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unseres Volkes stehen, einen Krieg der Verzweiflung mußte es gelten um alle höchsten Güter des Lebens, eine Zeit mußte kommen von jenen, die wir die großen Epochen der Geschichte nennen, da alle schlummernden Gegensätze des Völkerlebens zum offenen Durchbruch gelangen, die Stunde mußte schlagen für eine Staatskunst der Ideen, wenn gerade dieser Denker unmittelbar eingreifen sollte in das staatliche Leben.

      Nicht leicht ward ihm, seine Stelle zu finden unter den Männern, die dieser Staatskunst der Ideen dienten. Denn was den Nachlebenden als das einfache Werk einer allgemeinen fraglosen Volksstimmung erscheint, das ist in Wahrheit erwachsen aus harten Kämpfen starker eigenwilliger Köpfe. Wie fremd stehen sie doch nebeneinander: unter den Staatsmännern Stein, der Gläubige, der schroffe Aristokrat, und Hardenberg, der Jünger französischer Aufklärung, und Humboldt, der moderne Hellene, und Schön, der trotzige Kantianer; unter den Soldaten die denkenden Militärs, die Scharnhorst und Clausewitz, denen die Kriegskunst als ein Teil der Staatswissenschaft erschien, und Blücher, dem der Schreibtisch Gift war, der eines nur verstand — den Feind zu schlagen, und York, der Mann der alten militärischen Schule, der Eiferer wider das Nattergezücht der Reformer; unter den Denkern und Künstlern neben Fichte Schleiermacher, dessen Milde jener als leichtsinnig und unsittlich verwarf, und Heinrich v. Kleist, der als ein Dichter mit unmittelbarer Leidenschaft empfand, was Fichte als Denker erkannte. Ihm zitterte die Feder in der Hand, wenn er in stürmischen Versen die Enkel der Kohortenstürmer, die Römerüberwinderbrut zum Kampfe rief. Einen Schüler Fichtes meinen wir zu hören, wenn Kleist seinem Könige die Türme der Hauptstadt mit den stolzen Worten zeigt: „Sie sind gebaut, o Herr, wie hell sie blinken, für beßre Güter in den Staub zu sinken.” Und er selber war es, der Fichte die höhnenden Verse ins Gesicht warf:

      Setzet, ihr träft’s mit euerer Kunst und zögt uns die Jugend nun zu Männern wie ihr; liebe Freunde, was wär’s?

      Wenn er seine Adler geschändet sah von den Fremden, wie mochte der stolze Offizier ertragen, daß dieser Schulmeister herantrat, die Nöte des Augenblicks durch die Erziehung des werdenden Geschlechts zu heilen? Und dennoch haben sie zusammengewirkt, die Männer, die sich befehdeten und schalten, einträchtig in dem Kampfe der Idee gegen das Interesse, der Idee des Volkstums wider das Interesse der nackten Gewalt.

      Schon vor der Schlacht von Jena hatte sich Fichte erboten, mit dem ausrückenden Heere als weltlicher Prediger und Redner, „als Gesandter der Wissenschaft und des Talents”, zu marschieren, „denn was” — ruft er in seiner kecken, die Weihe des Gedankens mitten in die matte Wirklichkeit hineintragenden Weise — „was ist der Charakter des Kriegers? Opfern muß er sich können; bei ihm kann die wahre Gesinnung, die rechte Ehrliebe gar nicht ausgehen, die Erhebung zu etwas, das über dies Leben hinaus liegt.” Doch das letzte Heer des alten Regimes hätte solchen Geist nicht ertragen. Die Stunden der Schande waren gekommen. Fichte floh aus Berlin und sprach: „Ich freue mich, daß ich frei geatmet, geredet, gedacht habe und meinen Nacken nie unter das Joch des Treibers gebogen.” Auch ihn überwältigte jetzt auf Augenblicke die Verzweiflung, da er zufrieden sein wollte ein ruhiges Plätzchen zu finden, und es den Enkeln überlassen wollte zu reden — „wenn bis dahin Ohren wachsen zu hören!” Nicht die Zuversicht fand er wieder, aber die Stärke des Pflichtgefühls, als er nach dem Frieden dennoch redete zu den Lebendigen ohne Hoffnung für sie, „damit vielleicht unsere Nachkommen tun, was wir einsehen, weil wir leiden, weil unsere Väter träumten.” In Stunden einsamer Sammlung war nun sein ganzes Wesen „geweiht, geheiligt”; der alte Grundgedanke seines Lebens, in eigener Person das Absolute zu sein und zu leben, findet in dieser weihevollen Stimmung eine neue religiöse Form, erscheint ihm als die Pflicht „des Lebens in Gott”. Rettung um jeden Preis — dieser ungeheueren Notwendigkeit, die leuchtend vor seiner Seele stand, hatte er manches geopfert von der Starrheit des Theoretikers. Er pries jetzt sogar Machiavellis Weisheit der Verzweiflung; denn von der entgegengesetzten, der niedrigsten Schätzung des Menschenwertes gelangte dieser Verächter aller hergebrachten Sittlichkeit doch zu dem gleichen Endziele, der Rettung des großen Ganzen auf Kosten jeder Neigung des Einzelnen. Gereift und gefestigt ward dieser Ideengang, als Fichte jetzt sich schulte an den großartig einfachen Mitteln uralter Menschenbildung, an Luthers Bibel und an der knappen Form, der herben Sittenstrenge des Tacitus.

      Also vorbereitet hielt er im Winter 1807/08, belauscht von fremden Horchern, oft unterbrochen von den Trommeln der französischen Besatzung, zu Berlin die „Reden an die deutsche Nation”. Sie sind das edelste seiner Werke, denn hier war ihm vergönnt, unmittelbar zu wirken auf das eigentlichste Objekt des Redners, den Willen der Hörer; ihnen eigen ist im vollen Maße jener Vorzug, den Schiller mit Recht als das Unterpfand der Unsterblichkeit menschlicher Geisteswerke pries, doch mit Unrecht den Schriften Fichtes absprach, daß in ihnen ein Mensch, ein einziger und unschätzbarer, sein innerstes Wesen abgebildet habe. Doch auch der Stadt sollen wir gedenken, die, wie eine Sandbank in dem Meere der Fremdherrschaft, dem kühnen Redner eine letzte Freistatt bot; die hocherregte Zeit und die hingebend andächtigen Männer und Frauen sollen wir preisen, welche des Redners schwerem Tiefsinn folgten, den selbst der Leser heute nur mit Anstrengung versteht. Riesenschritte — hebt Fichte an — ist die Zeit mit uns gegangen; durch ihr Übermaß hat die Selbstsucht sich selbst vernichtet. Doch aus der Vernichtung selber erwächst uns die Pflicht und die Sicherheit der Erhebung. Damit die Bildung der Menschheit erhalten werde, muß diese Nation sich retten, die das Urvolk unter den Menschen ist durch die Ursprünglichkeit ihres Charakters, ihrer Sprache. — Unterdrücken wir strenge das wohlweise Lächeln des Besserwissens. Denn fürwahr ohne solche Überhebung hätte unser Volk den Mut der Erhebung nie gefunden wider die ungeheuere Übermacht. Freuen wir uns vielmehr an der feinen Menschenkenntnis des Mannes, der sich gerechtfertigt hat mit dem guten Worte: „Ein Volk kann den Hochmut gar nicht lassen, außerdem bleibt die Einheit des Begriffs in ihm gar nicht rege.” — Diesem Urvolke hält der Redner den Spiegel seiner Taten vor. Er weist unter den Werken des Geistes auf die Größe von Luther und Kant, unter den Werken des Staates — er, der in Preußen wirkte und Preußen liebte — auf die alte Macht der Hansa und preist also die streitbaren, die modernen Kräfte unseres Volkstums — im scharfen und bezeichnenden Gegensatze zu Fr. Schlegel, der in Wien zu ähnlichem Zwecke an die romantische Herrlichkeit der Kaiserzeit erinnerte.

      In diesem hochbegnadeten Volke soll erweckt werden „der Geist der höheren Vaterlandsliebe, der die Nation als die Hülle des Ewigen umfaßt, für welche der Edle mit Freuden sich opfert, und der Unedle, der nur um des ersteren willen da ist, sich eben opfern soll”. Und weiter — nach einem wundervollen Rückblick auf die Fürsten der Reformation, die das Banner des Aufstandes erhoben nicht um ihrer Seligkeit willen, deren sie versichert waren, sondern um ihrer ungeborenen Enkel willen — „die Verheißung eines Lebens auch hienieden, über die Dauer des Lebens hinaus, allein diese ist es, die bis zum Tode fürs Vaterland begeistern kann”. Nicht Siegen oder Sterben soll unsere Losung sein, da der Tod uns allen gemein und der Krieger ihn nicht wollen darf, sondern Siegen schlechtweg. Solchen Geist zu erwecken, verweist Fichte auf das letzte Rettungsmittel, die Bildung der Nation „zu einem durchaus neuen Selbst” — und fordert damit, was in anderer Weise E. M. Arndt verlangte, als er der übergeistigen Zeit eine Kräftigung des Charakters gebot. Noch war die Nation in zwei Lager gespalten. Die einen lebten dahin in mattherziger Trägheit, in der lauwarmen Gemütlichkeit der alten Zeit; ihnen galt es eine große Leidenschaft in die Seele zu hauchen: „Wer nicht sich als ewig erklärt, der hat überhaupt nicht die Liebe und kann nicht lieben sein Volk.” Das sind dieselben Töne, die später Arndt anschlug, wenn er dem Wehrmann zurief: „Der Mensch soll lieben bis in den Tod und von seiner Liebe nimmer lassen noch scheiden; das kann kein Tier, weil es leicht vergisset.” Den anderen schwoll das Herz von heißem Zorne; schon war unter der gebildeten Jugend die Frage, wie man Napoleon ermorden könne, ein gewöhnlicher Gegenstand des Gesprächs. Diese wilde Leidenschaft galt es zu läutern und zu adeln: „Nicht die Gewalt der Arme, noch die Tüchtigkeit der Waffen, sondern die Kraft des Gemütes ist es, welche Siege erkämpft.” Ein neues Geschlecht soll erzogen werden fern von der Gemeinheit der Epoche, entrissen dem verderbten Familienleben, erstarkend zu völliger Verleugnung der Selbstsucht durch eine Bildung, die nicht ein Besitztum, sondern ein Bestandteil der Personen selber sei. In Pestalozzis Erziehungsplänen meint Fichte das Geheimnis dieser Wiedergeburt gefunden. War doch in ihnen der Lieblingsgedanke des Philosophen verkörpert, daß der Wille, „die

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