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Marschall war in seiner Jugend Gutsbesitzer. Von Haus aus sehr begütert, heiratete er mit sechsundzwanzig Jahren ein armes Mädchen, eine gewisse Antoinette Brieux, die aus einer französischen Emigrantenfamilie stammte. Die Ehe wurde nicht sehr glücklich. Marschall, von Jugend an ein Sonderling, konnte sich an seine temperamentvolle, etwas genußsüchtige Gattin nicht gewöhnen. Selbst die Geburt einer Tochter, der jetzt als Musiklehrerin in Halle lebenden Anni Marschall, vermochte die Gegensätze zwischen den Ehegatten nicht zu überbrücken.

      Vor nunmehr sieben Jahren zog Marschall mit seiner Gattin von Halle hier nach Charlottenburg, wo er sich das frühere Palais der Fürstin von Liegnitz für dreihunderttausend Mark gekauft hatte.

      Die Tochter blieb in Halle in einem Töchterpensionat. Begleitet wurde das Ehepaar von den Truschinskis, die sich schon jahrzehntelang in den Diensten des Rentiers befanden.

      Frau Marschall, die in letzter Zeit von ihrem Gatten völlig getrennt lebte und nicht einmal mehr mit ihm zusammen die Mahlzeiten einnahm, starb kurz nach der Übersiedlung in das einstige fürstliche Palais. Jahre vergingen dann wieder. Gottfried Marschall, von jeher sehr tierlieb, kümmerte sich nur noch um seine Katzen, die bei ihm goldene Tage hatten. Von seinem Kinde wollte er nichts wissen. Die Abneigung, die er seiner Gattin entgegengebracht hatte, übertrug er auch auf deren Tochter.

      Nur zweimal in all den Jahren ist Anni Marschall kurze Zeit zum Besuch bei ihrem Vater gewesen, zuletzt vor ungefähr acht Monaten, wo es dann zwischen den beiden zum endgültigen Bruche kam, ohne daß dem jetzt zweiundzwanzigjährigen Mädchen an diesem Zerwürfnis auch nur die geringste Schuld beizumessen ist, was der Hausmeister besonders betonte. Obwohl Anni Marschall die Auszahlung ihres Muttererbteils hätte verlangen können, verzichtete sie sowohl darauf als auch auf jede pekuniäre Unterstützung und erwirbt sich seitdem schlecht und recht ihr Brot als Musiklehrerin in Halle.

      Nun zu den beiden anderen näheren Verwandten, den einzigen, die der Tote noch hat. Da ist zunächst ein junger Schauspieler namens Boto Wendland, ein Sohn einer verstorbenen Schwester des Rentiers. Wendland soll ein äußerst strebsamer, ordentlicher Mensch sein. Trotzdem mochte ihn sein Onkel nicht leiden – angeblich, weil ihm der Beruf des Neffen nicht paßte, der es bisher stets nur zu Engagements an Provinzbühnen gebracht hat. Als Marschall sich dann mit seiner Tochter überwarf, soll Boto Wendland ihm einen sehr deutlichen Brief geschrieben haben, worin er seinem Onkel ganz ungeschminkt seine Meinung über dessen geradezu unverantwortliches Benehmen der Tochter gegenüber sagte. Dieses Schreiben trennte die beiden ebenfalls für immer.

      Nun blieb nur noch Hektor Brieux übrig, der Sohn einer Schwester der verstorbenen Frau Marschall. Mit diesem stand sich der hartherzige, schrullenhafte Mann noch am besten, obwohl er auch Brieux nie einen Pfennig Unterstützung zukommen ließ.

      Was dieser Herr Regierungsreferendar a.D. sonst für ein Mensch ist, habe ich Ihnen ja schon aus meinen Notizen vorgelesen, Herr Rechtsanwalt.«

      Schaper machte eine kurze Pause und zündete sich seine ausgegangene Zigarre wieder an.

      »So, mit den Familienverhältnissen sind Sie nun vertraut. Wir können also zu den Ereignissen des heutigen Vormittags übergehen. –

      Der alte Truschinski war gerade so gegen zwölf Uhr mittags in dem hinter dem Palais liegenden Park, der sich bis zur nächsten Parallelstraße erstreckt, mit Gartenarbeiten beschäftigt, als seine Frau, die in der Küche das Essen für die Hausbewohner zubereitete, ihn herbeirief, damit er einen Besucher, der eben an der Vordertür geläutet hatte, einlassen solle. Truschinski sah sich dann zu seinem Erstaunen dem Schauspieler Boto Wendland gegenüber, der dem Alten mitteilte, daß der Onkel ihn durch Hektor Brieux habe Nachricht geben lassen, daß er ihn dringend zu sehen wünsche. Wendland erzählte dem Hausmeister noch, der Onkel hätte ihn zu Punkt viertel eins zu sich bestellt, was Truschinski zu dem Glauben verleitete, Marschall wollte sich mit seinem Neffen wieder aussöhnen. Da der Hausmeister unter diesen Umständen eine Anmeldung für überflüssig hielt, begab er sich wieder in den Park an seine Arbeit zurück, während der Schauspieler die Treppe zum oberen Stockwerk emporstieg.

      Wenige Minuten später eilte Frau Truschinski, die noch schnell im Vestibül Staub wischen wollte, nach vorn und traf da in der Vorhalle mit Boto Wendland zusammen, der leichenblaß soeben aus der ersten Etage herabkam und schwankend wie ein Trunkener der Haustür zuschritt, ohne das alte Weiblein zunächst zu bemerken. Erst als die Frau ihn anrief, fuhr er entsetzt herum, murmelte ein paar unverständliche Worte und verließ das Haus. Frau Truschinski hatte nicht gleich Gelegenheit, ihrem Mann diese Begegnung mitzuteilen, so daß dieser gar nicht wußte, daß der junge Mann das Haus bereits verlassen hatte. Irgend einen Verdacht zu schöpfen, war die alte Frau ja auch weit entfernt.

      Erst mein Erscheinen im Katzen-Palais führte die Entdeckung des Toten herbei. Gegen einviertel zwei mittags hatte der Unbekannte mich telephonisch angerufen, und eine knappe halbe Stunde später stand ich der Leiche Marschalls gegenüber.

      Der Mord selbst, um dies vorwegzunehmen, dürfte gegen zwölf Uhr mittags nach Ansicht des Gerichtsarztes verübt worden sein. Soweit die Zeitangaben, die zum Tatbestand gehören.

      Gegen halb drei Uhr fand sich die Mordkommission der Charlottenburger Polizei ein und begann sofort ihre Tätigkeit. Über meine Anwesenheit waren die Herren offenbar nicht sehr entzückt. Inzwischen hatte ich Zeit genug gehabt, mir über mein ferneres Vorgehen klar werden zu können, und mich dann entschlossen, von dem seltsamen Telephongespräch vorläufig nichts zu verraten. Meinen Besuch bei Marschall erklärte ich auf dessen schriftliche Aufforderung hin gemacht zu haben, da der Rentier meine Dienste habe in Anspruch nehmen wollen, was man mir auch ohne weiteres glaubte. So schien es, als ob ein bloßer Zufall gerade mich zum Entdecker dieses schweren Verbrechens werden ließ. Und in Wahrheit liegt die Sache doch so ganz anders! –

      Die Polizei vernahm von dem Hausmeister auch nicht viel mehr, als ich bereits erfahren hatte. Interessant war mir nur folgendes, was der Alte noch bei der Vernehmung angab. Kurz vor zwölf Uhr war er an die Gartenpforte gegangen, die den schmalen Zugang zu dem langgestreckten Park des Katzen-Palais von der Parallelstraße der Schloßstraße, der Grenadiergasse, aus bildet. Diese stets verschlossene Gitterpforte, die in eine hohe Ziegelmauer eingefügt ist, hatte in letzter Zeit beim Öffnen in ihren Angeln sehr gekreischt, und Truschinski wollte dem gerade mit etwas Öl abhelfen, als Hektor Brieux in der Grenadiergasse auftauchte und den Alten um Feuer für seine Zigarette bat. Dieser reichte ihm ein Streichholz, worauf Brieux sich wieder verabschiedete und in der Richtung nach der Hauptstraße davonging. Truschinski hatte die kleine Arbeit bald erledigt und kehrte dann in den vorderen Teil des Parkes zurück. Ich erwähne dies deshalb besonders, Herr Doktor, um Ihnen klarzumachen, daß der frühere Regierungsreferendar als Täter in keiner Weise in Betracht kommen kann.

      Nun brauche ich nur noch mitzuteilen, daß der Mörder, der vorher den Rentier durch drei Stiche in die Brust, von denen einer das Herz traf, getötet hatte, aus Marschalls Schreibtisch sämtliche Wertgegenstände sowie bares Geld geraubt hat, und Sie wissen von diesem Verbrechen genau so viel wie ich.«

      Heiling blickte erst eine Weile sinnend vor sich hin. Dann meinte er zögernd:

      »Nach alledem, was ich eben von Ihnen erfahren habe, kommt doch lediglich der Schauspieler als Täter in Frage. – Oder sind Sie anderer Ansicht?«

      Schaper hatte die Hände tief in die Taschen seines Beinkleides vergraben. Vornübergebeugt saß er da und beschaute interessiert die Lackspitzen seiner Schnürschuhe.

      »Für meinen Geschmack,« sagte er dann langsam, »ist der Tatbestand zu klar. Wenn Wendland wirklich der Täter ist, so hat er wie ein Verrückter gehandelt. Einen Raubmord unter solchen Umständen begehen, heißt sich freiwillig dem Beil des Henkers ausliefern.«

      »Sehr richtig. Aber betrachten wir die Sache einmal von einer anderen Seite. Ist es nicht auch möglich, nein, sogar sehr wahrscheinlich, daß Marschall mit seinem Neffen in Streit geraten ist, Wendland seinen Onkel dann in der Wut niederstieß und erst hiernach, um sich die Mittel zur Flucht zu verschaffen, den Schreibtisch ausräumte?«

      Schaper nickte eifrig.

      »Genau dasselbe habe ich auch erst in Erwägung gezogen. Aber leider widerspricht dieser

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