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Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung. Friedrich von Hellwald
Читать онлайн.Название Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung
Год выпуска 0
isbn 4064066112547
Автор произведения Friedrich von Hellwald
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Ich will dabei ganz methodisch zu Werke gehen. Vater, Mutter und Kind bilden, wie oben bemerkt, die drei Elemente der Familie nach unseren Begriffen, und dabei spielt das Kind gewissermassen die Hauptrolle, denn erst mit seinem Erscheinen erweitert sich die Vereinigung von Mann und Frau zur „Familie“. „Haben Sie Familie?“ hört man fragen und meint damit, ob Kinder vorhanden seien. Von kinderlosen Ehepaaren sagen wir bedauernd, sie hätten „keine Familie“. Im weiteren Sinne lässt man zwar solche Ehepaare als Familien gelten, weil vorausgesetzt wird, dass jede Ehe behufs Begründung einer Familie zustande kommt; im eigentlichen Sinne aber werden sie nicht als Familie anerkannt, denn es fehlt ihnen dazu eben deren wesentlichstes Merkmal: die Nachkommenschaft. Da nun letztere erst eine Folge der Vereinigung zweier Personen verschiedenen Geschlechtes ist, welche Vereinigung in der Kulturwelt ihren anerkannten Ausdruck in der Ehe findet, so wird jede Untersuchung über die Geschichte der Familie notwendig eine solche über die Ehe einschliessen müssen. Weil aber die Ehe ihrerseits wiederum nur innerhalb bestimmter Gesittungskreise als Weihe des Geschlechtsverkehrs erachtet wird, so liegt uns zunächst die Aufgabe ob, diesem letzteren selbst in seinen wechselnden Formen bis auf jene untersten Stufen nachzuspüren, wo er sich als rein animale Verrichtung des menschlichen Organismus erweist. Im Geiste der Darwinschen Entwicklungslehre, welche eine qualitative Verschiedenheit zwischen menschlichem und tierischem Organismus nicht anzuerkennen vermag, glaube ich nun zu dem angedeuteten Zwecke zunächst einen flüchtigen Blick auf das organische Gattungsleben in der Tierwelt werfen zu sollen, der nicht ohne Nutzen für die späteren Untersuchungen bleiben dürfte.
[1] W. H. Riehl. Die Familie. Stuttgart, 1873. S. 115.
[2] A. a. O. S. 116.
II.
Die Geschlechter und der Paarungstrieb.
Die Erhaltung der Art und in noch höherem Masse die Weiterbildung und Entwicklung derselben zu neuen Formen ist die wichtigste Sorge der Natur, welche zur Erreichung dieses ihres vornehmsten Zweckes des Kampfes ums Dasein sich bedient. Den höheren Geschöpfen wird dieser Kampf ums Dasein wesentlich erleichtert durch die Trennung der Geschlechter. Auf den niedrigsten Stufen des Tierreiches kommt sie noch nicht vor; sie tritt erst dort auf, wo der kunstvoll gebaute Organismus eine grössere Reihe von Verrichtungen zu vollziehen hat, um im Flusse des Geschehens dauernd aufrecht sich zu erhalten. Wo also ein Tier zu grösserer Anstrengung bestimmt ist, wo es arbeiten muss, um zu bestehen, wo es nicht mehr widerstandslos den Strom der Ereignisse auf sich eindringen lässt, sondern ihm sich entgegenstellt und in ihm eigene Bahnen zu verfolgen strebt, da erscheint die Trennung der Geschlechter, und zwar als eine Teilung der Arbeit, von der Natur zu ihrem Zwecke der Artenentwicklung geschaffen. Dem einen, dem weiblichen Wesen, ist die Sorge für die Nachkommenschaft, die Aufgabe der Erhaltung der Art übertragen; das andere, das männliche Individuum ist für die Entwicklung geschaffen; es ist bestimmt im Kampfe ums Dasein besondere Eigentümlichkeiten zu erwerben, diese dadurch, dass es auch am Geschäfte der Fortpflanzung sich beteiligt, den Nachkommen zu vererben und so eine allmähliche Steigerung der letzteren, die endliche Ausbildung neuer Charaktere, die Hervorbringung neuer Arten, zu ermöglichen.[3]
Dem entsprechend zeichnet sich fast das ganze Tierreich hindurch das männliche Geschlecht durch grössere Kraft und Beweglichkeit des Leibes, durch höhere Ausbildung der Sinne aus, ist auch mit grösserer Leidenschaftlichkeit begabt. Das weibliche Geschlecht erscheint unbeholfener und schwerfälliger in seinem Leibesbau; es ist behindert und gehemmt durch vielfache Einrichtungen zum Schutz und zur Pflege der Nachkommenschaft, und seinem geistigen Wesen nach zeigt es sich scheu und zurückhaltend. So ist es auch beim höchstorganisierten Lebewesen, dem Menschen. Um in ihm etwas anderes zu sehen, als den obersten und vornehmsten Vertreter der irdischen Tierwelt, muss man von metaphysischem Nektar berauscht sein, und nichts ist mehr als die vergleichende Physiologie geeignet in dieser Beziehung jeglichen Stolz zu dämpfen. Des Menschen ganze Organisation ist homolog derjenigen der höheren Tierarten. Er hat ein ähnliches Knochenskelett, ein ähnliches Gebiss, ein Muskel-, Nerven-, Verdauungssystem, wie es bei den Säugetieren sich vorfindet. Er ist fähig, ansteckende Krankheiten auf Tiere zu übertragen[4] und von diesen anzunehmen, wodurch sich erweist, dass eine grosse Ähnlichkeit zwischen dem Tier- und Menschenblute vorhanden sein muss. Die Affen werden in einem ähnlichen hilflosen Zustande geboren wie die Menschen, und die Völkerstämme in den Tropen kommen mitunter in demselben Alter zu einer gewissen Reife, wie einige hoch organisierte Vierhänder. Und wie bei letzteren Männchen und Weibchen auf den ersten Anblick nur ganz geringfügige Abweichungen im Körperbau aufweisen, so ist auch bei sehr vielen rohen Menschenstämmen das Weib vom Manne leiblich nur sehr wenig unterschieden. Von den nackten Insulanern auf Neubritannien erzählt Wilfred Powell, welcher drei Jahre unter diesen Kannibalen verweilte, dass die Frauen in einiger Entfernung schwer von den Männern zu unterscheiden seien.[5] Désiré Charnay bemerkt das Gleiche von den Lacandon-Indianern Mittelamerikas.[6] Negerinnen von unvermischtem Blute haben nur selten üppige Formen und ähneln in Bezug auf den Knochenbau in auffälliger Weise den Männern, so dass sie, aus einiger Entfernung gesehen, von diesen kaum zu unterscheiden sind. Das Nämliche gilt von einer ganzen Reihe niedriger Völkerstämme.
In diesem Zustande der Dinge bewirkt beim Menschen freilich eine zuweilen bis ins Gegenteil umschlagende Veränderung oder „Differenzierung“ den Hinzutritt jenes Etwas, das wiederum mit einem, in unserer Sprache nicht völlig sinnerschöpfend wiederzugebenden, Fremdworte als „Kultur“ bezeichnet wird. Die leibliche Differenzierung der Geschlechter bleibt desto geringer, je tiefer die betreffenden Stämme auf der Stufenleiter der Kulturentwicklung stehen; sie wächst mit dieser. Julius Lippert, ein geistvoller Forscher, hat recht scharfsinnig dargethan, wie das Fortschreiten von der in der Urzeit vorherrschenden Pflanzennahrung zur Fleischkost, wie die auf Erfindung von Waffen und Fangmethoden gegründete Jagd jene Differenzierung zuerst ermöglichte und damit die natürliche Scheidung der Geschlechter erweitern musste. Sowohl das Mädchen als Kind, wie das Weib als Mutter waren schlechte Jagdgenossen. Auf der Stufe der höheren, gefahrvolleren Jagd sondert sich die Erwerbs- und darnach auch die Nahrungsweise des Weibes von der des Mannes ab, und zweifellos hat schon in früherer Zeit diese Verschiedenheit der Ernährungsformen auch über die Gestaltung der untergeordneten, jüngeren (sekundären) Merkmale der Geschlechter hinaus ihren Einfluss üben müssen. Das längere Verharren bei der Pflanzenkost hat dem weiblichen