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Tagen die Herzen wieder tiefer und stärker ergreift, als einst im Zeitalter der Aufklärung. Und mitten im Hader sind ihr doch zwei Taten des Friedens gelungen: sie hat die getrennten Schwesterkirchen des Protestantismus zur evangelischen Union verbunden, und eben jetzt ist sie überall am Werke, den so lange verkümmerten Gedanken der Gemeindekirche in den Formen ihrer Verfassung auszugestalten.

      In so reicher Zeit soll kein guter Protestant die Hoffnung aufgeben, daß dereinst noch schönere Tage kommen werden, da unser gesamtes Volk in Martin Luther seinen Helden und Lehrer verehrt. Wir wissen alle, vor Zeiten gereichte es unserem Vaterlande zum Heile, daß die Reformation nur einen halben Erfolg errang; vollkommen siegreich, allein herrschend, hätte die evangelische Kirche jenen Geist menschlicher weitherziger Duldung, der heute im deutschen Leben überwiegt, schwerlich aufkommen lassen. Doch die Tage, da die Kirchenspaltung Segen brachte, gehen zu Ende. Seit die römische Kirche mit der Unfehlbarkeit des Papstes ihr letztes Wort gesprochen hat, empfinden wir schmerzlicher denn je, welche Kluft die Glieder unseres Volkes trennt. Diese Kluft zu schließen, das evangelische Christentum wieder also zu beleben, daß es fähig wird, unsere ganze Nation zu beherrschen — das ist die Aufgabe, welche wir erkennen und spätere Geschlechter dereinst lösen sollen. Nie kann dies Werk gelingen, wenn wir feig den Berg wieder hinabsteigen, den unsere tapferen Väter im Schweiße ihres Angesichts erklommen haben. Denn nimmermehr wird eine Priesterkirche das Volk Martin Luthers um ihre Altäre versammeln. Solches vermag nur eine Kirche, welche die evangelische Freiheit des Christenmenschen, die Selbständigkeit des gläubigen, bußfertigen Gewissens anerkennt und den sittlichen Mächten dieser Welt, vor allem dem Staate, ihr gutes Recht gewährt. Schwerere Zeiten als die unseren hat der Protestantismus schon siegreich überstanden: wie viele sind unter uns, deren Ahnen am Weißen Berge oder bei Lützen sich für das Evangelium schlugen oder das Brot der Verbannung aßen um ihres Glaubens willen. Getrost und dankbar dürfen wir am Geburtstage des Reformators sein hochgemutes Lied anstimmen:

      Und ob es währt bis in die Nacht

       Und wieder an den Morgen,

       Doch soll mein Herz an Gottes Macht

       Verzweifeln nicht noch sorgen!

      Fichte und die nationale Idee

       Inhaltsverzeichnis

      In rascher Folge haben sich in den jüngsten Jahren die Feste gedrängt, welche das Andenken der großen Männer unseres Volkes feierten. Aber laut und schneidend klingen in den Jubel der Menge die fragenden Stimmen der Mahnung und des Spottes: ob wir denn gar nicht müde werden, uns behaglich die Hände zu wärmen an dem Feuer vergangener Größe? ob uns denn gar zu wohl sei in dem Bewußtsein einer epigonenhaften Zeit? ob wir denn ganz vergessen, daß alle Straßen und Plätze von Athen prunkvoll geschmückt waren mit den Standbildern seiner großen Männer, zur Zeit da Griechenland des Eroberers Beute ward? — Nicht ein Wort mag ich erwidern auf den Vorwurf, daß wir in einem Zeitalter der Epigonen lebten. Denn mit solchem Willen soll eine jede Zeit sich rüsten, als ob sie die erste sei, als ob das Höchste und Herrlichste gerade ihr zu erreichen bestimmt sei; und ruhig mögen wir einem späteren Jahrhundert überlassen zu entscheiden, ob unser Streben ein ursprüngliches gewesen — wie ich denn sicher hoffe, es werde unsern Tagen dies Lob dereinst nicht fehlen. Aber wohl gebührt sich eine Antwort auf den anderen Vorwurf der Selbstbespiegelung. Nein, nicht die Eitelkeit, nicht einmal jene ehrenwerte Pietät, die andere Völker treibt, ihre großen Toten zu ehren — ein tieferes Bedürfnis der Seelen ist es, was gerade jetzt unser Volk bewegt, seiner Helden zu gedenken mit einer Innigkeit, die von den Fremden vielleicht nur der Italiener versteht.

      Auf uns lastet das Verhängnis, daß wir staatlosen Deutschen die Idee des Vaterlandes nicht mit Händen greifen an den Farben des Heeres, an der Flagge jedes Schiffes im Hafen, an den tausend sichtbaren Zeichen, womit der Staat den Bürger überzeugt, daß er ein Vaterland hat. Nur im Gedanken lebt dies Land; erarbeiten, erleben muß der Deutsche die Idee des Vaterlandes. Jeder edlere Deutsche hat entscheidungsvolle Jahre durchlebt, da ihm im Verkehre mit Deutschen aus aller Herren Ländern die Erkenntnis anbrach, was deutsches Wesen sei, bis endlich der Gedanke, daß es ein Deutschland gebe, vor seiner Seele stand mit einer unmittelbaren Gewißheit, die jedes Beweises und jedes Streites spottet. Wachsen wir so erst im Verkehre mit den Lebendigen zu Deutschen heran, so begreift sich das Volk als ein Ganzes in seiner Geschichte. Und das ist der Sinn jener Feste, deren die politisch tiefbewegte Gegenwart nicht müde wird, daß wir, rückschauend auf die starken Männer, die unseres Geistes Züge tragen, erfrischen das Bewußtsein unseres Volkstums und stärken den Entschluß, daß aus dieser idealen Gemeinschaft die Gemeinschaft der Wirklichkeit, der deutsche Staat erwachse. Darum fällt die Feier solcher Tage vornehmlich jenen als ein unbestrittenes schönes Vorrecht zu, die sich nicht genügen lassen an dem leeren Worte von der Einigkeit der Deutschen, sondern Kopf und Hände regen zum Aufbau des deutschen Staates. — Und das auch ist ein rühmliches Zeichen für das lebende Geschlecht, daß aus der langen Reihe von Jahrhunderten, welche dies alte Volk hinter sich liegen sieht und in der Gegenwart gleichsam neu durchlebt, keine Epoche uns so traulich zum Herzen redet, uns so das Innerste bewegt, wie jene siebenzig Jahre seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, da unser Volk sich losrang zuerst von der Geistesherrschaft, dann von dem politischen Joche unheimischer Gewalten. Erst heute werden die Helden jener Zeit von ihrem Volke verstanden, besser oft verstanden als von den Zeitgenossen; und wenn es ein Herrliches war, eine Zeit zu schauen, die einen Stein und Goethe gebar, so mögen wir auch als ein Glück preisen, in Tagen zu leben, die diesen Männern zuerst ganz gerecht geworden.

      Ein gesegneter Winkel des obersächsischen Landes fürwahr, der in kaum hundert Jahren den Deutschen Lessing, Fichte, Rietschel schenkte — drei Geister im Innersten verwandt, wie fremd sie sich scheinen, der kühne Zertrümmerer der französischen Regeln unserer Dichtung, der tapfere Redner und der weiche sinnige Bildhauer — jeder in seiner Weise ein Träger der besten deutschen Tugend, der Wahrhaftigkeit. Ein Dorfwebersohn, wuchs Fichte auf in dürftiger Umgebung, in der altfränkischen Sitte der Lausitzer Bauern. Frühzeitig und stark arbeitet er im Innern mit dem Verstande und mehr noch mit dem Gewissen. Der so begierig lernt, daß er eine Predigt nach dem Hören wiederholen kann, wie rüstig kämpft er doch gegen die Dinge, die so lebendig auf ihn eindringen! Das schöne Volksbuch vom hörnernen Siegfried wirft er in den Bach als einen Versucher, der ihm den Geist ablenkt von der Arbeit. Als ihm dann durch die Gunst eines Edelmannes eine gelehrte Erziehung auf der Fürstenschule zu Pforta zuteil wird, stemmt sich der eigenwillige Knabe wider jene Verkümmerung des Gemüts, welche der familienlosen Erziehung anhaftet, sein waches Gewissen empört sich gegen die erzwungene Unwahrhaftigkeit der Gedrückten. Er gesteht seinen herrischen Oberen den Entschluß der Flucht; er flieht wirklich; auf dem Wege, im Gebete und im Andenken an die Heimat, kommt das Gefühl der Sünde über ihn; er kehrt zurück zu offenem Bekenntnis. So früh sind die Grundzüge seines Wesens gereift, wie zumeist bei jenen Menschen, deren Größe im Charakter liegt. Der Knabe schon bezeichnet seine Bücher mit dem Sinnspruch, den der Mann bewährte: Si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae.

      Schwerer, langsamer entscheidet sich die Richtung seiner Bildung. Kümmerlich schlägt er sich durch die freudlose Jugend eines armen Theologen, und sein Stolz — „die verwahrlosteste Seite meines Herzens” — schämt sich bitterlich der Armut. Erst in seinem siebenundzwanzigsten Jahre wird ihm das Schicksal gütiger. Er sammelt auf der weiten Fußwanderung nach einer Hauslehrerstelle in Zürich eine für jene Zeit ziemlich ausgedehnte Erfahrung von dem Elend des armen leidenden Volkes, er wird in der Schweiz mit der großen Arbeit der deutschen Literatur vertraut, er lernt in Zürich das schmucklose Wesen eines ehrenhaften Freistaates verstehen, das seinem schlichten Stolze zusagt, und findet dort endlich in Johanna Rahn, einer Nichte Klopstocks, das herrliche Weib seiner Liebe. Eine verwandte Natur, sehr ernsthaft, wirtschaftlich nach Schweizer Weise, nicht gar jung mehr und längst schon gewohnt, ihr warmes Blut in strenger Selbstprüfung zu beherrschen, tritt sie ihm fertig und ruhig entgegen, und oftmals mochten ihre Augen strenge unter dem Schweizerhäubchen hervorblicken: „Höre, Fichte, stolz bist du. Ich muß dir’s sagen, da dir’s kein anderer sagen kann.” Auch in der abhängigen Stellung des

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