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stell bitte deine Reitstiefel in den Keller“, sagte er, als ich mich umdrehte, um unter die Dusche zu gehen.

      Am nächsten Morgen wurde ich vom Klingeln des Telefons geweckt. Es war 7 Uhr und noch nicht einmal ganz hell. Gerson blinzelte durch ein halbgeöffnetes Augenlid, murmelte etwas, das so klang wie “wahrscheinlich wieder einer deiner Pferdeleute“ und drehte sich genüsslich auf die andere Seite. Gähnend stand ich auf – es war spät geworden, gestern Abend, der Film hatte Überlänge gehabt und mich nicht die Bohne interessiert – aber das, was ich jetzt hörte, machte mich sofort hellwach. „Frau Roth, wir brauchen die Box, wann können Sie Ihr Pferd abholen?“ Der Händler klang barsch und unfreundlich und schien überhaupt nicht bereit, mir zuzuhören.

      „Aber ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich erst einen Stall suchen muss“, versuchte ich, um ihn zu beschwichtigen, doch meine Antwort brachte ihn erst richtig in Rage: „Dann schauen Sie doch mal in Ihren Vertrag und lesen das Kleingedruckte zu § 3 – dort steht klipp und klar, dass das gekaufte Pferd nur solange bleiben kann, bis wir die Box brauchen. Und jetzt ist es soweit.“

      Leider hatte er recht, unter Punkt 3 stand alles schwarz auf weiß, so wie er es gesagt hatte. Ich hatte den Vertrag unterschrieben, ohne das Kleingedruckte zu lesen, daran gab es nichts zu rütteln. Ich weiß nicht wie es mir gelang, aber irgendwie schaffte ich es, noch zwei Tage herauszuschinden. „Ich warne Sie“, sagte der Händler, „spätestens übermorgen bringe ich Ihnen die Stute, wohin ist mir egal – notfalls stelle ich sie Ihnen in den Garten.“

      Das waren herrliche Aussichten, aber es half alles nichts, ich musste so schnell wie möglich einen passenden Stall finden.

      Die beiden Reitställe, die ich mir anschaute, verdienten ihren Namen nicht. Warum der erste nicht schon längst aus Gründen des Tierschutzes geschlossen worden war, war mir ein Rätsel.

      Die Anlage lag mitten im Neubaugebiet. Wo einmal Pferdekoppeln waren, taten sich jetzt gigantische Baustellen auf, hier würden in Kürze Wohnblocks und Kliniken entstehen. Die Boxen waren in einem schlimmen Zustand, dunkel, ohne Auslauf, die meisten hatten nicht einmal ein Fenster, durch das die Pferde ihren Kopf hätten stecken können. Der Stall war schlecht gemistet und die Luft stickig und feucht, ein ideales Klima, um Bakterien zu züchten. Meine Frage: „Was würde Nine dazu sagen“, brauchte ich hier gar nicht erst zu stellen, sie beantwortete sich von selbst.

      Der nächste Hof auf meiner Liste lag ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. In unmittelbarer Nähe dieser Anlage befand sich ein gigantischer Müllplatz, der im Zehnminutentakt von donnernden LKWs angefahren wurde. An dieser Zufahrtsstraße lagen die Pferdekoppeln. Dennoch fuhr ich auf den Hof, um den Pächter kennenzulernen. Doch der hatte offensichtlich vergessen, dass er sich mit mir verabredet hatte, denn er ließ mich eine halbe Stunde vor verschlossenem Hoftor warten. Ein untersetzter, dickbäuchiger Mann mit einem kugelrunden Kopf und kleinen schlauen Äuglein, die mich aufmerksam taxierten. Er war das genaue Gegenbild eines Reitlehrers, wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte.

      „Was für ein Pferd haben Sie denn?“, wollte er als erstes wissen. „Eine sechsjährige Stute, eine Nerwa-Tochter“, sagte ich. Als hätte ich ein Zauberwort ausgesprochen, fing der Mann an auf mich einzureden. „Sie brauchen bestimmt Beritt? Und Reitstunden? Da sind Sie bei uns richtig!“ Während unseres Gespräches wurde ich das Gefühl nicht los, dass er sich im Stillen überlegte, wie es auf meinem Bankkonto aussah. Die einzige freie Box, die er mir anbieten konnte, befand sich ganz hinten in einem dunklen Stallgebäude, das gleichzeitig als Heulager genutzt wurde. Als er mir den Preis für dieses Loch nannte, drehte ich mich auf dem Absatz um und verlies grußlos den Hof.

      Als ich den Zündschlüssel umdrehte, musste ich an Gerson denken. Was mein Verhältnis zu Nine-Days-Wonder betraf, hatte er sich schnell eine Meinung gebildet. Er bezeichnete mich als Pferdenärrin, die wie alle Pferdefrauen von einem gefährlichen Virus befallen sei. Aber damit nicht genug, setzte er hinzu, wenn es hart auf hart käme, würde ich mich nicht für ihn, sondern für das Pferd entscheiden.

      Wie sehr er mit dieser Unterstellung ins Schwarze getroffen hatte, merkte ich jetzt auf der Stallsuche. Ich konnte ja nichts dafür – es war mir, als ob man Nine-Days-Wonder und mich zu einem Paket zusammengeschnürt hätte, dessen Schnüre von Tag zu Tag fester gezurrt wurden. Diesen Druck spürte ich, denn ich sagte mir, dass ich eine große Verantwortung übernommen hätte – eine Verantwortung für ein Wesen, das mich brauchte, weil es nicht für sich selbst sorgen konnte. Es kam mir sogar vor, als ob Nine und ich so etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft bildeten.

      Mit bangem Herzen machte ich mich auf den Weg zu dem dritten Hof auf meiner Liste. Was sollte ich bloß anfangen, wenn sich auch dieser Stall als Pleite herausstellte? „Wenn alle Stricke reißen“, hatte Gerson geulkt, „stellst du Nine eben in die Garage beim Nachbarn.“ Er hatte leicht reden, seine Surfbretter und seine beiden Mountainbikes waren leichter unterzubringen als ein Pferd.

      Der Leierhof lag in Stadtnähe wie eine Insel im tosenden Verkehrsstrom, umgeben von einem dichten Netz von Straßen und Autobahnen. Aber wenn man die richtige Ausfahrt erwischte und dann noch den Schleichweg an den Ami-Kasernen vorbei über die Felder nahm, sah man überall Pferde auf grünen Wiesen grasen. Der Leierhof schien wie für einen Werbeprospekt entworfen. Ich stellte meinen Golf auf dem Parkplatz unter einem alten Nussbaum ab. Weil ich ein paar Minuten zu früh angekommen war, vertrieb ich mir die Zeit, indem ich einen passenden Text zu dem Prospekt entwarf: „Genießen Sie Ruhe und Frieden vor den Toren der Großstadt. Unsere hochqualifizierten Fachkräfte verbessern Ihr reiterliches Können und den Ausbildungsstand Ihres Pferdes. Luxuriöse Pferdeboxen machen unsere Anlage noch attraktiver“, genau das war es doch, was ich suchte!

      Eine junge, sympathisch wirkende Frau in Reithosen führte mich wenig später durch die Anlage. Im Stall duftete es nach Heu, die Pferdeboxen waren sauber, luftig und hell, Nine-Days-Wonder würde sich hier wohlfühlen, da war ich mir sicher.

      Doch gerade, als wir den Stall verlassen wollten, hörte ich Schreie. Das Gebrüll klang beängstigend, ein Mann versuchte verzweifelt, ein Pferd zum Aufstehen zu zwingen. Vielleicht hatte sich das Tier festgelegen und er brauchte Hilfe?

      „Kommen Sie“, sagte die Frau zu mir und schob mich schnell dem Ausgang zu. Es schien ihr nicht recht zu sein, dass ich den Grund für die Aufregung erfuhr. Aber jetzt war ich neugierig geworden. Ich trat an die Gittertür heran, hinter der ich die Schreie gehört hatte. Mir bot sich ein schrecklicher Anblick. Im zerwühlten Stroh lag ein Pferd mit weitaufgerissenen, blutunterlaufenen Augen. Es lag auf der Seite und streckte alle Viere von sich. Das Fell klebte nass und schwarz am Körper, ich hätte nicht sagen können, ob es sich um einen Braunen oder einen Rappen handelte. Das Tier röchelte, Schaum trat vor das Maul, sein Leib hob und senkte sich, der Kopf lag flach im Stroh, es war zu schwach, um ihn zu heben. Ein großer, hünenhafter Mann mit schwarzem Vollbart traktierte das Pferd mit Fußtritten. „Steh` auf“, schrie er es an, aber der Wallach verdrehte nur seine Augen und atmete immer flacher.

      „Das Pferd stirbt!“ Ich zitterte am ganzen Körper. Meine Begleiterin versuchte mich zu beruhigen. „Eine Kolik“, sagte sie. „Das Pferd neigt dazu. Iwan, der Pfleger hat den Tierarzt gerufen. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“

      Mit weichen Knien und einem mulmigen Gefühl im Bauch folgte ich ihr hinaus zu den Außenplätzen. Vor der Weide lag das große Dressurviereck. Eine Frau auf einem eleganten Fuchs übte fliegende Galoppwechsel. Um das Pferd herum sprang laut bellend eine grauschwarz gesprenkelte Dogge. Der blonde Pferdeschwanz, der im Takt hin- und herwippte, ließ die Reiterin jünger aussehen, als sie vielleicht war. Mit ihren Reitkünsten würde ich mich nicht messen können, aber was Nine-Days-Wonder anging, brauchte ich mir keine Sorgen zu machen.

      Alles was ich hier draußen sah – die gepflegten Reitplätze, die Reiterin, bei der es sich bestimmt um eine bekannte Turnierreiterin handelte, und die großen, mit leuchtend weisen Holzgattern umzäunten Weiden – ließen mich den traurigen Vorfall im Stall schnell vergessen. Gerade als ich mich entschlossen hatte, nach dem Preis einer Box zu fragen, sagte die junge Frau: „Im Augenblick ist unser Stall voll. Ich kann Sie aber vormerken.“

      Meine Enttäuschung stand mir auf der

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