ТОП просматриваемых книг сайта:
Ausgewählte historische Romane. Levin Schucking
Читать онлайн.Название Ausgewählte historische Romane
Год выпуска 0
isbn 9788027225880
Автор произведения Levin Schucking
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Was soll man viel klagen,« sagte sie, »er ist einmal nicht anders erzogen, er ist ein vornehmer Herr!«
Und doch, wie es scheint, ein Lump! dachte der Reisende dabei, natürlich ohne durch das Aussprechen einer so unumwundenen Ansicht die Gefühle seiner Reisegefährtin zu verletzen. Er sagte nur, mit einem etwas ironischen Tone, den Madame jedoch nicht bemerkte: »Sie hätten ihn eben nicht so lange verlassen sollen, Madame! Eine treue Gattin ist der Schutzengel eines solchen Mannes, den eine angeborene Lebhaftigkeit über seine Schranken hinauszuführen pflegt.«
»Ach, mein Gott, was könnt’ ich tun?« versetzte Madame. »Freilich, es gibt Frauen, die ihren Männern überallhin folgen, auf das Verdeck eines Schiffes oder auf den Rücken eines Pferdes, wie wahre Amazonen. Der Himmel hat mir nicht die Natur dazu gegeben. Ich bin eine schwache, furchtsame Frau. Ich ängstige mich vor allem. Eine Maus kann mir Krämpfe verursachen. Und was mich am meisten erschreckt, das sind ganz kleine junge Tiere, kleine Hunde oder gar Katzen – o mein Gott, wenn ich nur daran denke, wird mir unwohl. Ich begreife nicht, wie es Menschen gibt, welche diese kleinen Scheusale berühren, mit ihnen sogar spielen können! Erschreckt es Sie nicht, wenn Sie einen kleinen, noch ganz kleinen Hund um Ihre Füße krabbeln fühlen?«
»Nein, Madame,« antwortete der Fremde trocken.
Und dann fuhr Madame zu erzählen fort, wie sie nie gewagt habe, ein Pferd zu besteigen, weil man ja doch so leicht herunterfallen könne; wie sie aber vor einer Gefahr, welche aus Verwicklungen des Schicksals oder moralischen Konflikten oder andern Lagen, worein der Mensch geraten könne, drohe, durchaus keine Angst kenne, und auch bei einem Gewitter nicht im mindesten erschrecke, und ähnliche Phänomene ihrer moralischen Konstitution mehr, welche sie als höchst merkwürdige psychologische Rätsel ihrem Reisegefährten zu erklären aufgab; und ihr Reisegefährte war gutmütig genug, ihr diesen Gefallen zu tun, indem er einige Worte zur Charakteristik des physischen, von den Nerven bedingten, und des moralischen Muts fallen ließ; Worte, die Madame sehr vergnügt und geschmeichelt aufnahm.
Madame plauderte in dieser Weise weiter und teilte dem Fremden noch mit, daß sie, nach dem Tode ihres Vaters in Marseille, den Entschluß habe fassen müssen, ihren Mann aufzusuchen, um von nun an bei ihm zu leben; denn da ihr Vater durchaus kein Vermögen hinterlassen, so sei ihr nichts übriggeblieben, als auf das alte unverjährbare Recht zurückzugehen, welches Frauen auf die Taschen ihrer Männer anweist. Sie hatte sich deshalb auf den Weg gemacht über Paris und Brüssel; und mit einem Umwege, den sie nicht gescheut, um sich einmal persönlich nach dem Stande der Angelegenheiten auf den sequestrierten Gütern ihres Mannes zu erkundigen, war sie über Rotterdam auf diese Route gekommen.
Ihr Reisegefährte nahm trotz seines Ernstes das alles, wie gesagt, sehr gutmütig und mit anscheinender Teilnahme auf; er war ihr behilflich, wenn sie aus oder ein stieg, wenn sie ihren Reisesack, der unter der Sitzbank lag und den sie mit ihren hilflosen kleinen Händen nicht bewältigen konnte, hervorgeholt wünschte, oder wo sonst eine Gelegenheit sich bot, ihr gefällig zu sein; auch ließ er es sich mit derselben harmlosen Gutmütigkeit gefallen, daß Madame mit ihm sehr graziös kokettierte; obwohl das Lächeln, welches von ihren Anmutentwicklungen auf seine Lippen gelockt wurde, den vorherrschenden ernsten, ja düstern Ausdruck seiner Züge nicht verscheuchen konnte. Auch war er anfangs weit entfernt, ihre Offenheiten durch gleiche Aufrichtigkeit zu erwidern. Er nannte weder seinen Namen, noch gab er an, woher er komme, und ebensowenig sprach er sich über das Ziel seiner Reise aus. Nur soviel ließ sich aus seinen gelegentlichen Aeußerungen erkennen, daß er weite Reisen in fernen Ländern gemacht; daß er den Norden wie den Süden Amerikas gesehen; daß er vertraut war mit den Sitten und den Sprachen der großen Völker jenseit des Atlantischen Ozeans, als ob er viele Jahre dort zugebracht.
Die lebhafte kleine Gräfin fragte endlich geradezu nach seiner Heimat und seinen Lebensverhältnissen; Madame lispelte das so anmutig freundlich mit ihren kirschroten Lippen und mit so sprechend teilnehmenden Blicken, daß sie gewiß sein durfte, er nehme ihre Neugier nicht übel auf.
Er tat es in Wirklichkeit nicht.
»Ich wollte, ich konnte Ihnen eine Antwort geben auf Ihre Frage nach meiner Heimat,« antwortete der Fremde, »Leider habe ich keine Heimat mehr. Ich bin ein Reisender gewesen alle diese Jahre her. Ich bin in die Welt gegangen, um das Glück zu suchen; wenn man jung ist, hat man solche Ideen, – Glück – als ob man es suchen, sich einfangen oder von den Bäumen schütteln könne! Ich habe nichts gefangen, nichts von den Bäumen geschüttelt, nichts gefunden; ich kehre zurück, gerade so arm, wie ich gegangen bin!«
»Sie kehren zurück,« fiel Madame ein, »der Ort, wohin Sie zurückkehren, ist dann doch Ihre Heimat!«
Wenn Sie wollen, ja. Aber ich finde niemand dort, der mir verwandt wäre, keine Scholle Landes, die mir gehörte, kein Dach, dessen Schutz mich erwartete.«
»So nehmen Sie Dienste, mein Mann, der Adjutant des Großherzogs, wird gewiß alles aufbieten, Ihnen dabei behilflich zu sein; ich werde Sie ihm vorstellen ...«
»Ich danke Ihnen für Ihre Güte,« antwortete der Fremde lächelnd. Nach einer Pause sagte er: »Vielleicht werde ich in der Tat Ihre Güte in Anspruch nehmen. Ich habe eine Angelegenheit zu betreiben, bei welcher mir eine Fürsprache bei dem Großherzog von großer Fördernis sein könnte.«
»O zweifeln Sie nicht,« rief Madame mit großem Eifer aus. »Wenn Sie mich schon jetzt in Ihre Angelegenheit einweihen wollten –«
»Ich weiß nicht, ob Ihnen dieselbe ganz verständlich ist. Es liegt im Großherzogtum ein Gut, welches meinem Vater gehörte. Der letztere war leider durch unglückliche Umstände so in Schulden geraten, daß es nach seinem Tode den Gläubigern anheimfiel. Mir blieb nichts davon übrig und deshalb verließ ich, wie ich schon sagte, die Heimat. Das Gut, von dem ich Ihnen rede, war aber ein Lehnsgut. Es durfte nicht veräußert, nur die Einkünfte konnten den Gläubigern überlassen werden. Seitdem das Land unter französischer Herrschaft steht, ist jedoch das Lehnswesen aufgehoben. Infolge davon wird das Gut meines Vaters bereits veräußert sein und dann darf ich hoffen, daß der Verkauf einen Ueberschuß über den Schadenbetrag ergeben hat, welchen ich ausgeantwortet zu erhalten hoffe, Oder es ist noch nicht veräußert. In diesem Falle werde ich meine Rechte geltend machen dahin, daß man mir den Besitz einräume; ich werde dann durch die jetzt gesetzlich erlaubte Veräußerung einesteils die Schulden abtragen und mir einen kleinen Rest meines