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gedreht hatte, würde sie nicht den gleichen Weg zurück in den Raum laufen. Dessen war sie sich bewusst. Drei, vier Schritte und sie würde die Wand erreichen. Er hatte versprochen, sie zu dirigieren. Er würde es tun. Lia versuchte sichere Schritte, so gut es die hohen Absätze zuließen. Die Fliesen verkündeten jedes Auftreten laut hörbar, von allen Seiten des Raumes wurde es quittiert. Das, was ihr die Schuhe an Konzentration abverlangten, fehlte ihr bei der Orientierung. Tisch irgendwo links. Oder? Noch einen Schritt ging sie. Anrichte vor ihr? Lia wehrte sich gegen das Gefühl, den nächsten Schritt kürzer zu setzen. Gegen die Angst, mit dem Kopf gegen die Wand zu stoßen. Krallte ihre Finger in die unter ihnen liegenden Handrücken, um sich mit dem Schmerz abzulenken.

      »Halt!« Neben ihr. Laut. Schallend.

      Lia hielt sofort an. Knickte mit dem Fuß um, strauchelte. Im gleichen Augenblick waren zwei Arme um sie, stützten sie, richteten sie wieder auf. Er war tatsächlich bei ihr. Und sie bemerkte stolz, dass sie nicht einmal die Hände aus dem Nacken genommen hatte. Das war Vertrauen, oder? Das war es, was er sehen wollte.

      »Du denkst noch immer«, lautete die ernüchternde Bemerkung von ihm. »Du hast noch immer nicht verstanden.«

      Lia war enttäuscht. Sie hatte auf ein Lob gehofft.

      »Was meinst du, wo du gerade bist?«

      Sie überlegte. Vorhin hatte sie geglaubt, nahe der Anrichte zu sein. Er hatte sie dann gedreht, sie war quer durch das Zimmer gegangen. Soweit es ihre Wahrnehmung zu deuten versuchte. Dann müsste sie jetzt kurz vor einer Wand stehen. »Kurz vor der Wand neben dem Hocker.«

      »Lia!« Er klang verärgert, unzufrieden, tadelnd. »Falsch! Wo bist du?« Er schob ihr die verschränkten Hände ein wenig nach oben, griff ihr fest in den Nacken. Sie wusste, dass er das auf diese Weise nur tat, wenn er sie ernsthaft ermahnen musste. »Du sollst nicht denken, sagte ich! Wo also bist du?«

      Lia erinnerte sich. »Auf einer großen Fläche.« Sie versuchte, dem zwingenden Griff im Nacken ein wenig zu entkommen, indem sie den Kopf leicht nach vorn beugte. »Keine Wände.«

      Er griff sofort nach.

      »Du siehst für mich.«

      »Na endlich«, sagte er. Seine Hand entließ ihren Hals.

      Einen Moment war Stille. Lia spürte, dass ihr der Schweiß auf dem Rücken lief. Es fiel ihr zunehmend schwer, auf den hohen Absätzen zu stehen. Aber sie wollte ihn nicht noch mehr enttäuschen.

      »Lauf.« Sein Kommando erreichte sie von einem Ort sehr nah neben ihr. Leise, aber nicht überhörbar. In jedem Fall konsequent.

      Lia war sicher, dass vor ihr die Wand sein musste. Nur wenige Zentimeter. Er hatte sie eben kurz vor der Mauer zum Stehen gebracht. Gedreht hatte er sie anschließend nicht. Hatte er das vergessen? War das ein Test? Baute er darauf, dass sie ihm nicht vertraute? Was, wenn sie es ausgerechnet jetzt doch tun würde und blind mit dem Kopf vor die Wand schlug?

      »Lauf!« Noch deutlicher.

      Sie glaubte, die Wand fühlen zu können. Ganz sicher. Eine Abstrahlung gleich welcher Art. Weder vor noch in ihrem Kopf war der Weg frei. Ihr erster Schritt würde sie gegen die Wand führen. Lia versuchte, sich zu überwinden. Unsicher auf Absätzen stehend, die Hände im Nacken mit ungeschütztem Gesicht.

      »Lia?« Wartend. Ungeduldig.

      Lia kämpfte. Würde sie den ersten Schritt gehen, ohne dabei zu zögern, konnte er sie niemals so schnell anhalten, wie ihr Körper gegen die Wand schlagen würde. Würde sie sich dagegen mit einem vorsichtigen Schritt nach vorn tasten, wäre es nicht das, was er von ihr verlangt hatte. Es war gleich, was sie tat, dachte sie. Sie unternahm noch einen Versuch, doch mehr als eine leichte Bewegung nach vorn gelang ihr nicht. Lia scheiterte. Langsam schüttelte sie den Kopf. Tränen schossen ihr in die Augen und sie war dankbar, dass er sie hinter der Augenmaske nicht sehen konnte. Sie wollte ihm gefallen heute, nicht nur äußerlich, sondern auch in ihren Handlungen. Hatte sich hübsch gemacht, viel vorgenommen, sich gefreut. Und nun stand sie hier und versagte bei einer so billigen, einfachen Aufgabe. Weil sie sich nicht überwinden konnte, einen Schritt zu gehen. Gerade wollte sie in die Hocke sinken, ihm signalisieren, dass sie nicht weiter konnte, als sich seine Hände von vorn unter ihre Arme schoben und sie davon abhielten.

      »Lia, nicht so schnell.«

      Sie registrierte, dass er vor ihr stand. Er. Keine Mauer. Ihr erster Schritt hätte sie in seine Arme geführt.

      »Ich lasse dich niemals gegen ein Hindernis laufen. Hatte ich dir das versprochen?«

      »Ja«, quetschte Lia heraus, weil sie ihre Stimme nicht im Griff hatte.

      »Habe ich mich daran gehalten?«

      »Ja, hast du.« Er hatte Recht. Lia holte tief Luft. Sie musste sich eingestehen, dass er nicht mehr und nicht weniger als einen Schritt zu sich, in seine Arme erwartet hatte.

      »Glaubst du, ich würde mich – aus welchen Gründen auch immer – nicht daran halten?«

      Lia richtete sich auf. Stand gerade. Nahm den Kopf wieder nach oben. »Nein, das denke ich nicht.« Sie spürte, wie seine Hände zärtlich über ihren nassen Rücken strichen. Sie fühlte sich töricht, dass sie hier so stand, da sie ihm nicht geglaubt hatte. Vertrauen. Nur Vertrauen. Das war es, was er verlangt hatte. Das war es auch, was sie ihm immer entgegen gebracht hatte. Warum also nicht jetzt und hier? Nur, weil ihr Kopf sich nicht von Raumkoordinaten befreien wollte? »Ich möchte weitermachen«, sagte sie, und sie war stolz darauf, dass ihre Stimme dabei fest und überzeugt klang. Sie wiederholte es noch einmal laut. »Ich möchte jetzt bitte weitermachen.« Überhaupt war sie stolz auf sich. Sie würde sich umdrehen lassen und alle Wege gehen, die er ihr vorgab. Den Fliesenboden unter sich zum Dröhnen bringen. Laufen, wenn er es anwies, und zwar so lange, bis er sie anhielt. Keine Sekunde vorher. Er war um sie. Immer.

      »Nein«, sagte er mir ruhiger Stimme. »Nicht mehr heute. Ich denke, du hast deine Lektion bereits gelernt.« Er zog eine Hand unter ihren Armen hervor und hob vorsichtig die Augenmaske nach oben.

      Lia sah ihm direkt in die Augen. Und keine zehn Zentimeter hinter ihm die Wand.

      Herr Conrad saugt noch einmal genüsslich an seiner Pfeife, leise schmatzend. Dann schweigt er. Sarah tut es auch. Die große Turmuhr beginnt zu schlagen, einmal, zweimal. Sarah zählt mit. Nach dem zwölften Schlag verstummt auch die Glocke.

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