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die Tasse in Sarahs Hand. »Oh, du hast schon begonnen, Kindchen? Wartet man da nicht?« Er zieht die Augenbrauen nach oben.

      Pah, denkt Sarah entrüstet, und beinahe hätte sie es laut gesagt. Wenn hier jemand auf höfliche Umgangsformen hinweisen müsste, dann wäre das ganz klar ihr Part. Wer hatte sie denn in Strümpfen durch die Werkstatt geschickt? »Mir war kalt«, rechtfertigt sie sich, und schon mit dem letzten Wort ärgert sie sich, auf ein deutliches Kontra verzichtet zu haben.

      »Weißt du, dass du in dieser Woche bislang die Einzige bist, die sich in meine Werkstatt verirrt hat?«

      Sarah lässt ihren Blick durch den Raum schweifen. Sieht das an den Wänden gestapelte Material. Überwiegend schwarz, was einen Teil der dunklen Atmosphäre der Werkstatt verantwortet. Aber in wenigen Fächern der Regale lagern auch weiße, rote und sogar blaue Rollen. »Etwas Besonderes?« Ihr fällt nichts ein, was in dem langen Flur zwischen Tür und Werkstatt ihre Aufmerksamkeit erreicht hätte. Riemen und Gürtel. Kurze, lange. Mit vielen Löchern, mit wenigen. Mal genietet, mal gestanzt. Nichts Außergewöhnliches für eine Ledermanufaktur, findet sie. Abgesehen von dem wundervollen Duft und dem Gefühl der Berührung. Das einzig Besondere an dieser Manufaktur scheint ihr Besitzer zu sein.

      »Wie viel Zeit hast du mitgebracht, Sarah?« Der Mann greift zu seiner Teetasse, lehnt sich wieder zurück in seinen Thron.

      Sarah überlegt. Es ist noch Vormittag. Sie hat sich nichts mehr vorgenommen heute, müsste sich aber noch etwas zu essen besorgen und sollte nicht zu spät ins Bett gehen. Sie wird den Tag allerdings auf keinen Fall vollständig in einer düsteren Lederwerkstatt verbringen. »Bis die Schuhe trocken sind«, sagt sie diplomatisch.

      »Gut«, sagt Herr Conrad. »Dann will ich dir etwas erzählen, Kindchen.« Er umgreift die Tasse mit beiden Händen und lehnt sich zurück. Es scheint, als wolle er es sich für längere Zeit gemütlich machen. »Dafür hast du doch Zeit, oder?«

      Sarah nickt. Sie zieht die Füße noch ein wenig zu sich und lehnt sich in die Sofaecke. Hier drinnen ist es allemal bequemer als draußen. Nässe, Kälte, Mäntel und Regenschirme gegen Rooibostee, Cognacduft und Ledergeruch. Ein guter Tausch, findet sie. Jedenfalls für den Moment. Warum also keine Geschichte, bis die Schuhe trocken sind.

      Kapitel Drei

      »Stell dir einen Tag wie diesen vor«, sagt Herr Conrad zu Sarah, und Sarah nickt.

      Kalt war es und so unfreundlich, wie es im Dezember nur sein kann. Es war bereits Abend und draußen fiel Schnee in Strichen durch die Lichtkegel der Straßenlaternen. Auf dem Fußweg eilten die Menschen von der Arbeit nach Hause oder standen frierend an Haltestellen, um auf den nächsten Bus zu warten.

      Herr Conrad beugt sich leicht nach vorn und greift zu dem Teelöffel, der vor ihm auf dem Tisch liegt. »Lia«, sagt er und schaut zu Sarah, »ich nenne das Mädchen in meiner Geschichte Lia, ist das in Ordnung?«

      Sarah nickt wieder. Sie umgreift mit beiden Händen ihre Tasse und spürt deren Wärme. Als wolle sie sich vor dem kalten Dezembertag schützen.

      »Gut. Lia also.«

      Lia sah aus einem großen Fenster auf die Straße herab. Sie sah die Striche unter den Laternen, die eilenden Menschen, eine Bushaltestelle. Sie hatte beide Handinnenflächen gegen das Glas des bis zum Boden reichenden Panoramafensters gelegt und fühlte sich, als würde sie über der Stadt schweben. Ihr war angenehm warm. Die Heizung des Hotelzimmers blies kaum hörbar Luft in den Raum, manchmal spürte man sogar einen sanften Hauch auf der Haut.

      Herr Conrad senkt den Löffel in die Tasse und rührt.

      »Auf der Haut?« Sarah legt den Kopf schräg und lächelt ein wenig. »Durch die Kleidung hindurch?«

      »Kindchen«, sagt Herr Conrad beinahe streng, während er den Löffel durch den Tee schwenkt. »Kindchen, halte dich bitte zurück. Wenn du mich ständig unterbrichst, geht der Zauber der Geschichte verloren. Und wenn ich immer wieder neu ansetzen muss, entgleitet mir irgendwann der rote Faden. Lass mich also erzählen.«

      »Verzeihung«, sagt Sarah. Kaum hat sie es ausgesprochen, bemerkt sie wieder dieses Funkeln in den Augen des Mannes. Nur ganz kurz. Sie schlürft schnell einen Schluck Rooibostee und schaut dann auf ihre Tasse. Als fühle sie sich tatsächlich schuldig.

      Lia lehnte also gegen das große Fenster. Ihre Stirn berührte das Glas. Sie beobachtete das Treiben auf der Straße, entspannt und ruhig. Atmete tief ein und aus. Seit vielen Wochen hatte sie auf diesen Moment gewartet. Hatte ihren Alltag so organisiert, dass er sich ihr nicht entgegen stellen konnte an diesem Abend. Bevor sie hierher kam, hatte sie ein duftendes Bad in Lavendel genommen, sich eingestimmt und vorbereitet auf das, was sie erwartete. Und als sie sich schließlich auf den Weg gemacht hatte, fühlte sie sich bereits in einer sanften und friedlichen Stimmung. Bemerkte tief in sich ein Glühen und wusste, dass es sie an diesem Abend noch vollständig ergreifen würde.

      Lia ließ ihr Gesicht weich am Fensterglas entlang gleiten. Die Stirn, die Nase, die Lippen. Als sie das Kinn erreichte, schlug der kleine Ring ihres schmalen Halsbandes mit einem leisen Klacken gegen das Glas.

      Sarah hebt ruckartig den Kopf. Als sie zu dem Mann sieht, der ihr gegenüber im Thronsessel sitzt, begegnet sie seinem lauernden Blick. Sie ist unsicher, ob Herr Conrad auf ihre Reaktion gewartet hat. Oder ob er nur testen will, dass sie tatsächlich schweigt und ihn nicht wieder unterbricht. Ein Ring? An einem Halsband? Um den Hals von Lia? Sarah legt all ihre Ungläubigkeit in ihren Blick, transportiert Fragesätze, aber schweigt. Es dauert einige lange Sekunden, bis das Duell endet. Herr Conrad erzählt weiter, als wäre nichts gewesen. Die Fragen fallen zwischen ihnen zu Boden.

      »Bist du bereit?«

      Lia schloss die Augen. Natürlich war sie bereit. Zu keinem Zeitpunkt in den letzten Wochen war sie mehr bereit gewesen als jetzt. »Ja«, sagte sie leise gegen das Glas.

      Hinter Lia erhob sich ein Mann aus einem Stuhl. Von dort aus hatte er seit Minuten zu ihr herübergesehen. Wie sie gegen das Fenster lehnte. Wie ihr Körper einen wundervollen Kontrast zwischen heller Haut und dunklem Himmel hinter der Glasfront zeichnete. Er hatte genussvoll beobachtet, dass sie still wurde, in sich versank, auf ihn wartete. Minutenlang. Jetzt war sie tatsächlich bereit.

      Er griff neben sich und hob ein schwarzes Korsett aus Leder an. Schwer fühlte es sich an, so gerollt und mit Schnüren umwickelt, wie er es in der Hand hielt. Und auch kühl. Der Mann lächelte. Es war nach ihren Maßen angefertigt, nur für sie. Kein Korsett von der Stange, sondern in Handarbeit geschnitten und genäht. Etwas Besonderes. Langsam durchquerte er den Raum, erreichte Lia. Stellte sich vorsichtig hinter sie. Ganz dicht. Hörte ihren gegen das Fenster gehauchten Atem. Sah ihr über die Schulter hinweg in die Tiefe. Dort unten waren eilende Menschen, Schneefall und eine Bushaltestelle. Wie in einem anderen Universum. Niemand sah nach oben. Niemand bemerkte die gegen das Fenster gelehnte Frau, die bis auf ein Halsband gänzlich unbekleidet war. Wenn doch, wäre sie unerreichbar gewesen.

      Der Mann trat leise einen halben Schritt zurück. Mit ruhiger Hand rollte er das Korsett aus. Löste langsam die Schnüre. Weich fühlte sich das Leder an, aber er wusste, dass es bald nicht mehr so sein würde, wenn er die Schnüre erst wieder angezogen haben würde. Wie eine zweite Haut würde es sich um Lias Körper legen, erst sanft, dann einengend, später Besitzergreifend, sie formend, zunehmend fordernd, ihr die Luft nehmend. In dieser Reihenfolge. Er würde sie schließlich so eingeschnürt haben, dass sie alles geben musste, um zu bestehen. Wie lange sie das schaffen würde, für ihn, wussten sie beide nicht. Aber sie würden es sehen. Dazu waren sie hier.

      Als er Lia das Korsett um die Taille legte, sog sie laut und schnell den Atem ein. Als wäre sie erschrocken. Als hätte sie nicht damit gerechnet. Tatsächlich war es aber nicht so. Die erste Berührung. Der Moment, auf den sie so lange gewartet hatte. Ab dem es keine Umkehr mehr gab. Viele Wochen hatte sie sich diesem Augenblick entgegen gesehnt.

      »Alles

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