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kann kein Wort hervorbringen.

      Berthold nähert sich ihr.

      »Wie sehen Sie denn aus?« fragt er besorgt. »Hat Ihnen das Auf­tauchen Ihres Onkels die Sprache verschlagen?«

      »So ungefähr, Herr Berthold. Morgen geht bestimmt ein Donner­wetter los.« Ganz unglücklich sieht Amelie aus, und sie war doch für ein paar Stunden mit den anderen so fröhlich.

      »Unsinn«, zerstreut Berthold ihre Bedenken. »Ihr Onkel war doch auch mal jung.«

      »Ich glaube«, erwidert Amelie nachdenklich, »er ist nie richtig jung gewesen, wenigstens nicht in Ihrem Sinne.«

      Berthold schüttelt den Kopf. »Ich wundere mich nur, daß Sie noch nicht erfroren sind bei der Eiseskälte, die der Professor aus­strömt.«

      »Sie arbeiten doch auch unter ihm und fühlen sich wohl«, gibt sie zurück.

      »Wohl fühlen ist zuviel gesagt«, bekennt er nachdenklich. »Man kann ungeheuer viel von ihm lernen.«

      »Ich möchte auch so gern wieder in meinem Beruf arbeiten. Das Nichtstun fällt mir langsam auf die Nerven«, gesteht sie.

      »Aber wir brauchen doch eine Kinderärztin. Kommen Sie doch zu uns!«

      »Und wer entscheidet über die Einstellung?«

      »Natürlich der Professor.«

      Amelie ist es, als habe sie einen Schlag empfangen. Und davon hat ihr Onkel ihr bis jetzt noch nichts erzählt?

      Sie richtet sich entschlossen auf. »Ich werde mit meinem Onkel sprechen«, erklärt sie mit einem Anflug von Energie.

      Lange bleibt die kleine Gesellschaft, die die Stunden von Herzen genossen hat, nicht mehr da. Mit viel Lärm steigen sie in die beiden Autos, und mit fröhlichem Winken rauschen sie ab.

      *

      Martens befindet sich in zwiespältiger Stimmung. Einerseits kann er Amelie nicht verbieten, daß sie junge Menschen in seinem Haus empfängt, auf der anderen Seite findet er bestätigt, was er vorausgesehen hatte. Seine Ruhe ist gestört. Er vergißt dabei ganz, daß er ja länger abwesend sein wollte.

      Unruhig geht er in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Als es zaghaft klopft, bleibt er stehen und wartet, wer auf seine Aufforderung hereinkommt.

      Er hat Babette erwartet; statt dessen kommt Amelie, zieht die Tür hinter sich zu und bleibt an der Wand stehen. Ihre Augen sind groß auf ihn gerichtet.

      »Kann ich dich einen Augenblick sprechen?« beginnt sie mit leiser Stimme.

      Er weist stumm auf einen Sessel in einer gemütlichen Ecke.

      »Im Annen-Krankenhaus wird eine Kinderärztin gesucht«, steuert sie sofort auf ihr Ziel zu.

      Er steht vor ihr, hat die Arme verschränkt, und Amelie läuft eine Gänsehaut über den Rücken, als sie seinen kohlen grauen Augen begegnet.

      »Hat dein Verehrer aus der Schule geplaudert?«

      In Amelie empört sich alles gegen seine Ironie. »Doktor Berthold, den du sicher meinst, ist nicht mein Verehrer. Aber es stimmt, er hat mich darauf aufmerksam gemacht. Ich möchte arbeiten, und zwar in meinem Beruf. Ich bin Doktor Berthold dankbar für den Wink.«

      »Ich habe bisher nur männliche Ärzte eingestellt«, weicht er aus.

      »Dann mache einmal eine Ausnahme. Ich nehme meinen Beruf nicht weniger ernst als du. Wenn du meinen Fähigkeiten mißtraust, kannst du mich ja auf eine bestimmte Probezeit einstellen.«

      Überlegend geht er wieder im Zimmer hin und her, dann dreht er sich schnell zu ihr um, die ihm erwartungsvoll entgegensieht.

      »Gut, ich will es mit dir versuchen, aber nur, weil deine Mutter mich in ihrem letzten Brief darum bat. Es ist wirklich eine Ausnahme; und ich gebe zu, es fällt mir schwer, von meinem Prinzip abzugehen.«

      Das ist nicht gerade erfreulich, geht es Amelie durch den Kopf. Aber sie hat einen Schritt vorwärts getan. Das ist die Hauptsache.

      »Ich danke dir.« In ihren Augen liegt ein so tiefes Strahlen, daß er rasch seitwärts schaut. »Wann darf ich zu dir kommen?«

      Ein ganz kleines Lächeln huscht um seine Lippen. Sie findet, es kleidet ihn sehr gut. Immer sieht sie ihn nur ernst und gemessen. Dabei ist auch er doch noch jung.

      »Ich sehe dir an, du möchtest am liebsten morgen kommen.«

      »Wenn du es mir gestattest – ja.«

      »Dann erwarte ich dich morgen nach der Frühvisite«, sagt er. Vergeblich sucht sie nach einer Spur Wärme in seiner Stimme. Enttäuscht wünscht sie ihm eine »Gute Nacht« und beeilt sich, aus dem Bereich seiner eiskalten Augen zu kommen.

      *

      Am nächsten Morgen läuft ihr Dr. Berthold als erster in den Weg. Er strahlt über das ganze Gesicht und reicht ihr beide Hände, just in dem Augenblick, als der Professor aus einer Tür tritt, um sein Privatzimmer aufzusuchen.

      »Na, hat es geklappt?« Berthold zerdrückt ihr fast die Hände, so offensichtlich ist seine Freude.

      »Erst muß ich zu meinem Onkel. Vielleicht hat er es sich in der Nacht anders überlegt.« Das klingt, als wolle sie resignieren.

      »Ich drücke beide Daumen für Sie«, flüstert er und ist im nächsten Augenblick um die Ecke verschwunden. Amelie setzt ihren Weg fort. Sie weiß, wo ihr Onkel sein Privatzimmer hat.

      Er steht hinter seinem Schreibtisch. Es ist ein Zimmer, das einen sehr nüchternen Eindruck macht und mit seinem Zimmer in der Villa überhaupt nicht zu vergleichen ist.

      »Ich habe die Verträge ausfertigen lassen«, beginnt er noch unpersönlicher als sonst und schiebt ihr zwei

      Exemplare zu. »Vorläufig habe ich an eine Probezeit von einem Vierteljahr gedacht.«

      »Ich danke dir«, sagt sie hocherfreut und greift zum Stift, den er ihr aus der Hand windet.

      »Willst du nicht wenigstens den Vertrag durchlesen?«

      »Ist das bei dir nötig?« fragt sie zurück. Da reicht er ihr den Stift, und Amelie setzt ihren Namen unter beide Dokumente.

      Am nächsten Morgen geht Amelie Baxter eine halbe Stunde früher, als ausgemacht, durch die Eingangstür zum Annen-Krankenhaus. Die Schwester in der Aufnahme grüßt sie freundlich und nickt ihr zu. Das gibt ihr Mut, denn sie muß sich eingestehen: Sie hat Angst vor einer Zusammenarbeit mit ihrem Onkel. Aber kaum hat sie die Luft eingeatmet, die jedem Krankenhaus eigen ist, fühlt sie sich in ihrem Element. Als ihr die Oberschwester im Flur begegnet, die ihr beide Hände voller Freude entgegenstreckt, kommt sie sich nicht mehr fremd und wie ein Eindringling vor.

      »Herzlich willkommen, Doktor Baxter«, sagt die Oberschwester. »Nett, daß Sie eine halbe Stunde früher gekommen sind. Der Professor hat eine Operation angesetzt, bei der Sie assistieren sollen. Er ist bereits im Hause und erwartet Sie in seinem Zimmer. Sie kennen ja den Weg.«

      Amelies Herz klopft bis zum Halse. Sie lächelt die Oberschwester gezwungen an.

      »Ja, danke, Oberschwester. Ich kenne den Weg«, sagt sie und eilt davon.

      Zaghaft klopft sie an die Tür zu Martens’ Zimmer.

      Er unterbricht seinen Marsch durch das Zimmer. »Ach, du bist es.« Er wirft einen Blick auf die Uhr. »Gut, daß du früher gekommen bist. Du kannst mir assistieren. Soeben wurde ein zehnjähriger Junge eingeliefert, der sich beim Sturz vom Fahrrad einen Schädelbasisbruch zugezogen hat.«

      Gleich bei einer Operation helfen? Ihr Mund verzieht sich. Sicher will er sie auf ihr Können prüfen.

      »Natürlich stehe ich dir zur Verfügung.«

      »Komm mit«, fordert er sie kurz auf, und Amelie folgt ihm über den Flur in den Aufenthaltsraum der Ärzte, der augenblicklich leer ist. Martens weist auf einen der eingebauten Schränke. »Der

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