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Vampir war oder aber die Gene einer Fledermaus in sich trug. Mit schlafwandlerischer Sicherheit wich der Kerl jedem Hindernis aus, ohne auch nur den Blick zu heben. Er musste Schallwellen aussenden, eine andere Erklärung gab es nicht. So auch heute. Zielstrebig trabte er auf die Rezeption zu und wich in allerletzter Sekunde dem Mauervorsprung aus, auf dem diverse Blumentröge standen. Jeder andere hätte in diesem Augenblick an der Rückwand des Gebäudes geklebt, nicht so Fernando. Er fand problemlos den Eingang, und genauso problemlos fand sein Kopf Lupes Schulter.

      »Gmpf!«

      Lupes ausgeprägter Mutterinstinkt verhinderte, dass sie den frechen Bengel einfach abschüttelte wie ein lästiges Insekt. »Nando, ich habe dich ja auch lieb, aber wir sind alle müde, außerdem müsst ihr jetzt sofort raus, ich höre die Busse.«

      Tatsächlich ertönte in der morgendlichen Stille das Geräusch der beiden großen Reisebusse.

      »Na dann«, ich stupste Roberta sachte in die Rippen, »wollen wir wieder einmal ›Bye Bye‹ sagen.«

      Wie von Zauberhand erschien auf unseren Gesichtern ein strahlendes Lächeln, was vor allem bei Fernando ausgesprochen amüsant wirkte, und wir traten in die Einfahrt des Clubs, wo die beiden Busse soeben fauchend ihre Türen öffneten.

      »Wie viele?« Ich warf Lupe einen Blick zu. Die nahm ein Klemmbrett von ihrem Schreibtisch und blätterte durch die Liste. »Zweiundvierzig.«

      Roberta und Fernando stellten sich an den Einstieg des ersten Busses, ich winkte den soeben atemlos herbeieilenden Carlos zu mir. »Konnten wir uns mal wieder nicht losreißen, was?«

      Er verzog keine Miene. »Ich schon, aber sie nicht. Keine Panik, jetzt bin ich ja da.«

      Aus dem Augenwinkel nahm ich ein verweintes, rotes Gesicht wahr. Eine schwere Reisetasche schleppend, war das Mädel schon wieder in Carlos‹ Richtung unterwegs.

      »Achtung!«

      »Danke, ich sehe sie schon.«

      Carlos nahm von Lupe die Liste für Bus 2 in Empfang und wir stellten uns neben den Eingang.

      Ich holte tief Luft. »Guten Morgen, liebe Gäste. Wir wissen, ihr seid müde und wollt nur eure Ruhe. Aber ihr kennt uns ja inzwischen, ein bisschen nerven müssen wir einfach, sonst sind wir nicht glücklich.« Verhaltenes Gelächter war die Antwort und ich fuhr erleichtert fort.

      »Wir hoffen, ihr habt noch ein vernünftiges Frühstück bekommen, sofern man um diese Zeit überhaupt etwas hinunterbringt. Abgesehen davon müssen wir uns nun von euch verabschieden. Es hat uns allen großen Spaß mit euch gemacht, wir wünschen eine gute Heimreise und hoffen, dass ihr uns in guter Erinnerung behalten werdet, trotz allem, was wir mit euch angestellt haben.«

      Da alle applaudierten – Müdigkeit hin, früher Morgen her –, schien ihr Aufenthalt den Erwartungen gerecht geworden zu sein.

      »Carlos und ich werden nun die Namen all derer aufrufen, die in Bus 2 einsteigen müssen, um uns dann um euer Gepäck zu kümmern, Roberta und Fernando tun das Gleiche bei den Gästen, die für Bus 1 vorgesehen sind.«

      Abwechselnd und zügig hintereinander riefen wir die Namen der Passagiere auf, hakten ab, drückten Hände, umarmten lieb gewonnene Gäste, wobei ein Paar Arme länger als nötig Carlos Hals umklammerte, ehe er sie vorsichtig löste und beruhigend auf das todtraurige Mädchen einredete. Endlich war auch es im Bus, die beiden Fahrer grüßen, wir nickten, die Türen schlossen sich, was immer nach Raumschiff klang, und schon fuhren sie langsam aus der Einfahrt.

      Wieder einmal entschwanden zweiundvierzig Menschen, die eine kleine Weile unser Leben begleitet hatten, auf wahrscheinlich Nimmerwiedersehen.

       3

      

      Lupe steckte ihren Kopf durch die Eingangstür. »Ihr Lieben, ich bereite schon mal alles für diejenigen vor, die heute im Laufe des Tages kommen. Sind immerhin schon wieder zweiunddreißig. Seht zu, dass ihr noch ein wenig Schlaf bekommt. Bis später.« Die Tür klackte ins Schloss und auf dem Vorplatz herrschte, bis auf das Gezwitscher zahlreicher Vögel, wieder absolute Ruhe.

      Carlos wandte sich uns mit zufriedenem Lächeln zu. »Na, amigos, was ist? Kaffee, Kippe, Sonnenaufgang, oder?«

      Wir sahen uns nur kurz an und antworteten mit einhelligem Nicken. Roberta hakte sich bei mir unter, Carlos und Fernando gingen voraus, und so verließen wir eiligen Schrittes das Clubgelände und strebten dem kleinen Fischerhafen von Santa Eulalia entgegen. Um diese Zeit befanden sich die Fischer entweder bereits auf dem Meer oder waren soeben dabei abzulegen.

      Und dann war da noch die kleine, urige Bar unseres Freundes Tikko, die täglich von vier Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags geöffnet war. Wie immer wurden wir freundlich begrüßt. Die derben Witze, die unweigerlich folgten, waren liebevoll auszulegen und Roberta und ich waren nicht um eine Antwort verlegen.

      »Cara, Mädel, wenn du nicht endlich den Schönling da ranlässt, dann muss ich denken, dass du doch lieber mich wählen würdest, einen ganzen Mann.«

      Ich drehte mich langsam um und musterte Pablo, der grinsend mit den Fingern durch seinen Vollbart pflügte, mit sorgenvoller Miene.

      »Pablo, im Ernst jetzt? Deine Frau, vier Kinder und dann auch noch ich? Glaub mir, das schaffst du nie im Leben.« Ich klopfte ihm auf den imposanten Bauch, über dem sich die Fischerhose spannte. »Aber für den Fall, dass ich mich eines Tages umentscheiden sollte, lass ich es dich sofort wissen, in Ordnung?«

      Pablo lachte und tätschelte mir mit seiner riesigen Pranke gutmütig die Schulter. »Pass auf dich auf, Mädel, du bist doch unser Sonnenschein.«

      Ich fühlte, wie ich am Arm ergriffen und sachte mit fortgezogen wurde.

      »Keine Angst, Pablo. Das mit dem Aufpassen übernehm dann mal ich.« Carlos schob mich zu der weißgetünchten Mauer, auf der wir oft saßen, und half mir hinauf. Er musterte mich besorgt. »Alles klar bei dir?«

      »Aber sicher, ich bin nur müde. Was soll denn nicht in Ordnung sein? Du weißt doch, wenn ich vor Sonnenaufgang aufstehen muss, bin ich zu nichts zu gebrauchen.«

      Er zuckte die Schultern. »Dann sorgen wir dafür, dass du wach wirst, ich hol mal Kaffee.« Mit Fernando im Schlepptau verschwand er in der Bodega.

      Ich ließ meinen Blick über die Bucht gleiten, sah die Boote mit ihren am Bug befestigten Laternen draußen auf dem Meer. Wie große Glühwürmchen schaukelten sie auf den sanften Wellen, während sich über ihnen der Mond anschickte, sich zur Ruhe zu begeben. Vereinzelt hörte man die Fischer singen und einige klangen ausnehmend schön.

      Die Mauer war in zwei Etagen gebaut, sodass man wie auf einer Bank gemütlich sitzen konnte. Tagsüber war es hier trotz einiger Sonnenschirme fast zu heiß, um diese Zeit aber war es sehr angenehm und die Stimmung der ausklingenden Nacht unvergleichlich. Auch wenn ich das frühe Aufstehen hasste, das hier versöhnte mich immer wieder mit den Umständen. Carlos und Fernando kamen auf uns zu, jeder zwei volle Gläser Café con leche in Händen.

      Während Fernando Roberta versorgte, setzte Carlos sich vorsichtig hinter mich und streckte seine langen Beine links und rechts von mir aus.

      »Mit zwei Päckchen Süßstoff. Und umgerührt ist auch schon.« Er drückte mir das Glas in die Hand, das er wie immer mit einer Papierserviette umwickelt hatte, damit ich mich nicht verbrannte.

      Ich nippte an dem heißen, süßen Kaffee. »Perfekt, vielen Dank.«

      Behutsam stellte ich das Glas neben uns ab, schmiegte mich an Carlos‹ warmen Oberkörper, verrenkte mich ein wenig und zog ein Päckchen Marlboro Lights aus meiner Hosentasche. Ich konnte gar nicht so schnell nach meinem Feuerzeug greifen, wie auch schon eine Flamme neben meinem Gesicht aufloderte. Ich hielt meine Zigarette an die Flamme und beobachtete wie so oft das Kunststück, bei dem Carlos seine Corona zuerst aus der Packung und dann so in die Höhe schnippte, dass sie einen Doppelsalto in der Luft beschrieb und exakt zwischen seinen leicht geöffneten Lippen landete.

      Ich

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