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      »Es wäre aber vernünftig, etwas abzugeben, dann könntest du sorgenfreier leben. Du könntest Millionärin sein und schlägst dich stattdessen mit Feriengästen herum.«

      »Ich lebe sorgenfrei. Ich habe ein schönes Haus, lebe auf dem Hof mit wundervollen Menschen zusammen, habe zuverlässige und ehrliche Freunde. Ich muss nicht darben. Ich kann täglich auch nicht mehr als ein Schnitzel essen.«

      »Aber Kaviar, du könntest dir schöne Dinge kaufen.«

      »Jörg, ich habe alles, was mich glücklich macht.«

      Bis auf Thomas, der müsste auch noch da sein, fügte sie in Gedanken hinzu, sprach es aber nicht aus.

      »Wenn Frieder …«

      »Bitte nichts mehr über Frieder. Ich weiß noch nicht, wie ich künftighin mit ihm umgehen werde. Aber darum muss ich mir derzeit keine Gedanken machen. Er redet ja nicht mit mir und hat mir per Anwalt den Umgang mit Linus verboten, und ich könnte jetzt fortfahren, was er mit Linus gemacht hat. Aber da müsste ich bis morgen früh reden … Bitte einen Themenwechsel. Kommen wir auf das Problem hier. Ich werde dann morgen Früh zu Marcel gehen. Jörg«, sie schaute ihren Bruder an, »du bist dir sicher, dass du nichts gemacht hast, um ihn zu verärgern?«

      »Nein, nichts. Er kann frei schalten und walten. Ich bin doch froh, wenn ich mit dem ganzen Wein nichts zu tun habe … na ja, ich trinke ihn gern, weil wir hier verdammt gute Weine haben.«

      »Jörg mischt sich wirklich nicht ein«, bestätigte Catherine. »Er ist doch froh, dass Marcel das alles für ihn regelt.«

      Marie hatte nichts gewusst, Jörg fühlte sich unschuldig, und Catherine bestätigte das.

      Warum also wollte Marcel gehen?

      Sie würde es am nächsten Morgen erfahren, doch dazu wollte sie ausgeruht und frisch sein.

      »Seid mir nicht böse, wenn ich mich jetzt zurückziehe. Ich möchte morgen früh gern fit sein, denn das Gespräch mit Marcel wird sicherlich nicht einfach sein. Marcel ist niemand, der ohne Grund eine solche Entscheidung trifft. Außerdem fühle ich mich pappsatt. Ich habe viel zu viel gegessen. Aber lecker war es trotzdem …«

      Sie wechselten noch ein paar Worte miteinander, dann zog Bettina sich zurück.

      Keine Viertelstunde später lag sie in ihrem Bett und kuschelte sich in ihr Kissen.

      Sie dachte noch ein wenig an Thomas, den sie sich herbeiwünschte wie sonst nichts auf der Welt. Dann schlief sie ein, tief und fest.

      *

      Nach dem Genuss eines großen, starken Kaffees und eines Croissants machte sie sich auf den Weg zum Winzereibetrieb, der einige Meter entfernt vom Chateau, versteckt hinter dichten Bäumen und vom Haupthaus nicht sichtbar, zu finden war.

      Sie spürte, wie ihr Herz schlug und ihre Hände feucht wurden.

      Sie hatte keine Ahnung, wie das Gespräch mit Marcel verlaufen würde. Die Erwartungshaltung ihres Bruders lastete auf ihr wie Blei.

      Bettina erkundigte sich bei einem jüngeren Mann, den sie nicht kannte, nach Marcel und wurde in sein Büro verwiesen.

      Marcels Büro lag im Seitentrakt des langgestreckten, schmucklosen Gebäudes, das aus den Steinen der Region errichtet worden war, genauso wie das Chateau selbst.

      Bettina atmete tief durch, dann klopfte sie, um kurz darauf das Büro zu betreten.

      Es war sachlich, fast einfach eingerichtet. Aber hier legte man keinen Wert auf pompöse Büros, weil man darin ja auch die wenigste Zeit verbrachte.

      Als Marcel Bettina erblickte, stand er sofort auf und kam auf sie zu.

      »Bettina, das ist aber eine Überraschung. Schön, Sie mal wieder zu sehen. Machen Sie Urlaub auf dem Chateau?«

      »Nein, ich …«, sie zögerte, aber dann sagte sie sich, dass es keinen Sinn machte, lange um den heißen Brei herumzureden. Marcel war kein Mann großer Worte, und er würde es mehr schätzen, wenn sie auf den Punkt kam, statt herumzudrucksen. »Ich bin eigentlich nur Ihretwegen gekommen. Jörg hat mir gesagt, dass Sie gekündigt haben. Marcel, warum? Sie waren der Vertraute meines Vaters, lieben die Arbeit hier, als sei es Ihr eigener Betrieb.«

      »Das ist auch der Grund für meine Kündigung. Aber setzen Sie sich doch, Bettina.«

      Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und beobachtete, wie Marcel auf seine ruhige, bedächtige Art um den Schreibtisch herumging, um dort wieder Platz zu nehmen. Er war ein hagerer, hochgewachsener Mann mittleren Alters.

      »Jörg sagt, dass er Sie frei walten und schalten lässt.«

      Marcel nickte.

      »Ja, das stimmt.«

      »Aber dann …«, hilflos brach sie ab.

      »Ich will es Ihnen erklären, Bettina. Wir haben sehr viel Geld verloren, zum einen, weil dieses grandiose Spektakel sehr viel Geld verschlungen hat, zum anderen, weil wir den Großauftrag von Boucherté France deswegen verloren haben. Den nicht abgenommenen Wein mussten wir, um ihn überhaupt loswerden zu können, verschleudern. Es waren Investionen hier im Betrieb erforderlich. Boucherté und wir nähern uns wieder vorsichtig an, weil niemand sonst so qualitativ gute Weine im mittleren Preissegment hat wie wir.«

      »Das hört sich doch gut an, Marcel.«

      »Ich kann hier nicht ungestört meine Arbeit machen, weil ich dauernd improvisieren muss, um das Tagesgeschäft erledigen zu können. Ich musste Leute entlassen, den Kauf erforderlicher Maschinen zurückstellen, mich mit Banken herumschlagen. Ich kann die Verantwortung nicht länger tragen, denn irgendwann wird man es mir anlasten, wenn der Betrieb zusammenbricht.«

      »Aber insgesamt arbeitet der Betrieb doch rentabel.«

      »Es ist ein Weingut, kein Sesam-öffne-dich.«

      »Das verstehe ich nicht.« Bettina war irritiert.

      »Dann werde ich es Ihnen erklären. Jörg lässt mich meine Arbeit machen, das ist schon richtig. Aber er räumt hemmungslos die Konten ab. Es geht mich ja nichts an, aber muss das Chateau von Grund auf neugestaltet werden? Es war doch alles in Ordnung, und Renovierungen kann man – wenn denn überhaupt – schrittweise vornehmen. Und muss man dabei nur alles vom Allerfeinsten aussuchen? Ich weiß nicht, wie diese Veranstaltungen laufen, aber ein Ertrag wurde bislang auf jeden Fall nicht erwirtschaftet.«

      Das war ja schrecklich.

      »Haben Sie denn nicht mit Jörg darüber gesprochen?«

      »Sicherlich. Aber Sie kennen doch Ihren Bruder. Wenn es unangenehm für ihn wird, steckt er den Kopf in den Sand. Ich kann nicht hierbleiben und dem Untergang ins Auge sehen. Deswegen meine Kündigung.«

      »Haben Sie schon eine neue Stelle, Marcel?«

      »Nein, noch nicht. Aber ich verhandele und sehe keine Problematik darin. Ich werd schon was finden.«

      Na klar, Marcel war ein hervorragender Mann, der etwas von seinem Job verstand. Solche Leute wurden immer gesucht.

      Bettina schaute den Mann geradezu flehentlich an.

      »Marcel, bitte lassen Sie mich noch einmal mit Jörg reden. Es muss einen Weg geben, wenn Sie gehen, ist er aufgeschmissen, dann kann er gleich zumachen.«

      »Jeder Mensch ist zu ersetzen.«

      »Sie nicht, Marcel, Sie nicht. Bitte, lassen Sie uns eine Lösung finden, die es Ihnen erlaubt, hierzubleiben. Wenn Sie es schon nicht für meinen Bruder tun, denken Sie an Papa«, das war zwar ein wenig erpresserisch, aber Bettina fiel im Moment nichts Besseres ein. »Papa hat das hier alles aufgebaut. Das darf doch nicht den Bach heruntergehen.«

      »Ihr Vater hätte Ihnen das Chateau vermachen sollen und nicht Ihrem Bruder. Das war ein Fehler.«

      »Ich habe ja meinen Hof, und den würde ich für nichts auf der Welt hergeben. Bitte, Marcel, sagen Sie mir, unter welchen

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