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Kaffeetassen hatte sich der Milchschaum zu einer bräunlichen Kruste eingedickt. Von Gerson fehlte jede Spur. Meine Laune war so mies, dass ich beschloss, erst einmal zu duschen. Ich ließ mir das heiße Wasser über Kopf und Schultern rinnen und dachte an Sven – ob er mit seiner Bina glücklich war? Er hatte überhaupt nichts von ihr erzählt, aber ich hatte ihn ja auch gar nicht nach ihr gefragt. Wo hatten sie sich eigentlich kennen gelernt? Bestimmt nicht im Kino, wie Gerson und ich.

      Wir hatten uns ein paar Mal bei Bekannten gesehen, kannten uns aber nicht so gut, dass wir uns zum Kino verabredet hätten. Und dann saßen wir zufällig nebeneinander in: „All die schönen Pferde“, von Billy Bob Thornton. Ich hatte den Roman von Cormack Mc Carthy gelesen und war neugierig auf die Verfilmung – dass Gerson sich für diesen Film interessierte, hätte ich nie gedacht. Ungefähr in der Mitte, an der Stelle, als John Grady die Ausritte mit Alejandra beginnt, und sie Seite an Seite durchs weiße Mondlicht reiten, ohne Sattel und nur mit Strickhalfter, hatte ich meinen Kopf unwillkürlich zu Gerson gedreht und sein Gesicht von der Seite angeschaut. Im Gegenlicht sah ich sein markantes Profil, seine scharf geschnittene Nase und seine schöngeformten Lippen. In diesem Augenblick hatte er nach meiner Hand gegriffen und sie den ganzen Film über nicht mehr losgelassen.

      Meine Gedanken schweiften wieder zu Sven – ob ich mir demnächst in Berlin ein neues Quartier würde suchen müssen?

      Als ich mir die Haare fönte, hörte ich den Anrufbeantworter und erkannte die Stimme von Prof. Mäuslers Sekretärin.

      „Frau Roth, melden Sie sich sofort! Frau Prof. Mäusler hat nach Ihnen gefragt. Es ist dringend.“ Die Sekretärin sprach von unserer Chefin immer mit vollem Titel, während sie meinen Doktorgrad natürlich nie erwähnte. Ich benötigte noch die Imprimatur, hatte sie mir kürzlich von oben herab verkündet. Und dafür war meine Chefin zuständig, erst wenn sie ihr Placet gab, konnte ich meine Diss. aufs Netz legen und ein Dr. vor meinen Namen setzen. Aber das war mir eigentlich ziemlich einerlei. Im Grunde bedeutete dieser Titel doch nur, dass jemand länger als andere Menschen kostbare Lebenszeit hinter Büchern vertan hatte, dachte ich patzig.

      Mit dem Fahrrad brauchte ich nur eine Viertelstunde bis in die Altstadt. Ich radelte die Ziegelhäuserlandstraße entlang, ein frischer Wind fuhr mir in die Haare, die Sonnenstrahlen tauchten den Sandstein der Alten Brücke in ein tiefes Orange, am liebsten wäre ich einfach weiter geradeaus den Fluss entlang geradelt, aber ich gab diesem Impuls nicht nach und bog auf die Brücke ab.

      Wenig später saß ich in Prof. Mäuslers Büro und berichtete über meine Berliner Archiv-Funde – sage und schreibe 50 Adoptionsurkunden. Doch wenn ich geglaubt hatte, dass meine Chefin ein Wort des Lobes oder der Anerkennung für mich bereit hatte, dann hatte ich mich getäuscht. Sie interessierte sich für die Akten, das war alles – wann und wo die Urkunden ausgestellt worden seien, jede einzeln. Prof. Mäusler steckte sich eine Zigarette an und blies mir geistesabwesend den Rauch in die Nase. Ich hustete, aber die Mäusler inhalierte noch tiefer und atmete genüsslich aus. Ich vertröstete sie auf die Kopien, die ich in Auftrag gegeben hatte und die uns demnächst zugeschickt würden.

      „Beim nächsten Mal machen Sie sich genaue Notizen“, sagte sie. „Stellen Sie sich vor, die Post geht verloren oder die Sendung fällt einem Unbefugten in die Hände.“

      Ich versuchte, mich aus der Qualmwolke zu drehen und zuckte bedauernd die Schultern.

      Prof. Mäusler wandte sich dem Poststapel auf ihrem Schreibtisch zu. „Wir sprechen uns, sobald mir die Akten vorliegen.“ Unsere Unterredung war beendet.

      Auf dem Flur traf ich Helmut. Er promovierte seit kurzem auf einer halben Stelle als geprüfte Hilfskraft und betrachtete sich als rechte Hand unserer Chefin. Er verbrachte die meiste Zeit an seinem Schreibtisch im Büro oder in der Bibliothek, war blass wie ein Leintuch und ungefähr einen Zentimeter kleiner als ich, obwohl ich mit meinen 1,68 cm auch nicht gerade zu den Bohnenstangen gehörte. Aber seitdem er die Stelle hatte, schien er gewachsen zu sein. Wenigstens kam es mir gerade heute so vor.

      „Warum hast du dich eigentlich nicht zurückgemeldet?“

      Ob Helmut anfangen wollte mir hinterher zu spionieren? Es ging ihn doch überhaupt nichts an, ob und wann ich nach einer Dienstreise im Büro auftauchte, dachte ich. Eine andere Angewohnheit von ihm war noch störender – die Gespräche mit ihm zwischen Tür und Angel oder auf dem zugigen Institutsflur hatten die Tendenz sich auszudehnen. Für einen kleinen Schwatz war er immer zu haben, während ich Fluchtgedanken entwickelte, sobald ich ihn sah.

      „Ich muss ganz schnell ins Uniarchiv – ans Lesegerät“, log ich.

      Aber Helmut stellte sich mir in den Weg. „Einen Augenblick“, sagte er. Er nahm seine Brille ab, die er sich ins Haar geschoben hatte und schaute mich triumphierend an.

      „Ich weiß nicht, ob es dir Prof. Mäusler schon gesagt hat?“

      Ich brauchte nicht lange herumzurätseln, die Botschaft war klar – die Chefin hatte nicht mir die Neuigkeit mitgeteilt, sondern Helmut.

      „Was hat sie gesagt?“

      „Dass wir zusammen ein Arbeitszimmer bekommen – genau gegenüber von Frau Norden, ihrer Sekretärin.“

      „Oh nein!“, entfuhr es mir.

      Aber Helmut war viel zu begeistert, als dass er meinen entsetzten Aufschrei gehört hätte.

      „Ist das nicht toll – ein Zimmer nur für uns – wir müssen uns nur noch einigen, wie wir die Schreibtische aufteilen.“

      „Gut! Helmut, wir sehen uns“, sagte ich ziemlich kurz.

      „Aber willst du dir das Zimmer nicht erst mal ansehen?“

      Ich winkte ab. „Später, Helmut.“

      Ich brauchte frische Luft und zwar sofort. Draußen vor der Tür empfing mich gleißendes Licht. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich meine Augen nach dem dusteren Licht im Flur des Institutgebäudes an die Helligkeit gewöhnten. Kein Wunder, dachte ich, dass die Mäusler mir mein Dienstzimmer nicht gezeigt hatte. Sie hatte es Helmut versprochen, obwohl er nur Hiwi war und für Hiwis am Institut ein eigener Raum zur Verfügung stand. Eine Frechheit, dachte ich, immerhin bin ich die wissenschaftliche Angestellte. In diesem Augenblick hätte ich viel darum gegeben, wenn ich mich von Helmut mit meinem Titel hätte ansprechen lassen können, aber nicht einmal damit konnte ich punkten! Und außerdem – was hätte er sagen sollen – Dr. Vera etwa? Wir duzten uns doch! Ich kam mir betrogen vor und mein Kopf fühlte sich an wie von einer dicken Watteschicht umgeben. Auf dem Universitätsplatz drehte sich ein auf antik getrimmtes Karussell mit Pferden, Wägelchen und einem weißen Elefanten, aber meine Stimmung hellte sich davon nicht auf. Ich lief zwischen den Buden, die Zuckerwatte und gebrannte Mandeln verkauften, Richtung Hauptstraße. An der Ecke lag mein Lieblingscafé, das „Starcafé“. Gerson wartete bestimmt schon auf mich, aber jetzt brauchte ich erst einmal einen Cappucino.

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      Glücklicherweise hatte ich am nächsten Tag frei, doch die Stimmung auf dem Leierhof war auch nicht dazu angetan, meine Laune zu verbessern. Immerhin betraf das Gerede diesmal nicht mich.

      Als ich nachmittags mit Sattel und Trense überm Arm aus der Sattelkammer kam, versperrten mir Carmen und Liberty den Weg. Sie standen vor der Tür und palaverten so hitzig, dass sie mich überhaupt nicht wahrnahmen. Liberty schien ganz besonders geladen zu sein.

      „Ich wundere mich überhaupt nicht – das hätte doch jeder hier passieren können!“, sagte sie.

      Carmen schüttelte heftig ihren Bubikopf – alles, was von Liberty kam, regte ihren Widerspruchsgeist an, das hatte ich schon einmal beobachtet.

      „Quatsch – so einfach wirft dich ein Pferd nicht ab.“

      „Natürlich nicht!“ Mit jedem Wort wurde Liberty zorniger.

      „Ich

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