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       Heinrich von Treitschke

      Deutsche Lebensbilder

      Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2021

       [email protected]

      EAN 4064066114695

       Luther und die deutsche Nation

       Fichte und die nationale Idee.

       Königin Luise.

       Stein.

       Lessing.

       Ludwig Uhland.

       Heinrich von Kleist.

       Friedrich Hebbel

       Otto Ludwig.

       Gottfried Keller

       Nachwort

       Inhaltsverzeichnis

       Vortrag, gehalten in Darmstadt am 7. November 1883 zur Feier des vierhundertsten Geburtstags Martin Luthers.

      Hochansehnliche Versammlung!

      Mancher unter Ihnen hat vor einigen Wochen auf der Höhe des Niederwaldes gestanden, als unser greiser Kaiser das Bild der schwertumgürteten Germania enthüllen ließ, und dort das Glück genossen, mit allen Landsleuten von nah und fern das eine Gefühl dankbarer Freude zu teilen. Jahrhundertelang ist uns Deutschen dieser Einmut froher, neidloser Erinnerung, der zum Leben gesunder Völker gehört, versagt geblieben; denn jene Siege, die uns die neue Einheit unseres Reiches schufen, waren selber seit unvordenklicher Zeit die erste gemeinsame große Tat, zu der sich die ganze Nation in schönem Wetteifer zusammenfand. Wohl ist sie ruhmvoll, die Geschichte dieses Volkes, das so oft schon dem Weltteil den ersten Mann des Jahrhunderts geschenkt, so oft in den Kämpfen Europas das erweckende oder das versöhnende Wort gesprochen hat; doch fast alle ihre großen Namen waren in das Gewirr der Gegensätze, die unser inneres Leben zerrütteten, so tief verflochten, daß sie noch heute breiten Schichten des Volkes unverständlich bleiben und ihnen nur als die Vorkämpfer eines Stammes, einer Partei, eines Glaubensbekenntnisses, nicht schlechtweg als deutsche Helden erscheinen. Wir haben im achtzehnten Jahrhundert den letzten und größten Vertreter des alten unbeschränkten Königtums unter uns walten sehen, und seit seine Saat in Halme schoß, beginnen die Einsichtigen zu fühlen, daß er für Deutschland focht, als er gegen Österreich und das heilige Reich seine Schlachten schlug; dennoch wird König Friedrich, gleich seinem Ahnen, dem großen Kurfürsten, immer zunächst der Liebling seiner Preußen bleiben und der Masse der Oberdeutschen niemals ganz vertraut werden. Wir haben ein Jahrhundert zuvor durch einen greuelvollen Krieg der europäischen Welt die kirchliche Duldung gesichert, aber der Sieg ward um einen furchtbaren Preis, durch die Verwüstung unserer alten Kultur, erkauft, und der Held, der sich von jener finsteren Zeit als die beinahe einzige lichte Gestalt abhebt, Gustav Adolf, war ein Fremder; selbst seine Bewunderer können nicht leugnen, daß seine Siegeslaufbahn zu unserem Heile frühzeitig endete, eben in dem Augenblicke, da seine Macht unserem Vaterlande verderblich zu werden begann.

      So ist denn auch die Gedächtnisfeier, zu der sich in dieser Woche unser protestantisches Volk überall gehobenen Herzens versammelt, leider nicht ein Fest aller Deutschen. Millionen unserer Landsleute stehen teilnahmslos oder grollend abseits; sie wollen, sie können nicht begreifen, daß der Reformator unserer Kirche der gesamten deutschen Nation die Bahnen einer freieren Gesittung gebrochen hat, daß wir in Staat und Gesellschaft, in Haus und Wissenschaft, überall noch den Atem seines Geistes spüren. Wer über ihn redet, der muß bekennen, wie er sich selber zu den großen sittlichen Aufgaben der Gegenwart stellt. Leidenschaftlich, als stünde der Reformator noch mitten unter uns, erklingen die Anklagen derer, die seine Größe nicht zu fassen vermögen.

      Schon bei seinen Lebzeiten ist Martin Luther dem tragischen Geschick der Verkennung, das keinem großen Manne und am wenigsten dem Kämpfer erspart bleibt, nicht entgangen. In den hoffnungsreichen ersten Jahren seines öffentlichen Wirkens begrüßte ihn die Nation mit einer stürmischen Freude, wie sie der deutsche Boden erst in unseren Tagen wieder erlebt hat. Damals, als er zuerst der Katze die Schelle anband und dann kühn und kühner, fortgerissen von der zwingenden Macht des freien Gedankens und des wachen Gewissens, aus einem treuen Sohne der alten Kirche zum erklärten Ketzer ward, als er die Bannbulle des Papstes in das Feuer warf und in dem flammenden Aufruf „An den christlichen Adel deutscher Nation” seine Deutschen aufforderte zur Reform der Kirche und des Reiches an Haupt und Gliedern: da stand er vor Kaiser und Reich als der Führer der Nation, heldenhaft wie ihr Volksheiliger, der streitbare Michael; da jubelte das Volkslied: „Zu Worms er sich erzeiget, er stand wohl auf dem Plan, seine Feind’ hat er geschweiget, keiner durft’ ihn wenden an”; da schien es wirklich, als sollten alle die elementarischen Kräfte, die in der tief erregten Nation arbeiteten, der Glaubensernst der frommen Gemüter, der Forschermut der jungen Wissenschaft, der Nationalhaß des ritterlichen Adels wider die welschen Prälaten, der Groll der mißhandelten Bauern, sich zu einem mächtigen Strome vereinigen und gewaltig aufwallend alles römische Wesen aus unserem Staate, unserer Kirche hinwegschwemmen. Aber noch war unsere deutsche Königskrone fest verkettet mit der weltumspannenden Politik des römischen Kaisertums. Einen Zufall dürfen wir es nicht nennen, daß in jenem verhängnisvollen Augenblick ein Fremdling unsere Krone trug, der unseres Herzens Schlag nicht hören konnte und, während die Deutschen dem lauten Freimut ihres Landsmannes zujauchzten, verächtlich lächelnd sprach: der soll mich nicht zum Ketzer machen.

      Sobald der Kaiser dem Rufe der Nation sich versagte, stand nicht bloß die politische Macht des spanischen Weltreichs wider den Reformator, sondern auch eine gewaltige sittliche Macht, die feste Kaisertreue unseres Volkes. Und nun trat auch die alte Todsünde unserer Geschichte, der Haß der Stände, wieder hervor. Die Ritterschaft vergeudete ihren ungestümen Tatendrang in einer ziellosen, unglücklichen Fehde. Die Bauern nahmen die Lehre der evangelischen Freiheit fleischlich auf und erhoben sich zu einem wütenden sozialen Kampfe. Luther aber meinte seine heilige Sache geschändet und ließ die Gecken, die das Evangelium mit Hammern und mit Zangen in den Kisten suchten, die ganze Wucht seines Zornes empfinden. Als der gräßliche Aufruhr durch die unbarmherzigen Herren gräßlicher bestraft war, da sah sich der Mann, den sein Volk soeben auf den Schild gehoben, mit den Verwünschungen der kleinen Leute beladen. Mittlerweile hatte sich auch der erste Gelehrte des Jahrhunderts, Erasmus, von den Wittenbergern abgewendet; auch Luthers Lehrer, Staupitz, der sinnige Mystiker, auch die geistreichen Humanisten Crotus Rubianus und Eobanus Hessus traten erschrocken zurück. Mit ihrem Abfall war entschieden, daß die neue Lehre selbst unter den Höchstgebildeten der Nation vorerst noch nicht überall Anklang finden konnte, und da sie mit der Selbständigkeit des Denkens auch den trotzigen Eigensinn des deutschen Charakters entfesselte, so verfielen ihre Anhänger bald einer gefährlichen Zersplitterung: zuchtlose Schwarmgeisterei und dogmatischer Streit schwächten ihre Einheit.

      Also

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