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      Ricky war in den Sonnenwinkel gekommen, um noch einen letzten Durchgang durch ihr Haus zu unternehmen, das Gerda Schulz nach ihrer Entdeckung fluchtartig verlassen hatte.

      Nichts erinnerte mehr an diese skrupellose Frau, die sich ein Kind genommen hatte wie einen Artikel aus einem Regal im Supermarkt. Das war durch nichts zu entschuldigen, auch nicht damit, dass Gerda, oder wie sie in Wirklichkeit auch heißen mochte, das Baby nicht entführt hatte, sondern dass sie es und das Lösegeld auf einem einsamen Bauernhof gefunden hatte.

      Einer Mutter einen solchen Schmerz zuzufügen, dazu gehörte schon eine ganz schöne Kaltblütigkeit. Nun, es war vorbei, und Ricky war froh, das Haus nicht verkauft zu haben, wie es ursprünglich vorgesehen war. Sie hätte dann jetzt zwar nichts mehr damit zu tun, aber das Haus wäre von einem Treuhänder verkauft worden, an wen auch immer. Und ein Störenfried in der Siedlung konnte die ganze Gemeinschaft zerstören.

      Es war vorbei, Isabella Duncan, die leibliche Mutter des entführten Kindes, wollte mit nichts was zu tun haben, hatte alles im Namen ihrer Tochter freigegeben. Und sie war sogar so großzügig gewesen anzubieten, für alle Kosten aufzukommen, die durch die abrupte Flucht entstanden waren. Wirklich großherzig. Zum Glück war das nicht nötig gewesen, Gerda hatte mehrere Mieten als Kaution bezahlt, und Häuser gingen im Sonnenwinkel weg wie warme Semmeln. Ein Nachmieter war gefunden. Das, was diese Frau zurückgelassen hatte, war verkauft, und ein Heim für behinderte Kinder hatte einen Scheck in Empfang genommen, den Ricky noch großzügig aufgerundet hatte.

      Nach einem letzten Durchgang verließ Ricky das Haus, in dem sie und ihr Fabian ihre Ehe begonnen hatten, in dem ihre Erstgeborenen die erste Zeit ihres Lebens verbracht hatten.

      Sie blickte auf ihre Armbanduhr, ein bisschen Zeit hatte sie noch, und die wollte sie in ihrem Elternhaus verbringen. Ihren Vater traf sie ja nicht immer an, doch ein Schwätzchen mit ihrer Mutter war immer schön, und wenn die ebenfalls nicht daheim war, dann wohnten nebenan die Großeltern, die Ricky über alles liebte.

      Den Sonnenwinkel würde sie immer in schöner Erinnerung behalten, aber zurückkehren würde sie nie mehr. Und das sah auch Fabian so, ihr Ehemann, den sie liebte, seit sie damals hergezogen waren.

      Ricky wurde beinahe sentimental, wenn sie daran dachte. Was war seitdem nicht alles geschehen, sie waren verheiratet, aber sie liebten sich noch immer wie am ersten Tag. So war es wohl, wenn man seinen Seelenpartner gefunden hatte. Und sie waren vernarrt in ihre Kinder.

      Lächelnd fuhr Ricky vor ihrem Elternhaus vor, dieser wunderschönen Villa, die hier schon gestanden hatte, ehe der Architekt Carlo Heimberg die Siedlung gebaut hatte.

      Sie sprang aus dem Auto, klingelte Sturm, ihre Mutter öffnete, und Ricky fiel ihr um den Hals. Die Zeit war auch an ihrer Mutter nicht spurlos vorübergegangen, aber sie war noch immer eine schöne Frau.

      »Hallo, Mama«, rief Ricky, »ich hätte Lust auf einen Kaffee, und ich möchte dir etwas sagen.«

      Inge Auerbach freute sich immer, ihre Tochter zu sehen, doch jetzt blickte sie ein wenig enttäuscht drein.

      »Hast du die kleine Teresa nicht mitgebracht?«, wollte Inge wissen, die ganz verliebt in ihr jüngstes Enkelkind war. Ricky lachte.

      »Mama, sie ist doch noch so klein, da braucht sie noch viel Ruhe, und ehe du dich jetzt besorgt erkundigst, für sie ist gesorgt. Oma Holper passt auf sie auf, und sie macht das genauso großartig wie für unsere anderen Kinder.«

      Oma Holper war anfangs für Inge so etwas wie ein rotes Tuch gewesen, sie war auf diese Frau eifersüchtig gewesen. Doch das war längst vorbei, Oma Holper liebte die Nachbarskinder und riss sich für sie fast ein Bein aus.

      Sie gingen in die Küche, Kaffee stand bereits bereit, als habe Inge geahnt, dass ihre Tochter vorbeikommen würde. Also schenkte Inge schnell den Kaffee ein, stellte einen Teller mit Keksen bereit, den es bei den Auerbachs immer gab, dann blickte sie ihre Tochter erwartungsvoll an, der niemand ansehen würde, dass sie Mutter von so vielen Kindern war. Sie sah selber noch aus wie ein großes Kind mit ihrer schmalen Figur und ihrem kessen Pferdeschwanz.

      »Warst du bei deinen Schwiegereltern und hast einen Abstecher hierher gemacht?«, wollte Inge wissen.

      Ricky stopfte erst einmal zwei Kekse in den Mund, weil die so lecker waren, dann erzählte sie ihrer Mutter, weswegen sie sich im Sonnenwinkel aufhielt.

      »Es ist alles perfekt, der neue Mieter kann einziehen, und er wird den Schlüssel bei dir abholen, ist dir das recht?«

      Natürlich war es Inge recht, sie hatte sich ja meistens um das Haus gekümmert.

      »Und wer ist es von den Bewerbern geworden, die ihr da an der Hand hattet?«, erkundigte Inge sich.

      Ricky lachte.

      »Niemand von denen, es ist ganz anders gekommen. Fabian hat auf einer internationalen Lehrerkonferenz einen alten, von ihm sehr geschätzten Kollegen getroffen. Und da kann man mal sehen, wie klein die Welt ist, Herr Dr. Bredenbrock wird zum Schuljahrbeginn am Gymnasium in Hohenborn Mathematik und Physik unterrichten. Er hat unser Haus unbesehen gemietet, und er ist froh, sich um eine Bleibe nicht mehr kümmern zu müssen. Er hat mit dem Umzug und mit seinen beiden Kindern hinreichend zu tun.«

      »Und seine Frau, kümmert sich die denn nicht?«

      Es war klar, dass ihre Mutter eine derartige Frage stellen musste. Bei den Auerbachs war es Inge, die alles in die Hand nahm, die sich kümmerte, die organisierte.

      Ricky trank etwas Kaffee, griff erneut in den Keksteller, aber bei ihr konnte man unbesorgt sein, sie konnte essen was sie wollte und musste sich keinen einzigen Gedanken um eventuelles Hüftgold machen.

      »Dr. Bredenbrock ist alleinerziehend«, erklärte Ricky, und ehe ihre Mutter weitere Fragen stellen konnte, fuhr sie fort: »Seine Frau hat ihn und die Kinder verlassen, sie ist mit einem Musiker durchgebrannt, sie wollte sich an dessen Seite verwirklichen.«

      Inge musste erst einmal ihre Kaffeetasse abstellen. Natürlich passierte so etwas immer wieder, einmal wurde die Frau verlassen, ein andermal der Mann, wobei es doch häufiger die Männer waren, die ihre Frauen verließen, um sie gegen ein jüngeres Modell einzutauschen. Dass eine Mutter ihre beiden Kinder verlassen konnte, das war etwas, was Inge niemals begreifen könnte. So etwas war für sie unvorstellbar, und für solche Frauen fand sie auch keine Entschuldigung, obwohl Inge sonst eine sehr tolerante Person war.

      Ricky wusste, dass ihre Mutter sich über ein solches Thema ereifern konnte. Und darauf hatte sie keine Lust. An der Tatsache, dass diese Frau abgehauen war, war nichts zu ändern, und niemand hier kannte den Grund. Es konnte doch auch sein, dass Dr. Bredenbrock ein unleidlicher Mensch war, bei dem es die Frau nicht ausgehalten hatte, dass er sie so genervt hatte, dass sie fliehen musste.

      Ricky hütete sich davor, über Menschen zu reden, die sie nicht kannte. Sie holte schnell ihr Smart­phone aus der Tasche und erkundigte sich: »Mama, willst du die neuesten Fotos von unserem Sonnenschein sehen?«

      Und ob Inge das wollte.

      Was gingen sie die Bredenbrocks an, die sie nicht einmal kannte.

      Aber Teresa …

      Inge liebte all ihre Enkelkinder, aber es war normal, dass man den Neuankömmlingen zuerst einmal mehr Aufmerksamkeit schenkte.

      »Ach, Ricky, sie ist ja so süß, und ich finde, sie hat wirklich Ähnlichkeit mit Oma.«

      Wieder lachte Ricky.

      »Finde ich auch, sie hat auf jeden Fall Omis Energie, Teresa weiß schon jetzt, sich zu behaupten. Sie ist viel fordernder, als meine anderen Süßen es in dem Alter waren. Es ist so toll, Kinder zu haben. Apropos Kinder, wo ist eigentlich Pam? Und läuft es bei euch wieder so richtig gut?«

      Inge begann zu strahlen. »Es läuft ganz großartig. Es ist so, als sei sie niemals weg gewesen, aber natürlich sparen wir so manches Thema auch aus, das verfänglich werden könnte.«

      Typisch ihre Eltern.

      »Mama, du weißt aber schon, dass

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