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Ausgewählte historische Romane. Levin Schucking
Читать онлайн.Название Ausgewählte historische Romane
Год выпуска 0
isbn 9788027225880
Автор произведения Levin Schucking
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»In Verdacht? Gewiß hat man sie in Verdacht. Alle Welt hat sie in Verdacht. Sie sollen auch nach Düsseldorf ins Gefängnis gebracht werden. Sie haben Gendarmen vor ihrer Tür ...«
»Ich werde sie also nicht sprechen können?«
»Sprechen? Niemand kann sie sprechen. Es wird niemand zu ihnen gelassen. Der Ritterhausen darf sein eigenes Kind und Mamsell Sibylle ihren eigenen Vater nicht sprechen. Sie haben Gendarmen vor ihrer Tür!«
»Und Ihr, Claus, was denkt Ihr denn davon? Haltet Ihr es denn für möglich, daß Ritterhausen ...«
»Möglich! Was sollte nicht möglich sein auf dieser schlechten Welt? Wenn einer abends ruhig zu Bette geht in seinem eigenen Haus und denkt an nichts, an gar nichts und schläft ruhig ein und hat treue redliche Leute um sich und die Türen sind wohl verschlossen und am andern Morgen ist ei umgebracht – Herr Richard, dann ist alles möglich, just alles!«
»Aber Claus,« warf Richard, düster vor sich hinstarrend, ein, »wenn man doch die Leute seit vielen Jahren so kennt, wie Ihr die Ritterhausen, so hütet man sich doch ...«
»O, ich hüte mich auch, Herr Richard,« fiel Claus ein, »ich hüte mich wohl, etwas zu sagen. Ich weiß nichts, gar nichts. Ich habe die ganze Nacht durch ruhig geschlafen. Und deshalb können sie mir nichts anhaben, sie mögen schreiben, was sie wollen.«
Aber von einem Deserteur spricht man.
»Ja, der Deserteur,« wiederholte Claus kleinlaut und auf seinem Stuhle völlig wie sorgenüberbürdet zusammensinkend. »Ich weiß nichts von ihm. Johannes heißt er, das hat er mir gesagt. Das ist alles. Mich geht er nichts an. Gar nichts, Mamsell Sibylle hat ihn hergebracht; sie hat ihm oben im Hause ein Versteck gezeigt, das ich nicht kenne. Mamsell Sibylle hat ihn da verborgen. Ich bin unschuldig daran. Es soll strenge Strafe darauf stehen, wenn man einen Deserteur verbirgt. Ich hab’ auch nichts davon gesagt. Die Polizei- und Gerichtsherren haben’s aber doch erfahren. Ob’s Mamsell Sibylle ihnen bekannt hat oder ob’s ihnen von einem andern gesteckt ist, ich weiß es nicht. Aber diesen Morgen war einer hier, der hat mich ins Gebet genommen, und da hab’ ich sagen müssen, was ich wußte.«
»Und weil Sibylle Ritterhausen dem Deserteur ein Versteck hier in der Burg angewiesen hat, glaubt man, Ritterhausen habe durch diesen Menschen den Grafen von Epaville ermorden lassen?«
»So glaubt man, Herr Richard, und so muß man glauben.«
»Weshalb denn hätte Ritterhausen eine so entsetzliche Tat begehen sollen?«
»Weil ihm der Graf den Hammer hat nehmen wollen.«
Richard schüttelte den Kopf.
»Könnt Ihr’s anders auslegen?« fragte Claus.
»Sibylle – sie – sie hätte um diese Tat gewußt!« rief der junge Mann aufspringend aus. »Alter Mensch, du weißt nicht, was du sprichst! Es ist Blödsinn, es ist Wahnwitz!«
»Meinethalb,« antwortete Claus der Hausmeister, »meinethalb! Mag es getan haben, wer will – ich weiß von nichts, von gar nichts. Mir können sie nichts anhaben!«
»Der Deserteur hieß Johannes? Und wie weiter?«
»Das sagte er nicht,«
»Woher kam er?«
»Er schwieg auch darüber,«
»Hat er denn nicht den Grafen ermorden können auf seine eigene Faust, um ihn auszuplündern?«
»Er hat aber nicht geplündert; er hat nicht einen Pfennig genommen, nichts, gar nichts von den Sachen des Grafen.«
»Vielleicht ist er an dem Raube gehindert worden. Vielleicht hat er irgendein Geräusch gehört und hat geglaubt, Ihr kämet oder der Reitknecht und die Flucht genommen zur hintern Turmtür hinaus.«
»Ja, zur hintern Turmtür hinaus ist er verschwunden. Sie war offen gestern morgen. Ein Geräusch sollte ihn vertrieben haben? Ich weiß es nicht. Ich habe kein Geräusch gehört. Der Mensch sah nicht aus, als ob er sich vor bloßen Geräuschen fürchte und davor die Flucht nähme. Es war ein verwegener Bursche. Er war mit allen Hunden gehetzt; das hab’ ich ihm angemerkt so duckmäuserig er sich anstellte. Johannes nannte er sich. So sagte er mir. Im Vertrauen, sagte er. Nun, ich hütete mich wohl, davon zu reden. Man bindet es nicht jedermann auf, wenn man einen Deserteur im Haus versteckt hat!« Richard von Huckarde schritt eine Weile, die Arme auf der Brust verschlungen, in des Hausmeisters Stube auf und ab. Seine Züge waren so tödlich bleich, wie sie es werden konnten unter der braunen Farbe, womit die Sonne entlegener Länder sie überzogen hatte. Sein Blick blieb starr und düster auf den Boden geheftet. Nach einer Weile sah er auf und sich zu Claus wendend, sagte er: »Ich will doch einmal hinaufgehen und die alten Räume wiedersehen – bleibt nur hier, Claus, ich finde meinen Weg allein!«
»Ich darf Euch nicht hinauf lassen,« versetzte Claus, aufstehend, »ich darf niemand nach oben zu der Leiche lassen; es sind Herren aus der Stadt dagewesen, die haben mir befohlen, über sie zu wachen.«
»Sei ruhig, Claus, du weißt, daß ich sie nicht wegtrage,« erwiderte Richard von Huckarde und verließ die Kammer, während der Hausmeister apathisch auf seinen Stuhl zurücksank.
Richard schritt durch den Korridor die Treppe ins obere Stockwerk hinauf und betrat dann die Reihe der Zimmer, welche er einst mit seinem Vater bewohnt hatte. Bei jedem Schritte fesselten ihn Erinnerungen, die in überwältigender Fülle auf sein kummerschweres Herz eindrangen. Lange verweilte er in einem der mittlern Zimmer; es war das Wohnzimmer seines Vaters gewesen. Dann öffnete er eins der Fenster und sandte seine Blicke hinaus auf den fern unter ihm sichtbaren Hammer, der so friedlich auf grünen Matten in seiner Busch- und Wipfelumhüllung, von der Sonne beschienen, von Bergwänden geschützt, vom klaren Gewässer bespült, wie ein Asyl des Friedens und der Ruhe dalag. Und doch, welche Schmerzen, welche Angst, welche Entschlüsse und welche Sorgen wohnten unter diesem unglückseligen Dach, zu dem Richards Gedanken aus der weiten Ferne, über den Ozean herüber, so oft geflohen waren, wie zu einer Art Heimat seines Herzens, wie zu dem Punkte, dem einzigen in der Welt, von dem aus zu ihm Ermutigung und Lebenskraft strömte, der mit der magnetischen Kraft der Liebe an unsichtbaren Fäden sein Leben allein noch an Welt und Menschen kettete. Wie oft hatten sich seine Gedanken hoffnungsträumend an den Augenblick geheftet, wenn er einst, wohlhabend und unabhängig geworden durch eigene Kraft und selbstverdientes Glück, aufs neue Herr seiner väterlichen Burg, unter jenes Dach treten und zu Sibylle sprechen würde: ich habe die schwere Aufgabe, welche mir ein hartes Schicksal aufbürdete, gelöst; ich habe das Haus meiner Väter mir neu erobert mit diesen meinen Armen, und diese Arme öffnen sich jetzt dir und wollen dich über die Schwelle meines Hauses sowie durchs Leben tragen ... Und jetzt! Mit welcher Bitterkeit mußte er sich zurufen: alle deine Hoffnungen sind zu Wasser geworden, du hast umsonst gerungen und gelitten – du bist arm heimgekehrt wie du auszogst – und Sibylle – Sibyllens Leben ist ruchlos zerstört – ist so bodenlos elend gemacht wie das deine! Er wandte sich endlich ab und setzte in Kummer verloren seinen Weg fort durch die andern Gemächer. Er kam in das Wohnzimmer des Grafen von Epaville; er blickte durch die halb offenstehende Tür in das Schlafzimmer desselben; sein Auge heftete sich auf das Bett in der Ecke; die Umrisse der Decke verrieten die darunter liegende Leiche; der Bettvorhang verbarg den obern Teil und den Kopf des Toten.
Richard stand zögernd auf der Schwelle dieses Raumes, halb versucht, näherzutreten, um die Leiche anzuschauen, und auch wieder sich scheuend vor dem Anblick. Hätte seine Reisegefährtin von gestern ihm nicht gesagt, daß sie selbst kommen würde, zum letztenmal ihren unglücklichen Gatten zu sehen, so würde er es für eine Art Pflicht gegen diese gehalten haben, sich um den Zustand der Leiche und um das, was für die Beerdigung derselben vorgerichtet und bestimmt war, zu kümmern, so aber konnte er sich abwenden von dem unheimlichen Anblick – und eben war er im Begriff, dieses zu tun, als er Schritte Herankommender auf der Treppe und gleich darauf in den vordern Zimmern vernahm. Richard konnte nicht zurück, ohne den Kommenden zu begegnen, denn die Räume, in welchen er sich befand, boten keinen Seiteneingang. Er wollte jedoch um jeden Preis vermeiden,