabend Archie anpumpen müssen; und so niedrig er auch seines Gastgebers Manieren einschätzte, so überzeugt war er von dessen Freigebigkeit. Franks Ähnlichkeit mit Talleyrand erscheint mir zwar als ziemlich illusorisch, aber Talleyrand selbst hätte sich nicht gehorsamer den Tatsachen unterwerfen können. Frank begegnete Archie beim Essen ohne jede Feindschaft, ja fast mit Herzlichkeit. Seine Erklärung würde gelautet haben, daß man seine Freunde nehmen müsse, wie sie nun mal wären. Archie könne ja nichts dafür, daß er seines Vaters Sohn oder seines Großvaters, des hypothetischen Webers, Enkel sei. Als Sohn eines groben Klotzes war er eben selber im Herzen ein grober Klotz geblieben, unfähig wahrer Großmut und Rücksichtnahme: aber er besaß andere Eigenschaften, die Frank sich mittlerweile zunutze machen konnte und die zu genießen es notwendig war, daß Frank seine schlechte Laune meistere.

      So vorzüglich war seine Selbstbeherrschung, daß er am folgenden Morgen ganz erfüllt von einem neuen, aber verwandten Gedanken aufwachte. Was war es eigentlich, das Archie im Schilde führte? Weshalb mied er Franks Gesellschaft? Was verbarg er vor ihm? Hatte er mit irgend jemandem ein Rendezvous gehabt – mit einer Frau? Es wäre doch ein prachtvoller Witz und zugleich eine gerechte Rache, wenn er, Frank, dahinterkäme. Diesem Ziele wandte er sich mit ziemlicher Ausdauer zu, wie sie seine Freunde sogar in Erstaunen versetzt hätte, denn Frank hatte von jeher eher als geistreich und klug denn als zäh gegolten; und so, ganz allmählich, Stück für Stück, gelang es ihm, ein Bild der Lage zusammenzutragen. Zuerst beobachtete er, daß Archie, obwohl er im Weggehen die verschiedensten Richtungen einschlug, doch stets aus Südwesten heimkehrte. Das Studium einer Landkarte und die Tatsache, daß sich in dieser Richtung bis zu der Mündung des Clyde eine weite Fläche unbewohnten Heidelandes erstreckte, führten ihn gar bald nach Cauldstaneslap und nach zwei anderen benachbarten Höfen: Kingsmuir und Polintarf. Von dort aus war jedes Weiterkommen schwierig. Mit seiner Angel als Vorwand suchte er vergeblich jeden dieser drei Punkte auf; nirgends fand sich in der Nachbarschaft der Heidehöfe etwas Verdächtiges. Er würde versucht haben, Archie nachzugehen, wäre das überhaupt möglich gewesen, allein die Bodenbeschaffenheit schloß diesen Gedanken ein für allemal aus. Also tat er das Nächstbeste: Er verbarg sich an irgendeinem stillen Winkel und verfolgte Archies Bewegungen mit dem Fernglas. Auch das führte zu nichts, und bald bekam er seine vergebliche Wachsamkeit satt, ließ das Fernglas zu Hause und hatte die ganze Sache bereits aufgegeben, als er sich ganz plötzlich, am siebenundzwanzigsten Tage seines Aufenthalts, dem Menschen, den er suchte, gegenübersah. Den ersten Sonntag war es Kirstie unter irgendeinem Vorwand der Unpäßlichkeit, in Wahrheit jedoch aus Anstandsgefühl, gelungen, der Kirche fernzubleiben; die Freude, Archie dort zu sehen, schien ihr zu heilig, zu lebendig für einen so öffentlichen Ort. An den folgenden beiden Sonntagen war Frank selbst auf irgendwelchen Ausflügen zu benachbarten Familien von Hermiston abwesend gewesen. So geschah es, daß Frank erst am vierten Sonntag die Zauberin zu Gesichte bekam. Schon bei dem ersten Blick war aller Zweifel geschwunden. Sie kam mit der Gesellschaft aus Cauldstaneslap, folglich wohnte sie dort. Hier war Archies Geheimnis, hier war die Frau, die jener besuchte, ja mehr noch – schon auf den ersten Blick empfand er sich selbst als Rivale. Beteiligt dabei waren ein gut Teil Ehrgeiz, ein klein wenig Rache und viel ehrliche Bewunderung: der Teufel mag die genauen Maße bestimmen. Ich kann es nicht, und wahrscheinlich würde auch Frank es nicht gekonnt haben.

      »Ein ungemein reizvolles Milchmädchen«, bemerkte er auf dem Heimwege.

      »Wer?« fragte Archie.

      »Na, das Mädel, das Sie jetzt anstarren – nicht wahr? Dort auf der Landstraße vor uns. Sie kam in Begleitung des rustikalen Barden, gehört daher vermutlich zu der berühmten Familie. Das einzige Bedenken! Die Vier schwarzen Brüder dürften unangenehme Kunden sein. Falls da was schiefginge, würde der Weber wohl wabern und Clem einen in die Klemme bringen und Dand einen Tanz aufführen und Hob sich etwas ungehobelt entpuppen. Kurz, die Elliottaffaire dürfte eine wahre Höllenaffaire werden!«

      »Außerordentlich witzig, wahrhaftig«, meinte Archie.

      »Na, ich geb’ mir aber auch Mühe. Und es fällt mir nicht einmal leicht, an diesem Orte in Ihrer feierlichen Gesellschaft, mein Lieber. Aber gestehen Sie nur, das Milchmädchen hat in Ihren Augen Gnade gefunden, oder verzichten Sie ein für allemal darauf, als Mann von Geschmack zu gelten.«

      »Es ist ja auch ganz gleichgültig«, entgegnete Archie. Allein der andere fuhr fort, ihn fest und spöttisch anzublicken, und das Blut stieg langsam, dann immer rascher in Archies Wangen, bis selbst die größte Unverfrorenheit nicht mehr hätte leugnen können, daß er errötete. Im nämlichen Augenblick verlor Archie einen Teil seiner Selbstbeherrschung. Er wechselte den Stock von einer Hand zur anderen und rief: »Um Gottes willen, seien Sie doch kein Esel!«

      »Esel?

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