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alles überläßt er Amelie, und die Schwester ist ihr dabei behilflich.

      Als alles vorüber ist, sagt er nur: »Gut.«

      Amelie atmet auf, als er die Tür hinter sich schließt.

      Sie sinkt neben dem Bett auf einen Stuhl.

      »Wollen Sie sich nicht etwas ausruhen?« hört sie Schwester Elsie sagen. Sie schüttelt den Kopf.

      »Ich bleibe hier.«

      »Sie müssen aber doch etwas essen.«

      Amelie winkt ab. Ihr ist die Kehle wie zugeschnürt.

      Wenn er doch durchkäme, denkt sie, als sie allein ist. Sie weiß es selbst nicht, aber gerade an diesem jungen Menschenkind hängt sie besonders. Vielleicht, weil es ihr erster Patient war?

      Trotzdem tut sie ihre Pflicht wie jeden Tag. Jede freie Minute verbringt sie jedoch an Jürgens Bett.

      Am zweiten Tag abends kommt Martens zu ihr.

      »Ich fahre heim und will dich mitnehmen.«

      »Danke, ich bleibe hier.«

      »Ich wünsche, daß meine Ärzte frisch sind und keine halben Leichen.«

      »Ich weiß genau, was ich mir zumuten kann«, erwidert sie heftig.

      »Wie du wünschst.« Damit zieht er sich zurück. Aber er fährt nicht heim. Er sucht sein Privatzimmer auf. Genau wie Amelie, gefällt auch ihm der Zustand des kleinen Jungen nicht.

      Gegen ein Uhr morgens wird die Tür zu seinem Zimmer aufgerissen. Tränenüberströmt sind Amelies Wangen. Sie macht ein paar Schritte ins Zimmer.

      »Er stirbt, Onkel –«, stößt sie an allen Gliedern bebend hervor. »Er stirbt.«

      Im Laufschritt eilt der Professor davon. Amelie hetzt hinterher.

      Martens neigt sich über den Kranken. Nur wenige Sekunden lauscht er, dann richtet er sich auf.

      »Es ist vorbei«, sagt er mit heiserer Stimme. Amelie weint hemmungslos.

      »Ich habe alles getan – alles«, stößt sie, von Tränen erstickt, hervor. Ihre Hände umklammern das Fußende des Bettes. Sie braucht einen Halt, sonst würde sie zusammenbrechen.

      Sie fühlt, wie sich ein Arm um ihre Schulter schlingt.

      »Das weiß ich, Amelie. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen.«

      Amelie hört nicht die seltsame Weichheit seiner Stimme. Erst als er in seinen gewohnten Ton verfällt, wird sie aufmerksam. Er sagt befehlend: »Du fährst sofort heim. Ich lasse meinem Chauffeur Bescheid sagen.« Damit schneidet er jeden Widerspruch ab. Sie fühlt sich jetzt auch zu keiner Diskussion imstande.

      Wortlos geht sie davon.

      Als sie in die Polster des Wagens sinkt, spürt sie zum ersten Male die Fürsorge ihres Onkels.

      Er hat ihr somit wenigstens erspart, den Angehörigen Bescheid zu geben, sie zu empfangen und ihnen den tragischen Ausgang zu berichten.

      Es wäre ihr völlig unmöglich gewesen.

      Babette erschrickt, als sie in Amelies leichenblasses Gesicht blickt.

      »Sind Sie krank, Kind?«

      Amelie winkt ab. »Nur müde, Babette, sehr müde.«

      Hinter Amelie klettert Babette die Stufen empor und ist ihr beim Auskleiden behilflich, was Amelie ohne Widerstand über sich ergehen läßt. Als Babette die Decke über sie zieht, betrachtet sie Amelie mitleidig.

      »Hat es Krach mit dem Professor gegeben?« erkundigt sie sich mit leiser Stimme.

      Amelie schüttelt den Kopf. »Später, Babette – ich bin wie ausgebrannt.«

      Babette rennt davon, kehrt mit einem Glas heißer Milch zurück und zwingt sie Amelie auf. Erst als das Glas leergetrunken ist, gibt sie sich zufrieden.

      Amelie ist im Handumdrehen eingeschlafen.

      Sie hört nicht mehr, daß Babette ihre Kleider wegräumt. Sie schläft tief und traumlos den Schlaf völliger Erschöpfung.

      Als sie erwacht, muß sie sich erst besinnen, wo sie ist und wie sie ins Bett gekommen ist. Sie sieht Martens an ihrem Lager sitzen.

      Ein heißer Schreck zuckt ihr zum Herzen.

      »Ich wollte mich nur erkundigen, wie es dir geht.«

      »Danke, gut«, flüstert sie und dreht das Gesicht zur Seite.

      »Trotzdem wirst du heute noch im Bett bleiben«, bestimmt Martens. »Du hast dich übernommen.«

      »Und habe dennoch dem kleinen Jürgen nicht helfen können«, vollendet sie verzweifelt.

      Sie sieht immer wieder das stille Gesicht des hübschen blonden Jungen vor sich. Ihre Tränen beginnen erneut zu fließen.

      Martens erhebt sich. »Ich glaube, du hast den falschen Beruf erwählt«, hört sie ihn spöttisch sagen. »Als Ärztin darf man nicht gleich schlappmachen, wenn ein Patient nicht mehr zu retten ist.«

      Ihr Kopf ruckt herum. »Er war ein so lieber, hübscher Junge«, flüstert sie wie zur Entschuldigung. Sie sieht nicht das kleine Lächeln, das um seinen Mund spielt, weil sie sich sofort wieder umgedreht hat.

      »Das ist eine recht sonderbare Einstellung. Man behandelt die Menschen nicht, weil sie einem gefallen oder sympathisch sind. Du bist Arzt und willst helfen. Persönliche Gefühle mußt du zurückstellen.«

      Wieder fährt sie herum. »Ich weiß«, sprüht sie ihn an. »Du möchtest am liebsten Maschinen aus deinen Mitarbeitern machen, gutgeölte Maschinen, und vergißt dabei, daß sie Menschen aus Fleisch und Blut sind, mit Fehlern und Schwächen, die jedoch noch nicht einmal Mitleid zeigen dürfen.«

      Er sieht gelassen auf sie herab. »Ist das alles?«

      »Ich könnte dir noch so viel sagen.« Ihre Stimme ist tränenerstickt. »Es ist doch zwecklos. Du hast kein Herz.«

      Sie hat nur den einen Wunsch, er möge sie alleinlassen. Statt dessen setzt er sich wieder auf den Stuhl.

      »Zu deinen Anschuldigungen möchte ich dir nur eine kurze Erklärung geben. Auch ich habe einmal mein ganzes Herz an einen Menschen gehängt, jawohl, du brauchst nicht so spöttisch dreinzusehen. Auch ich hatte ein Herz. Leider hat mich dieser Mensch so sehr enttäuscht, daß es meine ganze Jugend überschattete. Jetzt habe ich meinen Beruf, und der ist mir heilig. Ich gehe meinen geraden Weg. Er ist nicht immer bequem, aber bestimmt der beste. Und meine Mitarbeiter sehe ich, genau wie du, als Menschen aus Fleisch und Blut. Ich weiß, wo die Grenze des Menschenmöglichen liegt. Du wirst auch noch dahinterkommen. Du bist noch sehr jung –«

      »– habe aber bereits Erfahrungen gesammelt.«

      Jetzt lächelt er mitleidig, was Amelie in helle Aufregung versetzt. »Werde erst so alt wie ich, dann wirst du anders denken.«

      »Niemals!« schleudert sie ihm entgegen. »Auch deine Stunde wird schlagen, und du wirst erkennen, daß du vieles falsch gemacht hast. In meinen Augen bist du beinahe ein Sklavenhalter.«

      Wenn sie geglaubt hat, er würde die Beherrschung verlieren, sieht sie sich enttäuscht.

      »Ich wünsche dir weiterhin einen gesunden Schlaf. Morgen früh erwarte ich dich im Krankenhaus.«

      Wenn sie ihn nicht selbst um Arbeit gebeten hätte, sie würde ihm diese Arbeit vor die Füße werfen. Sie erkennt ihre Ohnmacht und preßt das heiße Gesicht in das Kissen.

      Er ist ekelhaft, einfach nicht zu ertragen!

      Und dann beginnt sie, ihre Gefühle zu analysieren. Eigentlich hat er ihr vom ersten Augenblick an imponiert. Nur seine steife, unnatürlich wirkende Art stößt sie ab. Sie ist Wärme und Herzlichkeit gewohnt, und bei wem sollte sie sie sonst erwarten als bei ihrem Onkel?

      Sie denkt an Dr. Allisons

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