Скачать книгу

ja ein Wunder und sie konnten mir hier doch eine Box anbieten? Ich versuchte meine Enttäuschung so gut es ging zu verbergen und ließ mich auf die Warteliste setzen.

      Und tatsächlich – zu meiner größten Überraschung erhielt ich schon am nächsten Abend einen Anruf. Eine der schönsten Boxen im Stall sei gerade frei geworden, ich solle mich schnell entscheiden. Natürlich sagte ich sofort zu.

Fotolia_16677407_M

      Am nächsten Morgen machte ich Nine mit ihrem neuen Zuhause bekannt. ‚Nine’ passte gut zu ihr, wie ich fand, vor allem, wenn sie, wie gerade jetzt, am langen Strick hinter mir her trottete. Manchmal blieb sie abrupt stehen, streckte den Kopf in die Höhe und schaute sich mit großen Augen um. Besonders interessierte sie sich für die Pferdäpfel, die am Putzplatz vor der Sattelkammer lagen. Sie beschnupperte sie ausführlich. Auf der Stallgasse standen drei Mädchen in Reithosen, die sich aufgeregt unterhielten. Im Vorbeigehen hatte ich den Eindruck, dass sie über uns sprachen.

      „Hast du die Neue schon gesehen?“

      „Nein! Wo soll die denn stehen?“

      „In Windspells alter Box.“

      „Oh – ausgerechnet – aber wir sind ja nicht abergläubisch.“

      „Meinst du etwa, dass es an der Box gelegen hat?“

      In diesem Augenblick nahmen die drei uns wahr und ihr Gespräch stockte. Ich schob Nines Boxentür auf und ließ die Stute hinein.

      „Hallo – willkommen auf dem Leierhof!“

      Eines der Mädchen streckte mir die Hand hin: „Ich bin Carmen“, sagte sie. „Wir kennen uns schon – ich habe Sie vor zwei Tagen herumgeführt!“

      Die Begrüßung wurde von einem lauten Grunzen unterbrochen. Nine hatte sich ins frische Stroh geworfen und wälzte sich genüsslich. Beim Aufstehen schüttelte sie sich schnaubend. Mähne und Schweif steckten voller Strohhalme. Carmen trat einen Schritt vor und gab Nine einen Klaps auf die Schulter. Ein Ruck ging durch die Stute, sie ließ das Weiße in ihren Augen aufblitzen, fletschte die Zähne und reckte den Kopf abwehrbereit nach vorne. Geistesgegenwärtig sprang Carmen zurück und hätte beinah ihre Freundin umgeworfen, wenn nicht die Dritte des Kleeblatts: „Vorsicht, Mascha!“ gerufen hätte.

      „Ach du meine Güte, die sieht so aus, als ob sie zu allem fähig ist.“

      „Scheint ja ein heißer Ofen zu sein.“ Und zu der Dritten gewandt, sagte Mascha: „Penny – wir müssen die Pferde von der Koppel holen.“

      „Was ist denn mit Ihnen los“, sagte Carmen, die neben mir stehen geblieben war. „Sie sehen ja ganz blass aus?“

      Ich war ziemlich erschrocken – so wild und aggressiv hatte ich mein Pferd noch nie gesehen.

      „Es war meine Schuld“, beruhigte mich Carmen. „Das Pferd kennt mich ja nicht – vollkommen normal so eine Reaktion. Wie hieß sie doch gleich?“

      „Nine-Days-Wonder“, sagte ich. Der ganze Name war mir einfach so herausgerutscht, das freundliche „Nine“ hatte mir einfach nicht über die Lippen gehen wollen.

      In diesem Augenblick klingelte mein Mobiltelefon. Es war Gerson und über seine Stimmung gab es keinen Zweifel.

      „Wo steckst du eigentlich den ganzen Tag? – Ich habe versucht dich anzurufen – hörst du eigentlich noch deine Mailbox ab?“

      Dazu hatte ich keine Zeit gehabt. Gerson fühlte sich vernachlässigt. „Ich wollte mit dir heute Abend ausgehen“, sagte er.

      „Morgen gerne“, sagte ich, um Schadensbegrenzung bemüht – „Für heute hab ich erst mal genug! Es war doch Nines Umzugstag – sie ist beim Händler nicht in den Hänger gegangen und ein paar Mal von der Rampe gesprungen, deshalb hat alles länger gedauert. – Hörst du mir noch zu?“

      Am anderen Ende der Leitung war es merkwürdig still. Das kannte ich nicht von ihm, doch ich ahnte, dass die Funkstille etwas mit Nine zu tun hatte. Sie gehörte mir noch keine Woche und schon jetzt fand er, dass ich zu viel Zeit mit der Stute verbrachte, Zeit, die ich besser ihm gewidmet hätte.

      „Übrigens – ich koche gerade Spaghetti mit Tomatensauce“, sagte Gerson, und es klang wie eine Schönwettermeldung nach einem grauen Regentag.

      „Ich mache einen Salat dazu. In einer halben Stunde bin ich da“, sagte ich erleichtert.

      Ich nahm mir vor, an diesem Abend das Thema „Nines Umzug auf den Leierhof“ so gut es ging zu vermeiden, auch wenn es mir schwer fiel. Aber dann fing Gerson an, von Pferden zu sprechen. Nicht direkt natürlich, wie immer nahm er den Umweg über seine Kamera. Er erzählte von den Photos, die er in der vergangenen Woche geschossen hatte und landete nach kurzer Zeit bei seinem Lieblingsthema, der alten Leica Baujahr 1939.

      „Ich muss sie dir mal zeigen, du musst sie mal in der Hand halten – schon allein das Lederetui ist sehenswert.“

      Er hatte die Kamera in einem Secondhandladen entdeckt. Es war genau das gleiche Modell, mit dem mich mein Großvater als Kind geknipst hatte.

      „Ich habe die Bilder schon entwickelt, du musst sie dir unbedingt mal anschauen!“

      An anderen Tagen betrachtete ich mir seine Photos gern, aber heute fielen mir fast die Augen zu.

      „Hat das nicht Zeit bis morgen?“, fragte ich, doch er hielt mir die Abzüge so dicht unter die Nase, dass ich einen Blick darauf werfen musste.

      „Was für ein tolles Pferd!“ Ich war auf einmal hellwach. „Der geht sicher im ganz großen Sport? Ein Traumphoto! Wo hast du das geknipst?“

      „Kennst du das Pferd etwa nicht? Das ist doch Windspell, der berühmte Dressurhengst, der letztes Jahr den Grand Prix auf dem Mannheimer Maimarkt gewonnen hat – ich habe ihn dort auf dem Turnier photographiert. Er stand übrigens auf dem Leierhof“, fügte Gerson hinzu.

      „Ja – und?“ Ich verstand nicht, was er mir damit sagen wollte.

      „Vera! – Das pfeifen die Spatzen doch von den Dächern – wahrscheinlich steht es schon in der Zeitung – Windspell ist vor ein paar Tagen eingegangen. Kolik, Darmverschluss, sagt man, das Übliche, zu spät in die Klinik – na ja, vielleicht war es auch was anderes.“

      „Wie schrecklich! Gerson! Dann war Windspell am Ende das Pferd mit der Kolik – ich hatte es völlig vergessen – er ist also doch gestorben – ich habe so etwas geahnt! Kein Wunder, dass sie für Nine so schnell eine Box frei hatten“, sagte ich und ich merkte, wie sich meine Freude über Nines Umzug in Luft auflöste. Gerson schenkte mir ein Glas Rotwein ein. „Du hast Windspell sterben sehen?“ sagte er voller Mitgefühl.

      Ich fühlte mich müde und erschlagen und ging früh zu Bett. Aber ich schlief schlecht in dieser Nacht und träumte wirres Zeug. Nicht von dem jämmerlich eingegangenen Windspell, es ging natürlich um Nine. Sie war gewachsen, zuerst die Ohren, dann die Beine, ich würde mir zum Aufsitzen eine Trittleiter ausleihen müssen, dachte ich besorgt. Zum Schluss schoss ihr Widerrist derartig in die Höhe, dass mein alter Sattel nicht mehr passte. Nine verdrehte die Augen, bleckte die Zähne und wieherte mir zu: „Ich muss wachsen, und du musst abnehmen!“ Merkwürdigerweise konnte ich sie problemlos verstehen, doch als ich sie anflehte, endlich mit dem Wachsen aufzuhören, stellte sie sich taub. Sie tänzelte aufgeregt in ihrer Box herum und ich bekam Angst, dass sie sich den Kopf anstoßen und in Panik geraten würde. Es fehlte nicht viel und sie würde auf der Hinterhand kehrtmachen, die Stallgasse hinunter galoppieren, ausrutschen, und sich die Beine brechen. Doch im letzten Moment packte mich jemand an der Schulter und das Pferd verschwand.

      „Danke, Gerson“, sagte ich schlaftrunken. „Du hast uns sehr geholfen“, drehte mich um und schlief traumlos bis zum Morgen.

      Der

Скачать книгу