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– aber da kannte ich mich überhaupt nicht aus. Glücklicherweise schien der Händler meine Verlegenheit gar nicht zu bemerken. „Ihr Vater war der Vollblüter Aggregat und ihre Mutter war die schwarzbraune Trakehnerstute Nerwa. Ihre Töchter sind ihr wie aus der Rippe geschnitten – Namibia, Narcisse, Nexe, – und wie sie alle heißen – haben es im großen Sport zu beachtlichen Meriten gebracht.“

      Ich schluckte. So ein Pferd war für mich bestimmt zu teuer. Ich hatte mir eine Grenze gesetzt, über die ich auf keinen Fall hinausgehen durfte, als Berufsanfängerin konnte ich nicht gleich in die Vollen gehen. Ich hatte gerade meine Doktorprüfung bestanden und gleich darauf eine Stelle gefunden. Mitten in der Heidelberger Altstadt, zum Universitätsplatz und zu meinem Lieblingscafé war es nur ein Katzensprung, die Bibliothek lag um die Ecke und meine Chefin hatte mir ein eigenes Büro im Institut in Aussicht gestellt. Vertraglich geregelte Arbeits- und Urlaubszeiten, ein regelmäßiges Einkommen und eine interessante Aufgabe, die mir genug Zeit ließ, meinem Hobby nachzugehen. So jedenfalls hatte ich mir meine neue Arbeit vorgestellt, denn sonst wäre ich wohl kaum auf die Idee mit dem Pferd gekommen. Seit meiner Kindheit hatte ich von einem eigenen Pferd geträumt und jetzt sah ich mich plötzlich in der Lage, mir diesen Traum zu erfüllen. Doch dieses Pferd kam für mich nicht in Frage, ich traute mich nicht einmal nach dem Preis zu fragen.

      Der Händler schien mein Zögern gar nicht zu bemerken. Er öffnete die Boxentür, streifte der Stute ein Stallhalfter über und zog sie ziemlich unsanft aus ihrem Stall auf den Hof hinaus. Dort band er sie an einem Geländer fest. Doch die Stute, die widerwillig und schläfrig hinter ihm hergetrottet war, ließ plötzlich das Weiße in ihren Augen blitzen, stampfte mit ihrem Vorderhuf so zornig auf den Steinboden, dass die Funken sprühten, verlagerte dann ihr ganzes Gewicht auf die Hinterhand, sodass sich der Anbindestrick bis zum Äußersten spannte und nur nicht zerriss, weil der Panikhaken im letzten Augenblick nachgab. Doch jetzt war das Pferd frei und galoppierte mit donnerndem Hufgetrappel davon.

      „Verdammt“, entfuhr es dem Händler und ich hatte den Eindruck, dass er sich nur deshalb vor weiteren und noch schlimmeren Flüchen zurückhielt, weil er auf mich keinen noch schlechteren Eindruck machen wollte. „Irgendetwas hat sie erschreckt, sie ist sonst immer sehr brav.“ Aber davon war der Stute nichts anzumerken. Sie galoppierte immer noch in engen Zirkeln auf dem Hof herum und alle Versuche des Händlers und seiner Helferin, das Tier zu beruhigen, erreichten nur das Gegenteil.

      „Lassen Sie mich mal“, sagte ich. Ich wunderte mich über mich selbst – woher nahm ich plötzlich dieses Selbstvertrauen, ein fliehendes Pferd aufzuhalten? Bisher hatte ich doch nur Schulpferde geritten und in den Ferien manchmal das Pony meiner Freundin gepflegt. Ich weiß nicht, was mit mir geschah, ich fühlte nur, wie ich plötzlich ganz ruhig wurde. Langsam näherte ich mich der Stute. „Hoooo, hooo“. Sie spitzte die Ohren, als sie meine Stimme hörte, fiel in einen leichten Trab, ging ein paar Schritte und blieb stehen. Dann drehte sie sich zu mir um und schaute mich aufmerksam an. Ich streckte die Hand aus und forderte sie auf, zu mir zu kommen. Und genau das tat sie.

      „Das ist Ihr Pferd“, sagte der Händler anerkennend. „Nine-Days-Wonder, die Nerwa Tochter“, fügte er hinzu und es klang, als spräche er von einer Prinzessin. Doch erst als ich selbst im Sattel saß, wusste ich, was er gemeint hatte. Ich hatte das Gefühl auf einer rosa Wolke zu schweben. Noch nie hatte ich ein Pferd geritten, das so weich und feinfühlig auf alle meine Hilfen reagierte. Als ich abstieg und den Sattelgurt lockerte, drehte sich die Stute zu mir um und legte mir ihren Kopf auf die Schulter. Es war mir, als wolle sie mir etwas ins Ohr flüstern, doch ich verstand es nicht, weil der Händler im gleichen Augenblick zu reden anfing.

      „Jetzt kann ich es Ihnen ja sagen – es gibt nicht viele Leute, die mit dieser Stute zurechtkommen – aber Sie beide scheinen die gleiche Wellenlänge zu haben – ich mache Ihnen einen guten Preis – Sie brauchen nur einzuschlagen.“

      Colorado Rocky Mountains high – ich hatte den Oldies-Sender eingestellt und dieses Lied spielten sie nur für mich. Ich fuhr durch die sanften Kraichgauhügel zurück nach Hause und sang aus vollem Herzen mit, den Text kannte ich auswendig. He left yesterday behind him, you might say, he was born again, he found a key to every door. Genau so ging es mir in diesen Minuten, ich kam mir vor wie neugeboren, ich fühlte mich glücklich, frei und leicht, als ob ich ohne Sattel durch die Prärie galoppierte, auf meiner Stute Nine-Days-Wonder, immer geradeaus, der Sonne nach. Alles andere lag hinter mir, die schweren Prüfungen, die Suche nach dem richtigen Pferd, und die schwierige Anfangszeit mit Gerson. Er würde jetzt daheim auf mich warten, in unserem Zuhause, begierig darauf, meine Neuigkeiten zu hören.

      Wir hatten lange gezögert zusammenzuziehen, aber als wir die Entscheidung endlich getroffen hatten, ganz schnell eine Wohnung gefunden. Sie lag im Heidelberger Stadtteil Neuenheim, dem grünsten Viertel der ganzen Stadt. Die Gärten hinter den Häusern bildeten ein parkähnliches Geviert, mit alten Obstbäumen, Fliederbüschen und Rosenbeeten. Bei unserem Einzug stand der alte Kirschbaum hinter unserem Haus in voller Blüte. Von unserem Küchenbalkon sah man das Eichhörnchen, das in luftiger Höhe vom einen in den anderen Garten wechselte, oder den Buntspecht, mit seiner roten Haube, der die Rinde nach Insekten abklopfte und die gelb-grünen Sittiche, die mit aufreizenden Schreien durch die Luft schossen, aber ich war meistens so beschäftigt, dass mir für solche Musestunden die Zeit fehlte. Ich war auf Pferdesuche und in jeder freien Minute unterwegs. Gerson schüttelte über mich den Kopf: „Du tauschst einen Stall voller Pferdemist gegen ein Paradies“, sagte er.

      Wenn er erst einmal Nine kennen lernte, würde er mich verstehen, dachte ich. Der Name war mir beim Mitsingen eingefallen, genauso würde ich die Stute nennen. Er war keine einfache Abkürzung, ich würde ihn nämlich deutsch aussprechen, N-i-n-e, das klang wie Tine, so freundlich und rund, genauso wie sich mir das Pferd gezeigt hatte. Ihren ganzen Namen würde ich mir für offizielle Angelegenheiten vorbehalten, vielleicht gingen wir ja mal zusammen auf ein Turnier, da machte sich Nine-Days-Wonder natürlich besser. Stolz, eigensinnig und überraschend – davon hatte sie ja auch etwas. Sie sollte es gut bei mir haben. Ich würde mir alle erdenkliche Mühe geben, um sie so unterzubringen, dass sie sich richtig wohlfühlte. Sie brauchte eine Wiese, eine große, helle Box mit einem Auslauf, noch besser wäre ein Offenstall, schon wegen des Kontaktes zu anderen Pferden. Und gutes Futter natürlich, immer frisches Wasser und saubere Luft.

      Ich hatte es eilig die Wohnungstür aufzuschließen, Gerson war schon zu Hause, ich hatte sein Fahrrad an der Hauswand lehnen sehen. Aber irgendetwas stimmte nicht mit meinem Schlüssel, er klemmte und ließ sich nicht mehr nach rechts und links drehen, und ich konnte ihn nicht wieder herausziehen. Aber das machte nichts, Gerson war ja da, ich konnte also klingeln. Doch niemand öffnete. Vielleicht hört er Radio, oder telefoniert gerade, dachte ich, unsere Klingel ist zu leise, wir hätten sie schon längst austauschen sollen. Also versuchte ich es noch einmal mit dem Schlüssel, ich rüttelte ein bisschen an dem widerspenstigen Objekt, und plötzlich sprang die Wohnungstür auf.

      Meine Reitstiefel ließ ich im Flur in einer Ecke stehen und stürmte in die Küche. „Gerson, stell dir vor, ich habe – “, aber ich brach mitten im Satz ab. Gerson saß am Küchentisch hinter seiner Zeitung und schien mich überhaupt nicht wahrzunehmen. Es war so ruhig, dass man ein Blatt Papier zu Boden fallen hätte hören können, die Luft in der Küche schien zu Eis erstarrt, schneidend, dass mir das Atmen schwer fiel. Ich schaute ihn an, aber er las gar nicht, sondern starrte geradeaus ins Leere. Dann machte er sich umständlich und in aller Ruhe daran, die Zeitung zusammenzufalten, schob die einzelnen Teile ineinander, Ecke auf Ecke, zog den Falz in der Mitte nach, überprüfte die Seitenzahlen und klappte den Packen Papier in der Mitte zusammen. Es war als ob er alle seine Spuren verwischen wollte, warum wusste ich nicht.

      „Gerson?“ Ich fühlte einen Kloß in meinem Hals und meine Knie wurden auf einmal weich. Kein Wunder, ich war ja den ganzen Tag auf Achse gewesen und merkte jetzt erst, dass ich müde und hungrig war.

      „Da bist du ja endlich – ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet. Gegessen habe ich schon – ist dir eigentlich klar, dass wir in einer halben Stunde zum Kino verabredet sind?“

      „Oh nein! Das habe ich völlig vergessen.“ Ich atmete auf, meine Schwäche verflog, jetzt war mir klar, warum Gerson so

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