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Seine Antwort kommt schnell. ›Wo zum Teufel steckst du, Kumpel? Schwing deinen Arsch hier runter. Brenda versucht bereits, die ganze Struktur des Tors neu zu gestalten.‹

       Jon ist auch ein Spezi. Es macht mich fertig, wenn er textet, denn er hebt seine Flüche für die Nachrichten auf, die er mir schickt. Niemand sonst hat eine Ahnung.

       ›Auf dem Weg‹, texte ich zurück.

       »Landstreicher«, sage ich zu Stella. »Ich muss so schnell wie möglich mit dem Fahrrad runterfahren.«

       »Brenda?«

       »Japp. Brenda«, sage ich und eile zur Garage. Ich ziehe meine robusten Arbeitsstiefel mit Stahlkappe an und schnappe mir mein Mountainbike.

       Ich beachte die fragenden Gesichter meiner Nachbarn nicht, als ich an ihnen vorbei rase, konzentriere mich auf die Windungen und Kurven, Bodensenkungen und Erhebungen auf meinem Weg. Ich rase den letzten Hügel vor dem Tor herunter, das an den Eingang zu Whipsering Pines gesetzt worden war. Es blockiert den Zugang von der ehemaligen Bundesstraße 251 zu unserer Wohngegend. Ich sage ›ehemalige‹, weil es wirklich keinen ›Bundesstaat‹ mehr gibt und ich bin mir ziemlich sicher, dass das Verkehrsministerium seine Zuständigkeit während der Apokalypse verloren hat – oder vielleicht auch nicht. Sie könnten tatsächlich geplant haben, die gelben Linien nächste Woche nachzuzeichnen.

       »Da bist du ja, Kumpel«, ruft Jon, während ich bremse, um neben ihm anzuhalten. »Brenda denkt, dass wir an der Außenseite noch mehr Stacheldraht brauchen, weil Stacheldraht offenbar eine abschreckende Wirkung auf hungrige Penner hat.«

       »Jesus«, murmele ich.

       »Hey, der Name des Herrn und all das?« Jon lächelt.

       »Klugscheißer.« Ich lächele zurück und gehe an ihm vorbei zum Wachturm, der sich an der Seite des fünfzehn Meter breiten Tors befindet.

       »Es tut mir leid, Leute …«, sagt Brenda gerade. Sie versucht, gleichzeitig zu flüstern und zu schreien, heraus kommt ein groteskes Krächzen. »… aber Whispering Pines ist eine eingezäunte Gemeinde und zum jetzigen Zeitpunkt nehmen wir keine neuen Bewohner auf. Ihr müsst bitte weitergehen. Noch mal, es tut mir lei–«

       Mit wem auch immer sie spricht, er antwortet mit einer Pistole. Holzsplitter fliegen an Brendas Gesicht vorbei. Sie stammen vom Pfosten direkt neben ihr.

       »Wo ist Stuart?«, zischt Brenda. »Jemand muss sich um diese Landstreicher kümmern!«

       Landstreicher ist der Name, den wir den Nachzüglern gegeben haben, die an unser (wenn ich das so sagen darf) recht beeindruckendes Tor klopfen. Überlebende, die es irgendwie geschafft haben, am Leben zu bleiben, indem sie die Z und nicht so freundliche Menschengruppen meiden. Im Laufe der Monate haben wir immer weniger von ihnen gesehen, aber ab und zu kommen noch welche vorbei. Bei der Dunkelheit, die sie umgibt, ist es nicht schwer, ein Leuchtfeuer des Lebens zu entdecken.

       James ›Nenn-mich-nicht-Jimmy‹ Stuart steht plötzlich neben mir, sieht mit seinem gewohnten angepissten Blick zum Wachturm hoch und ist etwas überrascht, dass alle anderen nicht genau so stocksauer sind wie er. Stuart ist ein pensionierter Hauptfeldwebel der Marine, 1,73 Meter, Ende fünfzig, Bürstenhaarschnitt, drahtig und stark. Als Leiter der Verteidigung (nicht zu verwechseln mit einem Sicherheitschef, Gott bewahre!) sieht er jeden, der nicht gut trainiert ist und militärische Taktiken nicht versteht als Furunkel an seinem durchtrainierten und taktischen Arsch. Das schließt so ziemlich alle von uns ein.

       »Die Tore halten«, sagt Stuart, ohne mich anzusehen. »Nun, was hat sie dann zu meckern?« Stuart fängt seine Fragen gerne mit ›nun‹ an. Es ist ein merkwürdiges Getue.

       »Landstreicher«, sage ich.

       »Landstreicher«, echot Jon.

       »Pater.« Stuart nickt Jon zu.

       »Ja, mein Sohn?«, lächelt Jon. Stuart lächelt nicht zurück. »Richtig. Hey.«

       Stuart seufzt und steigt dann mit erstaunlicher Geschicklichkeit die Leiter zum Wachturm hoch. Wir folgen. Als wir oben sind, nimmt er einen Schlüsselring von seinem Gürtel und schließt den Stahlschrank auf, der auf den Boden des Wachturms geschraubt ist.

       »Nun, wie viele sind es?«, fragt Stuart, während seine Hand über dem offenen Spind schwebt.

       »Acht«, antwortet ein unscheinbarer Mann und sieht zu Brenda, Stuart, mir, Jon und wieder zu Stuart. »Drei Erwachsene und fünf Kinder. Es sieht so aus, als wären sie pausenlos gerannt. Ich habe mir keine Sorgen gemacht, bis sie anfingen zu schießen.«

       »Lasst uns rein!«, ruft eine belegte Stimme von unten. »Bitte!«

       »Kinder?«, fragt Stuart. Sein Blick findet Brenda, während er ein AR-15 und ein Magazin aus dem Spind nimmt. Er legt das Magazin ein und starrt sie an.

       Brenda ist die Vorstandsvorsitzende unserer Hauseigentümervereinigung. Klein, fett, potthässlich. In den ersten Tagen der Apokalypse hat sie die Kontrolle in Whispering Pines übernommen. Sie vermittelt den Anschein von Ordnung in einer Welt, die sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden von normal zu ›HEILIGE SCHEISSE, MAN WILL MICH AUFFRESSEN!‹ verwandelte. Obwohl es ihr an allem mangelt, was einen normalen Menschen ausmacht, gibt sie eine verdammt gute Verwalterin ab – wenn man davon absieht, dass sie keinerlei menschlichen Anstand besitzt. Es ist schwer an ihr vorbeizukommen, glaubt mir.

       »Wir haben keinen Platz und keine Ressourcen«, erklärt Brenda. Ihr Flüstern ist wie das Zischen einer versteckten Viper. »Du weißt das, Stuart. Beschluss 856 ist, was die Aufnahme von neuen Bewohnern angeht, klar und deutlich. Es ist nicht erlaubt. Du warst bei der Abstimmung dabei, Stuart. Muss ich deutlicher-«

       »Halt die Klappe«, erwidert Stuart. »Ich kenne den Beschluss. Ich wollte mich nur vergewissern, bevor ich meinen Job mache.«

       Zu jeder Zeit sind zwei Wachen auf dem Turm postiert, aber sie fügen sich Stuart, wenn es zu willkürlicher Gewalt kommt. In diesem Punkt ist Stuart sehr deutlich: Niemand tötet die Lebenden außer ihm, es sei denn, man muss sich selbst verteidigen. Ich habe mich mehr als einmal gefragt, wie viele Menschen Stuart in den Jahren bei den Marines getötet hat. Ich habe selbst erlebt, wie er seit Beginn der Apokalypse nicht weniger als vierzehn Seelen getötet hat. Wie viele Z es waren, kann ich nicht sagen.

       Lasst mich diesbezüglich erklären, dass die Z, über die wir reden, eure klassischen, schlurfenden, Schuss-in-den-Kopf-Zombies sind. Die frischen, die sich erst vor Kurzem verwandelt haben, sind mobiler als die Veteranen unter den Untoten, aber sie können bestenfalls etwas schneller laufen – wie eine Oma im Einkaufszentrum, die Powerwalking macht. Man kann sie überholen. Aber, wie immer, kommt es auf die Anzahl an. Und die Z dominieren unsere Ärsche locker zwanzig zu eins. Okay, okay, ich untertreibe … Sie sind uns fünfzig zu eins zahlenmäßig überlegen. Ich hasse es nur, das zuzugeben. Was? Gut, gut, 100 bis 200 zu eins. Meine Güte.

       »Hallo Leute«, sagt Stuart, als er über den Rand des Wachturms schaut. »Ich bedauere es, unhöflich zu sein, aber es ist entschieden worden, dass wir keine Bewohner mehr aufnehmen können. Ich muss Sie nun bitten, zu gehen. Es nicht zu tun, wäre keine gute Option.«

       »Fick dich!«, schreit ein Mann. »Lass uns rein, alter Mann! Wir haben Kinder hier! Wir verhungern, verdammt noch mal. Hör auf, ein Arschloch zu sein!«

       Stuart seufzt und legt das Gewehr an die Schulter. »Ich werde Sie nicht noch einmal bitten, Sir. Es tut mir leid, aber Sie müssen jetzt gehen. Dieser ganze Lärm, den Sie machen, lockt nur die Z an. Wir versuchen, das zu vermeiden.«

       Ich riskiere einen Blick und sehe, dass Stuart recht hat. Von beiden Seiten des Highways 251 schlurfen Untote auf die kleine Gruppe von Landstreichern zu. Wenn Stuart die Leute nicht tötet, dann werden es die Z tun. Zwar sieht keiner von ihnen allzu frisch aus, was bedeutet, dass ihre Schlurfrate etwa einen Meter pro Sekunde beträgt, aber in etwa zehn Minuten sind sie da.

       »Ist das unser alter Briefträger?«, fragt Jon, der ebenfalls herüberspäht. »Ich schätze, dieses Jahr muss ich ihm kein Weihnachtsgeschenk kaufen.«

       »Dafür, dass du ein Mann Gottes bist, bist du ein gefühlloser Bastard«, flüstere ich ihm zu. Er zuckt mit den Schultern.

      

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