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jedoch dem Urteile nicht zu widersprechen sein, dass bei niedrigen Menschenstämmen und unter normalen sozialen Verhältnissen der erotische Antrieb, der Paarungstrieb — wie auch in der Tierwelt — ein beschränkterer sei, als auf höheren Staffeln der Gesittung.[15] Einen sehr verwandten Gedanken spricht Cesare Lombroso[16] aus, ein hervorragender Kriminalstatistiker des modernen Italien. Es dünkt mir indessen auch eine, zwar keines direkten Beweises fähige, aber sonst nicht ganz unstatthafte Vermutung, dass die sinnlichen Freuden ihrerseits einer Entwicklung, einer Steigerung fähig seien und dass unsere urgeschichtlichen Vorfahren dieselben nicht in dem gleichen Grade empfunden haben, wie spätere, feiner ausgebildete Geschlechter. Niemand wird im Ernste bestreiten wollen, dass mit wachsender Gesittung auch das menschliche Nervensystem sich verfeinere. Man blicke nur zurück auf die Zustände innerhalb der europäischen Kulturnationen noch vor wenigen Jahrhunderten; unwillkürlich drängt die Überzeugung sich auf, dass die Menschen der Gegenwart wahrscheinlich anders geartet sind als ihre Vorgänger. Es scheint wirklich, dass der physikalische Charakter der Menschheit im Laufe der Zeit sich wesentlich verändert hat, und es unterliegt keinem Zweifel, dass das Blut und die Säfte des Menschen früher die vorherrschende Rolle spielten, während es jetzt die Nerven sind, die fast ausschliesslich den Körper der Europäer, sowie der Weissen in Nordamerika beherrschen. Gröber angelegte Wesen vermögen aber Lust und Schmerz[17] nicht in gleich wirksamer Weise zu empfinden, wie die feiner organisierten. Alexander von Humboldt bezeugt, dass die ungemein schmerzhaften Stiche und Bisse der Moskiten von den Indianern Südamerikas weit weniger als von den Europäern empfunden werden, denn Grad und Dauer des Schmerzes hängen von der Reizbarkeit des Nervensystems der Haut ab.[18] Leutnant Mage, der mit Dr. Quintin mehreren mörderischen Gefechten gegen die Bambarra beiwohnte, hatte dabei Gelegenheit wiederholt zu beobachten, — so sagt er selbst — wie viel weniger entwickelt oder vielmehr wie viel weniger empfindlich das Nervensystem der Neger ist als das unsrige, woraus es sich erklärt, dass sie auch schwerere Operationen so leicht ertragen.[19] Freilich stehen über die Empfindung der Lust noch weit weniger Beobachtungen zu Gebote als über den Schmerz, der sich zu äussern viel mehr Gelegenheit findet. Indes hat der leider der Wissenschaft zu rasch entrissene Paul Broca an den Schädeln der Pariser Katakomben den Nachweis geliefert, in welchem Masse das Volumen derselben innerhalb sechs Jahrhunderte, d. h. mit Fortschreiten der Gesittung sich vergrössert habe. Es hiesse aber aller Analogie ins Gesicht schlagen, wollte man für das Nervensystem verneinen, was für den Behälter unseres Denkvermögens sich nicht bestreiten lässt. Anthropologische Messungen haben auch ergeben, dass Grösse und Gewicht des Gehirns mit der erklommenen Kulturstufe gewissermassen Schritt halten, derart, dass die höchstgestiegenen Rassen sich auch der grössten und schwersten Gehirne erfreuen, während bei niedrigen Stämmen das Umgekehrte eintritt. Der geschätzte Anatom und Physiologe Th. Bischoff hat in einem neueren Werke[20] nachgewiesen, so weit dies die noch unzulänglichen Materialien gestatten, dass: während das mittlere Hirngewicht bei allen gesitteten Nationen so ziemlich das gleiche zu sein scheint, das der niederen Negerrassen in der That nicht nur ein geringeres ist, sondern auch geringere Unterschiede in Beziehung auf die Geschlechter und die Individuen darbietet. Zu gleichen und manchen anderen überraschenden Ergebnissen gelangt auch Dr. Gustave Le Bon in einer ungemein fleissigen, auf sorgfältigen Messungen beruhenden Arbeit.[21] Innerhalb der Kulturwelt haben wiederum, wie der Pariser Gelehrte ziffermässig darthut, die geistig thätigeren Klassen durchschnittlich die grössten Gehirnmassen, wie der Schädelumfang zu schliessen gestattet.[22] Wird auch das geistige Vermögen nicht ohne weiteres von der Massigkeit des Gehirns beherrscht, so bilden doch den bisherigen Befunden zufolge bei geistig hervorragenden Individuen grössere Gehirnmengen zwar keine ausnahmslose Regel, aber doch die entschiedene Mehrzahl, und da das Nervensystem mit den enkephalen Zuständen innig zusammenhängt, so ist es vielleicht nicht unerlaubt zu schliessen, dass jene Geistesriesen auch nervös feiner organisiert sind, d. h. Lust und Schmerz lebhafter empfinden als andre. Vielleicht erklärt sich dadurch, dass gerade solche Individuen, wie Napoleon oder ein Goethe, erotischen Freuden ganz besonders zugethan sind. Bekanntlich bestehen auch innerhalb eines und desselben Kulturvolkes, je nach seinen verschiedenen Schichten, starke Abstufungen der individuellen Nervenorganisation. Was nun für die einzelnen richtig ist, gilt wohl auch für die verschiedenen Stämme, Völker und Rassen.

      

      Der Paarungstrieb spielt in der menschlichen wie in der tierischen Gesellschaft auch um deswillen eine hochwichtige Rolle, weil seine Befriedigung bei den höher organisierten Geschöpfen ein mehr oder minder langes Zusammenleben nach sich zieht. Gewiss ist letzteres meist bloss zeitweilig; die zum Aufziehen der Jungen erforderliche Frist bestimmt im günstigsten Falle dessen Dauer. Wie kurz aber auch ein solches Zusammenleben bemessen sein möge, so zwingt dasselbe doch jedes höhere Wesen auf den oder die Gefährten Rücksicht zu nehmen, sie zu schonen, ja oft um deren Gunst zu buhlen. Aus dieser notwendigen Gemeinschaft entspringen, insbesondere wenn die beiden Geschlechter um die Pflege der Jungen sich bekümmern, Neigungsgefühle, moralische Bande und soziale Gewohnheiten.