Скачать книгу

fühlt sich in der Abgeschlossenheit des Einzelzimmers nicht einsam, sondern in der Obhut der Ärzte geborgen. Immer ist jemand um sie, der sie nach ihren Wünschen fragt. Am allermeisten bemüht sich Schwester Karla um sie. Sie sind richtige Freundinnen geworden. Sie weiß ja nicht, daß Schwester Karla täglich ein Stück von ihrer Schuld an Amelie abtragen will.

      Nur ihr Onkel macht sich rar. Sie sieht ihn flüchtig bei den Visiten, er prüft ihren Puls und kontrolliert die Herztätigkeit, nickt zufrieden und verschwindet immer so rasch, daß es ihr mitunter wie eine Flucht vorkommt.

      Sie hat längst von Schwester Karla erfahren, wie tüchtig und beliebt ihr Onkel ist. Privat weiß sie kaum etwas über ihn. Darüber will sie sich mit der Schwester nicht unterhalten.

      Einmal wird er sie ja aus dem Krankenhaus herausholen, und dann wird sie das Elternhaus ihrer Mutter kennenlernen, das sie fast greifbar vor sich zu sehen glaubt, so viel und so oft hat ihre Mutter davon gesprochen.

      In ihr ist heimliche Spannung und ergebene Erwartung. Als Ärztin weiß sie selbst, daß Ungeduld unzuträglich ist.

      Und doch schnürt es ihr die Kehle zu, wenn sie ihren Onkel mit verschlossener Miene, sachlich und kühl, an ihrem Bett sieht.

      Sie möchte ihm so viel sagen und wagt es nicht. Genau wie er, zieht sie sich zurück und verrät nichts von ihren Wünschen, Empfindungen und dem dumpfen Gefühl, ihm unerwünscht zu sein.

      Schwester Karla huscht ins Zimmer. Strahlend legt sie Amelie einen Brief mit fremdländischen Marken auf die Decke.

      »Post für Sie, ist das nicht schön?«

      »Oh!« Freudig bewegt liest Amelie den Absender: »Dr. Ben Allison.«

      Ungeduldig öffnet sie ihn. Den besten Freund hat sie während ihres Krankenlagers ganz vergessen. Ihr Herz schlägt höher. Es ist ein beruhigendes Gefühl, einen Menschen zu haben, der ihr vertraut ist und der ihr vor ihrer Abreise noch mit auf den Weg gegeben hat, sie könne jederzeit zu ihm und in sein Haus zurückkommen.

      Amelie liest:

      Liebe Amelie!

      Meine Frau und ich sind sehr in Sorge um Dich. Kein Telegramm über Deine gute Ankunft haben wir erhalten, überhaupt keine Post. Was ist los? Hast Du Deine alten Freunde vergessen? Hat Dein Onkel Dich freundlich aufgenommen? Wir vermissen Dich sehr, mein Liebes. Unser Haus kommt uns beiden Alten öde und leer ohne Dich vor. Schreibe bitte sofort. Die Veräußerung Deiner Besitzungen geht nicht so schnell voran, wie ich dachte. Ich möchte natürlich für Dich so viel wie möglich herausschlagen, wenngleich Du ein bescheidenes und anspruchsloses Menschenkind bist. Arbeitest Du in Deinem Beruf? Schreib alles über Dich. Wir warten sehr darauf.

      Es grüßen Dich von Herzen

      Dein alter Ben Allison und Frau.

      Vor Heimweh und Rührung steigen Amelie die Tränen in die Augen. Die Allisons waren eigentlich die einzigen Bekannten, mit denen ihre Mutter gute Freundschaft hielt. Nach ihrem Tod, als sie vor Schmerz wie erstarrt gewesen war, hatten sich die Allisons liebevoll um sie bemüht.

      Als Schwester Karla ihr das Mittag­essen serviert und die Tränenspuren bemerkt, sagt sie ganz entsetzt:

      »Aber Sie dürfen doch nicht weinen! Hat Sie der Brief so sehr aufgeregt? Und ich glaubte, Sie würden sich darüber freuen.«

      Amelie zwingt ein mühsames Lä­cheln auf ihre Lippen.

      »Es ist die Freude, Schwester Karla. Wissen Sie nicht, daß man auch aus Freude weinen kann?«

      Schwester Karla nickt heftig. »Doch, das weiß ich. Werden Sie jetzt aber auch tüchtig essen? Der Professor kümmert sich täglich darum. Es wäre nicht schön, wenn ich ihm im­mer wieder berichten müßte, daß Sie nur so viel wie ein Spatz zu sich nehmen.«

      Amelies Augen weiten sich in Ungläubigkeit.

      »Mein Onkel erkundigt sich danach? Und ich dachte…« Schnell verschluckt sie den Rest. Die Schwester braucht nicht zu wissen, was sie über ihren Onkel denkt. Es wirft sie einigermaßen aus dem Gleis, von seiner Fürsorge zu hören. Also beschäftigt er sich doch mit ihr?

      Mit geschickten Handgriffen hat ihr die Schwester alles zurechtgestellt. Sie lächelt Amelie herzlich zu.

      »Nun aber tüchtig zugelangt! Wenn ich wiederkomme, müssen die Teller blank sein.«

      »Ich werde mir große Mühe geben, Schwester Karla.« Sie lächelt schwach, aber lieb zurück. »Schon deshalb, damit Sie dem Professor Gutes berichten können.«

      »Nun ja, tun Sie, was Sie können. Zwingen wird Sie keiner.« Sie winkt Amelie von der Tür her noch einmal zu. »Guten Appetit.«

      »Danke!«

      Amelie zwingt sich zu einigen Bissen, und als Schwester Karla erscheint, um das Geschirr zu holen, sieht Amelie kläglich zu ihr auf. »Ich habe mein möglichstes getan, Schwester Karla.«

      »Ich verstehe schon.«

      Lautlos räumt die Schwester alles auf ein Tablett.

      »Kann ich wohl einen Brief schreiben?« fragt Amelie. »Meine Freunde wollen wissen, wie es mir geht.«

      Schwester Karla setzt das Tablett schnell ab. »Aber das kann ich doch gern für Sie tun. Ich weiß nämlich nicht, ob der Professor es Ihnen erlaubt. Wie ist es? Soll ich für Sie ein paar Zeilen schreiben? Heute nachmittag habe ich frei, da könnte ich zu Ihnen kommen.«

      »Gut, Schwester Karla. Ich danke Ihnen und nehme Ihr großzügiges Anerbieten an.«

      »Also, bis zum Nachmittag.« Schwester Karla schüttelt der Kranken die Kopfkissen auf, sieht sich um, ob alles in Ordnung ist, und geht dann zur Tür. Von dorther sagt sie in ihrer mütterlichen Art, die schwer mit ihrer Jugend in Einklang zu bringen ist: »Versuchen Sie etwas zu schlafen, ja?«

      »Ich werde mir Mühe geben, Schwester Karla, und vielen Dank.« Damit legt sich Amelie auf die Seite und versucht zu schlafen. Aber die Gedanken lassen sie keine Ruhe finden. Immer drehen sie sich um das merkwürdige Verhalten ihres Onkels. Sie kann es gar nicht fassen, daß er hinter ihrem Rücken an ihrem Wohlergehen interessiert ist.

      Das tut er sicher nur seinem Personal gegenüber. In Wirklichkeit ist er gegen sie eingestellt. Sie spürt es ganz genau.

      Über all diesem Nachdenken schläft sie schließlich doch ein.

      Nach einiger Zeit erscheint Schwester Ingrid bei ihr, ein nettes blondes Mädchen, das für die schöne Patientin eine besondere Vorliebe hat.

      »Schwester Karla hat ihren freien Nachmittag«, erklärt sie Amelie. »So müssen Sie mit mir vorlieb nehmen.«

      Amelie, noch etwas verschlafen, nickt der Schwester lächelnd zu. »Das weiß, ich, Schwester Ingrid.« Dann seufzt sie tief auf. »Schon wieder essen?«

      »Sie müssen aber«, beteuert die Schwester eifrig. »Sie müssen zu Kräften kommen. Immer eine Kleinigkeit genügt.«

      »Na schön«, Amelie fügt sich ergeben und trinkt den heißen Tee in kleinen Schlucken. Wie immer hat man ihr etwas Toast dazugegeben. Sie knabbert nur daran. Wenig später huscht Schwester Karla zu ihr herein.

      »So, da wäre ich«, sagte sie, tief atmend. »Briefpapier und Umschlag habe ich mitgebracht. Es ist Ihnen doch recht?«

      »Sie sind ein Engel, Schwester Karla, Sie denken einfach an alles.«

      Amelie diktiert nur wenige Zeilen. Daß sie einen Unfall gehabt habe, daß sie aus diesem Grunde hat nicht schreiben können, daß sie aber alles nachholen werde und daß ihr Onkel sie betreut und sie auch operiert habe. Sie ließe später mehr von sich hören, sobald sie ganz gesund sei und selbst schreiben könne.

      »Ist das alles?« fragt die Schwester enttäuscht.

      »Das genügt vorläufig. Nur noch die Adresse«, sagt Amelie, und Schwester Karla schreibt.

      Gerade will sie den beschriebenen

Скачать книгу