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Worten fühlte, widersprach heftig: „Du hast gut reden – Taxos macht auf der linken Hand immer Taktfehler – soll sie da etwa die Zügel wegwerfen?“

      „Ich habe sie gewarnt, warum setzt sie sich immer wieder auf ein buckelndes Pferd?“

      Jetzt erst bemerkten mich die beiden, sie nickten mir kurz zu, ohne mir auch nur einen Zentimeter auszuweichen.

      „Es ist die Dressurreiterei“, sagte Liberty erregt. Sie mühte sich mit den „Rs“ ab, was ihrer forsch vorgetragenen Behauptung etwas Gequältes gab.

      „Ihr macht es doch alle gleich – zerrt eurem Pferd im Maul, haltet es vorne fest und traktiert es mit den Sporen. Schrecklich! Jedenfalls hat Taxos erst mal Ruhe.“

      Merkwürdigerweise widersprach Carmen jetzt nicht mehr. „Marga hat Glück gehabt – bei diesem Sturz hätte sie sich das Genick brechen können“, sagte sie nachdenklich. „Eigentlich tut sie mir leid – sie hat nur Pech gehabt in letzter Zeit. Übermorgen wollte sie auf dem Turnier die Dressurprüfung gewinnen!“

      „Hat sie sich verletzt?“, fragte ich. Plötzlich spürte ich ein flaues Gefühl im Magen – ich wusste nicht recht, ob es mit Marga zu tun hatte, ich kannte sie ja kaum und hatte bisher nur ein paar Worte mit ihr gewechselt. Ob ich vielleicht selbst Angst hatte, abgeworfen zu werden?

      „Nein – Marga geht es gut – aber Taxos hat sich eine Sehne gezerrt“, sagte Liberty, aber außer Mitleid mit dem Pferd schwang auch noch ein anderer Ton mit, den ich nicht so recht zu deuten wusste. Freundlich kam er mir jedenfalls nicht vor, eher verächtlich und arrogant. Liberty gab sich den Anschein, als habe sie das ganze Unglück kommen sehen, aber da niemand auf sie hören wollte, hatten die Dinge ihren Lauf nehmen müssen.

      „Du hast Glück, Vera!“

      Carmen hatte Recht – Taxos Verletzung brachte mir tatsächlich einen Vorteil: Roberto Kraus war ganz für mich da – oder vielmehr – für Nine war er da. Gleich nach der ersten Reitstunde hatte Roberto mir angeboten, meine Stute in Beritt zu nehmen. Er wolle ihr einige Grundlagen beibringen, aber dazu müsse er sie mindestens zwei Mal die Woche reiten. Natürlich hatte ich eingeschlagen – etwas Besseres hätte mir gar nicht passieren können.

      Anscheinend hatte Carmen heute Morgen auch frei, dachte ich, als sie wenig später mit mir und Liberty am Viereck stand. Sie könne die erste Schulstunde einfach ausfallen lassen, sagte sie, die Note im Wahlfach stehe ohnehin fest. Marga ließ sich nicht blicken. Wahrscheinlich hatte sie genug mit Taxos zu tun, vermutete ich, aber Carmen grinste nur und flüsterte mir ins Ohr:

      „Ich glaube, sie ist eifersüchtig!“

      Auf wen denn? Etwa auf Nine? – das kam mir merkwürdig vor. Oder etwa auf mich? Wer weiß, dachte ich, vielleicht hat Marga mitbekommen, dass mir Roberto das „Du“ angeboten hatte und Nine auf dem großen Maimarkt Turnier in Mannheim vorstellen wollte. Dort tummelten sich alle, die in der Dressurszene Rang und Namen hatten – richtig große Namen wie Isabell Werth und Anky van Grunsven zum Beispiel. Im letzten Jahr hatte Marga eine Schleife mit nach Hause gebracht. Dieses Mal würde sie nicht mehr starten können, war das etwa kein Grund für Eifersucht?

      „Wenn Roberto Nine reitet, kann die Stute endlich mal zeigen, was in ihr steckt!“ Wollte Carmen etwa damit sagen, dass ich unfähig sei, das Potential meines Pferdes selbst herauszureiten?

      Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte, aber Liberty schüttelte den Kopf. „Passt nur auf, dass Euer Roberto Nine nicht überfordert“, sagte sie spitz. Sie gab mir den Rat, beim Beritt zuzuschauen. „Roberto muss das Gefühl haben, dass du aufpasst – denn sonst macht er es so, wie damals mit Windspell – er ist nach dem Reiten immer gleich abgestiegen und hat das schwitzende Pferd Iwan überlassen.“

      „Vielleicht musste er noch Unterricht geben?“, wandte ich ein.

      Liberty grinste.

      „Wo denn – etwa in seinem Reiterstübchen? – Wenn du von da oben Radio Regenbogen hörst, dann weißt du Bescheid. Bis vor kurzem hat Karlchen vor der Tür Wache gehalten.“

      Ich schaute hinauf zu dem geschlossenen Fenster. Irgendjemand – Carmen vielleicht – hatte mir erzählt, dass Roberto dort in der Mittagspause seine Butterbrote verspeiste – ob er dazu das Radio anstellte? Na und? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Roberto Nine vernachlässigte, nur um irgendwelche dubiosen Radiosendungen zu hören. Mir schien, als ob hinter Carmens Lob und den Bedenken und Ratschlägen Libertys etwas anderes stand. Irgendetwas schien ihnen nicht zu passen – Carmen nicht und Liberty auch nicht, von Marga ganz zu schweigen. Alle drei hielten sich für perfekte Reiterinnen und gaben vor, das Beste für ihre Pferde zu tun, aber jede von ihnen hatte andere Vorstellungen vom Reiten und der Pferdepflege. Aber da gab es auch noch was anderes. Carmen zum Beispiel bewunderte nicht nur Robertos Reitkunst, sondern hatte sich wie alle Mädchen auf dem Leierhof bis über beide Ohren in unseren attraktiven Reitlehrer verknallt. Und was steckte hinter Libertys angeblicher Tierliebe? Ihre Ansichten kamen mir ziemlich verschroben vor und sie setzte sie nicht zuletzt dazu ein, um mich zu maßregeln.

      „Dein Pferd ist Erholung für dich – aber fragst du auch, ob du Erholung für dein Pferd bist?“

      Wie kam sie eigentlich darauf, dass Nine Erholung für mich sei? Seitdem das Pferd auf dem Leierhof stand, hatte ich keine Minute Freizeit mehr, ich vernachlässigte Gerson und hatte keine Seite in einem guten Buch mehr gelesen, geschweige denn, einen Film gesehen.

      Aber andererseits machte mir der Umgang mit Nine richtig Spaß. Unter Robertos Beritt lernte sie schnell und ging nach kurzer Zeit sämtliche Lektionen wie am Schnürchen. Was war falsch daran? Durfte ich nicht stolz auf mein Pferd sein? Und wer sagte eigentlich, dass nicht auch mein Pferd stolz auf mich sei, dachte ich trotzig. Dass Liberty immer so genau zu wissen schien, was im Kopf der Pferde vor sich ginge, kam mir wie eine Anmaßung vor. Genau wie ihre feste Überzeugung mit Pferden sprechen zu können. Darüber hatte mich Carmen aufgeklärt.

      „Sie übt mit Myboy, wenn es im Stall noch ruhig ist, früh morgens, oder spät in der Nacht. Konzentration ist alles“, hatte sie gesagt, „tiefe Atmung, Entspannung – und wenn das alles stimmt, dann sendet sie ihre Botschaft und wartet auf eine Antwort. Dafür muss der Kopf vollkommen leer sein, sagt Liberty. Keine Ahnung, wie sie das macht – hast du etwa schon mal einen leeren Kopf gehabt?“ Ich hatte an das bekannte Endlosband denken müssen, das sich automatisch einstellte, sobald ich alleine war, von Leere war da keine Spur, es ging im Gegenteil ziemlich turbulent zu.

      „Worüber redet sie denn eigentlich mit Myboy?“

      „Das ist mir auch nicht ganz klar“, hatte Carmen zugegeben. „Sie sagt, dass man mit Tieren nur über Naheliegendes sprechen kann. Weil sie keinen Unterschied zwischen Gegenwart und Vergangenheit kennen. Also zum Beispiel über das Futter, aber sie sagt ja nicht Futter, sie sagt: Essen. Liberty spinnt“, hatte Carmen kurz und bündig ihre Ansicht zusammengefasst.

      Als wir wenig später mit Nine im Schlepptau zum Stall schlenderten, benutzte Liberty die Gelegenheit, mir Roberto madig zu machen. Sie stieß mich mit ihrem Ellbogen an:

      „Hast du gehört – Radio Regenbogen.“

      „Ja ...?“ Ich wusste nicht, worauf sie hinaus wollte, bis mir einfiel, dass sie die Radiostation meinte, mit der sich Roberto die Mittagspause versüßte.

      „Sperr doch mal die Ohren auf.“

      Richtig - aus Robertos Zimmer drang laute Popmusik. Ein Ohrwurm aus dem vorigen Jahrhundert, zum Mitsingen, aber dazwischen ziemlich eindeutige Laute, die sicher nicht aus dem Äther kamen.

      „Das also ist Radio Regenbogen?“

      Libertys Gesicht verfinsterte sich.

      „Du weißt genau, was ich meine! So naiv bist du auch wieder nicht. Statt sich um Taxos zu kümmern“, Liberty zögerte, als suche sie nach den richtigen Worten, „schieben sie da oben eine Nummer – so sagt man doch – oder?“

      „Ach“, sagte ich, „Du meinst,

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