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Clubfarben Blau und Gelb und traf nach dem dritten Versuch auch das zweite Hosenbein meiner Shorts. Make-up war um diese Tageszeit sowieso zwecklos, also beließ ich es bei einem Hauch Rosé auf den Lippen, einer guten Dosis Deo sowie einem Tröpfchen Moschusöl, das zumindest annähernd meine Lebensgeister weckte. Den Lichtschalter fand ich erst nach dem dritten Anlauf – okay, das mit den Lebensgeistern sollte ich noch mal üben. Leise, um Silvie, meine deutsche Mitbewohnerin, nicht zu wecken, schlich ich mich aus unserem Apartment, das wir uns mit Carlos und Andy teilten. Ein durchaus erwähnenswerter Umstand, da wir nicht – wie eigentlich üblich - mit zwei weiteren Frauen zusammenwohnten. Doch sowohl Carlos als auch Andy weigerten sich beharrlich, ein Apartment mit Fernando und José, den beiden Rettungsschwimmern, Surflehrern und – im Notfall – Barkeepern zu teilen. Sie schätzten die Ruhe und Ordnung bei Silvie und mir, und nachdem wir nur zu gut wussten, wie es meist bei Fernando und José aussah, hatten wir vollstes Verständnis dafür. Abgesehen davon waren wir eine eingeschworene Gemeinschaft, die vier Musketiere, die so leicht niemand voneinander trennen konnte.

      Drei Zimmer, Küche, Bad, Gästetoilette und eine uneinsehbare, leicht verwilderte, kleine Terrasse, die zum Meer hinausging. Dass man es nur hören, aber nicht sehen konnte, lag daran, dass wir am Rand der Anlage direkt an der blickdichten, hohen Hecke wohnten. Alles hat seine Vor- und Nachteile. Worauf ich noch immer mit großer Neugier harrte, war der Tag, an dem unser englischer Technikprofi Andy endlich zugeben würde, dass er die räumliche Nähe zu Silvie noch aus einem ganz anderen Grund sehr schätzte. Es war kompliziert. Männer!

      Die Nächte waren nicht sehr viel kühler als die Tage. Dieser Sommer war besonders heiß und 38°C waren keine Seltenheit. Jetzt, zu dieser frühen Morgenstunde, zeigte das Thermometer an unserer Hauswand bereits respektable 22°C. Ich steckte die Hände in die Taschen meiner Shorts und trabte, noch ein wenig geistesabwesend, in Richtung Empfangsbereich.

      Der salzige Geruch nach Meer lag in der Luft, vermischt mit dem Duft zahlloser Blüten. Wenn man sah, wie üppig hier Pflanzen blühten, die in Deutschland oder England gerade mal respektable Blumentopfgröße erreichten, dann verstand man den Frust zahlloser Hobbygärtner. Immer wieder kauften sie Samen und Setzlinge und wunderten sich sehr, warum diese Pflanzen dann im heimischen Garten nie so aussahen wie hier. Nur mit Kakteen klappte es halbwegs. Ich mochte sie als Hauspflanzen, ja, Kakteen waren pflegeleicht und die konnte daher selbst ich durchaus in die engere Wahl nehmen.

      Ich lief über die bereits von dienstbaren Geistern sauber gefegten Pfade des Clubs, vorbei an der großen, nierenförmigen Poolanlage, dem Schwimmerbecken und dem inzwischen, wie jeden Morgen, wieder ganz vernünftig riechendem Kinderbecken. Ich liebe Chlor!

      Als ich gerade auf den Hauptweg abbiegen wollte, der direkt an der Rezeption endete, vernahm ich eine altvertraute Stimme.

      »Corazon, du bist die Liebe meines Lebens. Ich werde dich mehr vermissen, als du ahnst.«

      Eigentlich wäre es nicht nötig gewesen hinzusehen, doch ich konnte es mir, wie immer, nicht verkneifen. Dort, im schwachen Schein einer Laterne, unter einem der weißen Torbögen, die das Gelände überzogen und stets von Unmengen an bunten Bougainvillea überwuchert waren, stand er und hielt ein hellblondes, leise schluchzendes Mädchen in den Armen.

      Carlos! Der größte und erfolgreichste Ladykiller seit Giacomo Casanova.

      Der berühmte Italiener hätte sich verflucht warm anziehen müssen, um mit dem geborenen Madrider mithalten zu können. Kaum kam eine neue Reisegruppe an, schon war es um mindestens die Hälfte aller weiblichen Gäste geschehen, und ich konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Mit gut einem Meter neunzig, einem gestählten Körper, der wohl noch nie ein Gramm Fett angesetzt hatte und somit an der Grenze zur Perfektion stand, bot Carlos einen beeindruckenden Anblick. Dazu kamen seine dichten, dunkelbraunen Haare, die ihm in ungebändigten, seidig glänzenden Wellen bis über die breiten Schultern fielen, die fast schwarzen Mandelaugen, die von Wimpern beschattet wurden, für die jede Frau – und zwar wirklich jede – auf der Stelle töten würde, ganz abgesehen von diesem sinnlichen Mund, der unsere weiblichen Gäste in Ekstase versetzen konnte. Um dem Gesamterscheinungsbild die Krone aufzusetzen, bewegte sich der ausgebildete Tänzer und gelegentliche Werbeträger für Herrendüfte mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze. Und dieser Ausbund an Jungmädchenfantasien stand nun etwa fünf Meter von mir entfernt und versuchte sein Möglichstes, um Susi, June, Robin oder wie auch immer sein aktuelles Opfer heißen mochte zu beruhigen und die letzten Minuten ihres Aufenthaltes unvergesslich zu gestalten. Er stand an den Torbogen gelehnt und hielt sie in den Armen, während sie sich an ihn klammerte und haltlos schluchzte. Natürlich erspähte er mich sofort und ich grinste ihn breit an. Er formte mit seinen Lippen einen Luftkuss und klimperte mit den Wimpern. Wenn ich jetzt laut lachte, hätte er ein Problem. Aber er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich das nie tun würde. Daher verdrehte ich lediglich die Augen, schüttelte betont entrüstet den Kopf und trollte mich zur Rezeption. Als ich die Tür zum Büro öffnete, begrüßte mich grelles Neonlicht, das jeden Menschen umgehend in einen Zombie verwandelte, ganz besonders zu dieser Tageszeit. Ich kniff die Augen zu Schlitzen zusammen.

      »Leute, kann mir einer sagen, warum in jedem, aber wirklich jedem Büro dieses abgrundtief hässliche Neonlicht sein muss?«

      Lupe, die kleine, rundliche und selbst zu dieser Zeit gut gelaunte Rezeptionistin, lächelte mir nachsichtig entgegen. »Damit du, meine liebe Cara, etwas hast, das dich aufweckt. Aber warte mal, ich hab da eine Idee, wie ich deine Laune verbessern könnte.«

      Lupe, blass wie immer, rückte ihren gigantischen, schwarzen Dutt zurecht und wuselte in die Miniküche, die sie sich hier vorne eingerichtet hatten, um nicht wegen jedem Kaffee in eines der Restaurants laufen zu müssen. Nur ein paar Augenblicke später kam sie zurück und balancierte eine bauchige Tasse, aus der es himmlisch duftete. Strahlend hielt sie mir das Getränk entgegen.

      »Café con leche, aber mit Vanillesirup, nicht das heftige Zeug aus der Maschine. Na, ist das was? Wirkt sich das positiv auf deine Stimmung aus?«

      Ich war gerührt. Jedes Mal, wenn ich am frühen Morgen hier anschlurfen musste, hatte sie etwas für mich auf Lager.

      Vorsichtig griff ich nach dem Kaffee und drückte Lupe gleichzeitig einen dicken Kuss auf die runde Wange. »Danke, Lupe! Und schon wieder rettest du mir das Leben.«

      Sie seufzte leise. »Na, dafür bin ich doch da.« Ihr wacher Blick, für den ich sie wahrlich bewunderte, wanderte durch den Raum. »Wo stecken denn die anderen eigentlich?«

      »Na, hier zum Beispiel.« Aus dem Ledersofa im Durchgang zum weitläufigen Empfangsraum erhob sich eine schmale Silhouette, die sich erst einmal herzhaft reckte und streckte.

      Lupe schob ihre Brille auf die Nase und musterte die verschlafene Gestalt über die Ränder hinweg. »Ah, Roberta, na los, nun heißt es aber wach werden und zwar schnell. Magst du auch einen Kaffee?«

      »Nein Leute, keine Zeit mehr.« Ich deutete durch die offene Hintertür hinaus auf die Wege.

      Langsam und sichtlich müde kamen die Gäste auf das Gebäude zu. Ihre Koffer wurden derweil von dienstbaren Geistern auf knatternden Transportwägen vor dem Club abgestellt, um in die Busse verladen zu werden, sobald diese eintrafen. Ich trank ein paar Schlucke von meinem leckeren Gebräu und hielt Roberta die halb volle Tasse unter die Nase. Die niedliche Italienerin war bei uns für die Kinderbespaßung zuständig und an den Abenden Teil der Club-Show. Ihr schwarzer Wuschelkopf war heute noch ungebändigter als sonst und die runden Haselnussaugen verrieten eklatanten Schlafmangel.

      »Na komm, trink, du siehst aus, als ob du es nötig hättest.«

      Sie verzog nur das Gesicht. »Frag nicht. Ich hab miserabel geschlafen, und dann nach drei Stunden wieder raus, das grenzt an Folter.« Dankbar schlürfte sie den heißen Kaffee. Ich blickte noch einmal durch den Türspalt und sah, dass nun auch unser beliebtester Rettungsschwimmer Fernando am Horizont auftauchte. Der Kopf mit den langen hellbraunen Haaren, in die sich von der Sonne gebleichte blonde Strähnen mischten, war gesenkt, der Blick auf den Boden gerichtet. Wie so oft am frühen Morgen, kam Fernando noch im Halbschlaf und in Flip-Flops angeschlappt, die Hände tief in den ausgebeulten Taschen seiner Jeans versenkt. Immerhin konnte er sich dazu aufraffen,

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