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in ihrer ganzen Größe sehen und drunten das Herrenhaus auf dem Sonnenhügel.

      Kinderlachen schallte aus den Gärten, als sie ausstiegen, und der Wind bewegte die schlanken Birken, deren frisches Grün weithin leuchtete.

      »So ein Haus für so wenig Miete?«, staunte Peter. »Da wird doch kein Haken dabei sein?«

      Pfarrer Frerichs wusste, wo der Haken lag, aber er schwieg wohlweislich und freute sich daran, dass Carolas traurige Augen zu leuchten begannen.

      »Es ist wunderschön«, flüsterte sie.

      »Schauen wir es uns erst einmal von innen an«, meinte Holger Frerichs.

      Helga blieb zurück. Erst als Carola nach ihrer Hand griff und sie mit sich zog, folgte sie zögernd.

      Schweigend gingen sie durch die schönen hellen Räume. Franziska Deuring brachte kein Wort über die Lippen.

      »Gefällt es Ihnen, Frau Deuring?«, fragte Holger Frerichs.

      »Sehr«, erwiderte sie leise. »Die Miete scheint mir allerdings sehr niedrig. Ich habe mich noch umgehört. Woanders bekämen wir dafür nicht einmal eine Dreizimmerwohnung.«

      »Das sollte jetzt Ihre Sorge nicht sein«, stellte er lächelnd fest. »Der Besitzer will es in guten Händen wissen.«

      »Und wer ist der Besitzer?«, fragte Volker.

      »Ein Menschenfreund, mein Junge. Er will nicht in Erscheinung treten.«

      Frau Deuring sah ihn fragend an, aber er deutete auf den Wald, der sich hinter dem Garten ausbreitete.

      »Die Kinder von Erlenried behaupten, dass es da eine gute Fee gibt«, fuhr er fort.

      »Das muss wohl so sein«, sagte Carola nach einer kleinen Pause.

      »Die Küche ist einfach toll, Mami«, rief Peter. »Da fehlt es an gar nichts!«

      »Ist es nicht schön, Helga?«, fragte Carola ihre jüngere Schwester.

      »Unser Haus ist schöner. Das hat Vati gebaut«, stieß Helga hervor.

      Franziska Deuring betrachtete ihre Tochter kummervoll.

      »Sie wird sich fangen«, raunte Pfarrer Frerichs ihr zu. Dann sagte er lauter: »Nun könnten wir zu Fritzi gehen. Sie lädt Sie herzlich zum Kaffee ein. Übrigens sind wir verlobt, das wollte ich noch sagen«, fügte er verlegen hinzu.

      *

      Fritzi ließ keine Fremdheit aufkommen. Sie hatte ein ganz besonderes Geschick, mit Menschen umzugehen, und bei den Deurings fiel es ihr besonders leicht.

      Volker bedauerte bald, dass er schon ins Gymnasium ging und sie nicht mehr als Lehrerin haben konnte.

      Für ihn, den Jüngsten, war es leichter, sich umzugewöhnen. Er dachte noch nicht so viel nach und konnte sich schon wieder richtig freuen.

      Problematisch war eigentlich nur Helga, wie auch Fritzi feststellte. Sie blieb verschlossen und schweigsam und zeigte keinerlei Interesse an der recht lebhaft werdenden Unterhaltung.

      Nun sollte Franziska Deuring aber auch noch Herrn von Roth kennenlernen, mit dem sie zusammenarbeiten sollte. Gemeinsam gingen sie hinunter zum Sonnenwinkel, wo Bambi schon ungeduldig nach ihnen Ausschau hielt.

      »Jetzt kommen sie, Hannes«, informierte sie ihren Bruder. »Der große Junge ist wohl der Peter und der kleine der Volker.«

      »Ich kenne sie ja vom Sehen«, meinte Hannes. »Schade, dass keiner in meiner Klasse ist, dann müsste ich die blöden Hausaufgaben nicht immer allein machen.«

      »Wir müssen aber sehr nett zu ihnen sein«, erklärte Bambi. »Sie sollen sich schnell einleben in Erlenried.«

      »Noch wohnen sie ja nicht hier«, bemerkte Hannes skeptisch.

      »Warten wir es ab.«

      Fürs Abwarten war nun Bambi wiederum nicht. Sie huschte schnell zu ihren Großeltern ins Nebenhaus und begrüßte die Ankommenden mit ihrem unwiderstehlichen Lächeln.

      »Das ist unsere Bambi«, stellte Fritzi vor. »Die jüngste Enkelin von Herrn und Frau von Roth.«

      »Wir wohnen nebenan«, erzählte Bambi, »und wir haben auch vier Kinder. Wir freuen uns alle sehr, wenn Sie herkommen.«

      »Das ist lieb«, sagte Franziska Deuring herzlich.

      »Omi, Opi, Frau Deuring und ihre Kinder sind da«, rief Bambi, und da tat sich schon die Tür auf.

      *

      Für Franziska Deuring gab es kein Zögern mehr, als sie sich eingehend mit Magnus und Teresa von Roth unterhalten hatte.

      So viel Verständnis, Güte und Herzlichkeit wurden ihnen entgegengebracht. Eine neue Hoffnung keimte in ihrem Herzen. Wenn Helga nur endlich auch eine positive Reaktion zeigen würde.

      »Sag doch auch etwas, Helgakind«, bat sie, als sie wieder zu Hause waren.

      »Es ist so weit vom Friedhof entfernt«, erwiderte das Mädchen monoton.

      Franziska Deuring kroch ein Frösteln über den Rücken. Sie warf Carola einen flehenden Blick zu.

      »Vati hätte es nicht gewollt, dass du so viel an seinem Grab verbringst«, sagte Carola leise. »Er hatte es doch so gern, wenn wir fröhlich waren.«

      Ein todtrauriger Blick traf sie. Dann ging Helga zum Schreibtisch, nahm die Fotografie ihres Vaters und verschwand in ihrem Zimmer.

      »Es ist zwecklos, Mami«, erklärte Carola. »Wir müssen ihr Zeit lassen.«

      »Damit sie immer schwermütiger wird? Frau von Roth sagte mir, dass Dr. Riedel, der Arzt von Erlenried, viel von Psychologie versteht. Wir werden ihn zu Rate ziehen.«

      »Das müssen wir aber geschickt anfangen«, stellte Carola fest.

      Sie gab ihrer Mutter einen zärtlichen Kuss.

      »Für uns gibt es nun doch wieder einen Hoffnungsschimmer, Mami. Es ist schön da draußen.«

      *

      Kurz vor Monatsende zogen sie um. Weil Carola nicht ihrer Arbeit fernbleiben wollte, obgleich Harald Herwig ihr eindringlich gesagt hatte, dass ihr auch für den Umzug freie Tage zustünden, fand dieser am Samstag statt.

      Peter und Volker hatten tüchtig geholfen. Sie achteten beide darauf, dass ihre Mami sich nicht übernahm.

      Harald Herwig hatte ganz diskret mit der Spedition gesprochen und auf eigene Kosten mehrere Packer bestellt, die nicht in der Rechnung aufgeführt werden sollten.

      Franziska wunderte sich, dass sie zu fünft kamen. Aber der Spediteur erklärte ihr, eingedenk der Ermahnungen, die der Junior-Chef der Münster-Werke ihm gegeben hatte, dass sie schneller fertig werden wollten, weil Wochenende war.

      »Mehrkosten entstehen Ihnen nicht, gnädige Frau«, stellte er fest.

      Franziska Deuring schüttelte den Kopf.

      »Ich verstehe gar nicht, warum plötzlich alles so glatt geht«, meinte sie. »Wenn ich daran denke, welche Schwierigkeiten wir früher hatten.«

      »Weil die Leute in Erlenried so nett sind, sind es die anderen auch gleich«, äußerte sich Volker dazu. »Sonst müssten sie sich schämen.«

      Das war allerdings auch ein Argument. Aber insgeheim dachte seine Mutter, dass doch noch jemand anderes dahinterstecken müsste.

      Doch jetzt wollte sie darüber nicht grübeln. Sie hoffte, dass sie eines Tages alles Liebe, das sie erfahren hatten, gutmachen könnte.

      Mittags waren sie schon fertig. So geschwind ging alles, dass sie sich ganz erstaunt umblickten, als sie plötzlich in einem beinahe fertig eingerichteten Haus standen.

      Und nun hatten sie Hunger, zum ersten Mal wieder richtigen Hunger.

      Bevor aber Franziska an den Herd kam, erschienen Hannes und

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