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sie wollten sich vor den Dreckspritzern in Sicherheit bringen, die bei jedem Schritt von meinen matschigen Converse in alle Richtungen stoben. Mir war es egal, ich wollte nur noch ins Trockene.

      Noch immer ziemlich angesäuert stieß ich die Tür zum CADU, dem Café an der Uni, auf.

      »Tu mir nichts, dann tu ich dir auch nichts. Cara, im Ernst, entspann dich.« Stefanie, meine Freundin und Kommilitonin, musterte mich besorgt.

      Ich ließ mich auf den Korbstuhl, der neben dem Tisch stand, fallen und atmete ein paar Mal tief durch. »So, besser. Sehe ich echt so schlimm aus?«

      Stefanie nickte mit sorgenvoll gerunzelter Stirn. »Ja, dir steht die Mordlust ins Gesicht geschrieben.«

      »Also mal ehrlich, schau doch aus dem Fenster. Die vierte Woche in Reihe mit dem absoluten Dreckswetter. Wonnemonat Mai, dass ich nicht lache.« Knurrend versuchte ich meine langen Beine unter den Bistrotisch zu schieben, was angesichts des Platzmangels hier drin und den eng stehenden Sitzgruppen gar nicht leicht war. Seufzend schob ich die Ärmel meines pinkfarbenen T-Shirts hoch – meines tropfnassen, pinkfarbenen T-Shirts.

      »Das ist unerträglich. Ich brauche Sonne, um zu leben, so existiere ich nur.«

      »Was darf’s denn sein?« Meine Lieblingskellnerin Nina war neben uns aufgetaucht, wie immer so leise, dass ich sie zuerst nicht bemerkt hatte.

      Ich zauberte ein Lächeln auf meine Lippen, denn sie konnte ja nun wahrlich nichts dafür. »Hi Nina, einen Milchkaffee bitte, eine Butterbreze und ein halbes Pfund Sonne.«

      »Tut mir leid, Süße, Sonne ist leider gerade aus, der Rest kommt sofort.« Nina tätschelte mir mitleidig die Schulter und war so flott wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht war.

      Ich sah ihr bewundernd hinterher. »Ab und an ist sie mir unheimlich. So schnell kann sich doch kein normaler Mensch bewegen.«

      Stefanie zog eine Grimasse. »Nina ist auch kein normaler Mensch. Nach acht Jahren Ballett kannst du dich gar nicht mehr anders bewegen. Glaube ich zumindest.« Sie drehte sich zu mir, stützte ihre Ellbogen auf der Tischplatte auf und legte ihr Kinn auf die ineinander verschränkten Finger. »Aber ich wollte eigentlich nicht über Nina reden. Du bist es, die mir Sorgen macht.«

      »Ich?« Sofort war ich in Habachtstellung. »Mit mir ist alles in Ordnung, oder sehe ich so mies aus?«

      »Alles in Ordnung? Cara, das kannst du deiner Oma erzählen. Ich bin deine beste Freundin, glaubst du im Ernst, ich würde es nicht bemerken, wenn dich etwas belastet? Seit einer Woche läufst du mit einer Leichenbittermiene durch die Welt, die erschreckend ist. Würde ich dich nicht besser kennen, dann hätte selbst ich ab und zu Angst vor dir.«

      »Angst? Übertreibst du jetzt nicht ein kleines bisschen?«

      Statt einer Antwort griff Stefanie mit einer fließenden Bewegung in ihre Basttasche und zog einen kleinen, runden Gegenstand heraus, den sie mir vor die Nase hielt. Erst als ich mich in ihrem Spiegel erblickte, verstand ich, wovon sie redete. Das war nicht ich, oder vielmehr war ich das schon, aber nicht so, wie ich sein sollte. Das war zwar mein Gesicht, aber nicht das einer Zweiundzwanzigjährigen. Nein, das waren die verbitterten Züge einer Frau, die im Leben keinen Spaß mehr erwartete. Meine blaugrünen Augen lächelten nicht mehr, so wie sie es sonst getan hatten. Sie sahen mich müde und traurig an, und ich rutschte schuldbewusst ein wenig tiefer in meinen Korbstuhl.

      »O Mann, das sieht echt böse aus.«

      Selbst meine langen, dunkelblonden Haare, die sonst dank Dichte und Glanz dafür sorgten, dass man nicht so genau auf mein Gesicht achtete, klebten feucht und stumpf an meinem Kopf.

      »Ich sehe ja richtig scheiße aus.«

      »So drastisch würde ich das jetzt zwar nicht sagen, aber du hast schon mal besser ausgesehen, das stimmt wohl.« Nina stellte den Pott mit dampfendem Milchkaffee vor mir ab und schob den Teller mit der Breze daneben. »Wann bist du denn mal wieder in Spanien? Das täte dir sicher gut. Sonne, Strand und spanische Lebensfreude.«

      Na toll, nun machte sich schon unsere Bedienung Sorgen um meinen Allgemeinzustand.

      »Mach dir keine Gedanken, Nina, das wird schon wieder. Und Spanien steht sicher bald wieder auf dem Plan.«

      »Ja? Okay, dann bin ich beruhigt. Wenn ihr noch was braucht, einfach in meine Richtung winken, ihr wisst ja.« Nina entschwebte lächelnd und ich kippte fünf Stück Süßstoff in meine Tasse.

      »Pfui Deibel, wie kannst du diese süße Brühe denn trinken?«

      Ich rammte den langstieligen Löffel in den Milchkaffee und rührte um, als hinge mein Leben davon ab.

      »Erstens mag ich es süß und zweitens ist das Leben bitter genug. Muss ich nicht auch noch beim Kaffee haben. Danke.«

      Stefanie trank einen großen Schluck ihres schwarzen Tees, ehe sie sich mir gänzlich zuwandte. »So, und jetzt ist Schluss mit lustig. Cara, meine Liebe, du erzählst sofort, was los ist. Und keine Ausflüchte, haben wir uns verstanden?«

      Ich nickte ziemlich kleinlaut. Wenn Steffi diesen Ton anschlug, dann war mit ihr nicht mehr gut Kirschen essen. Also holte ich tief Luft, trank von meinem Kaffee und suchte nach dem richtigen Anfang. »Also, nach dem Abitur habe ich nur auf ausdrücklichen Wunsch meines Vaters eine Ausbildung zur Reisekauffrau angefangen. Das war ja auch vollkommen in Ordnung, denn erstens wollte ich nicht studieren und zweitens kam das meinen Wünschen, später im Ausland zu arbeiten, sehr entgegen. Ich glaube, ich habe dir erzählt, dass mein Dad stinkwütend darüber war, dass ich mein Praktikum in Madrid und nicht in London gemacht habe. Für ihn scheint London das Auge der Welt zu sein, wenn’s um Ausbildung geht. »

      Stefanie nickte mit grimmiger Miene. »Dein Vater hat ein Rad ab, aber das habe ich ja schon ein paar Mal angemerkt. Erzähl weiter.«

      »Fakt ist, dass ich nach erfolgreicher Beendigung der Ausbildung für mein Leben gerne in Spanien arbeiten wollte.« Unglücklich nuckelte ich an meinem Getränk. »Aber er bestand darauf, dass ich unbedingt Anglistik studieren müsse, um meine internationalen Chancen zu verbessern. Du warst schließlich eine der Besten in deinem Jahrgang, willst du dein Können in einer spanischen Hotelklitsche vergeuden? Bloß weil er vor ewiger Zeit in London und Dublin studiert hat und seine Karriere dann auch in London losging.«

      »Davon hab ich ja noch gar nichts gewusst. Da bin ich aber froh, dass er dir gestattet hat, in München zu studieren, sonst hätte ich dich überhaupt nicht mehr gesehen.«

      Ich nickte. »Ja, aber das war trotzdem für mich eine verdammt schwere Entscheidung. Ich habe mich in die Ausbildung nur so reingehängt, weil ich hoffte, dann endlich unabhängig zu sein. Weg von ihm, von seinen überkandidelten Plänen in Sachen ›Das Leben meiner Tochter‹. Und nun sitze ich wieder für vier Jahre in einem Hörsaal fest.«

      Meine Freundin legte mir tröstend ihre Hand auf den Arm. »Warum in aller Welt hast du denn dann wieder zugestimmt? Himmel noch eins, du bist schließlich volljährig.«

      Ich wand mich ein bisschen. Ja, volljährig war ich wohl, aber andauernd standen mir meine Erziehung und mein wohlgenährtes Pflichtgefühl im Weg. »Ich hatte Angst, meine Eltern zu enttäuschen nach allem, was sie in mich investiert haben.« Ich biss frustriert in die knusprige Breze.

      »Cara, hey, spinnst du? Erde an Cara, bitte melden! Du hast immer getan, was sie erwartet haben, hast ihre Wünsche erfüllt. Sag mal, gibt es dich da drinnen eigentlich noch irgendwo oder bist du nur noch eine wandelnde Hülle, in die deine Altvorderen ihre eigenen Wünsche projizieren?«

      Autsch! Damit war es ihr gelungen, einen der wohl wundesten Punkte meines Daseins zu treffen. Andauernd lebte ich in der Angst, irgendwen zu enttäuschen oder gar zu verletzen. Dass stattdessen immer ich es war, die Enttäuschungen wegstecken musste, akzeptierte ich klaglos. Daher zuckte ich die Schultern. »Was soll ich denn tun? Glaub mir, ich habe so oft versucht, über meinen Schatten zu springen. Aber jedes Mal lande ich in dem übermächtigen meines Erzeugers. Der Herr Stararchitekt erwartet eben von seiner einzigen Tochter, dass sie ebenso erfolgreich wird wie er.«

      »Aber

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