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und ein Glas voll von dem Wasser in der goldenen Schale, dem einzigen Stücke schöpfte, das der Baron auf die Bitte seiner Tochter behalten hatte.

      Hinter einer von den Ulmen. an der Straße verborgen, hatte Gilbert Alles dies gesehen.

      Sobald sich die Reisenden entfernt, kam Gilbert auf dieselbe Stelle, setzte den Fuß auf die kleine Erderhöhung, auf welche er Andrée hatte steigen sehen, und trank Wasser mit der Hand, wie Diogenes, aus denselben Wellen, aus denen Fräulein von Taverney ihren Durst gestillt hatte.

      Gut gestärkt setzte er sodann seinen Marsch wieder fort.

      Nur Eines beunruhigte Gilbert, er hatte um sein Leben gern gewußt, ob die Dauphine unter Wegs Nachtlager halten würde. Blieb die Dauphine über Nacht, wie sich voraussetzen ließ, denn bei der Müdigkeit, über die sie sich in Taverney beklagt hatte, bedurfte sie sicherlich der Ruhe, blieb die Dauphine über Nacht, sagen wir, so war Gilbert gerettet. Man würde ohne Zweifel in diesem Fall in Saint-Dizier anhalten. Zwei Stunden Schlaf in einer Scheune würden seinen Beinen, welche steif zu werden anfingen, genügen, um wieder Elasticität zu erlangen; nach Ablauf dieser zwei Stunden könnte er sich abermals auf den Weg begeben, und während der Nacht müßte er, mit kurzen Schritten marschirend, leicht einen Vorsprung von fünf bis sechs Lieues vor ihnen gewinnen. Man marschirt so gut mit achtzehn Jahren in einer schönen Nacht im Monat Mai!

      Es kam der Abend und umhüllte den Horizont mit seinem Schatten, der sich immer mehr näherte, bis dieser Schatten den Weg erreicht hatte, auf welchem Gilbert wanderte. Bald sah er nichts mehr von dem Wagen, als die große Laterne, welche auf der linken Seite der Carrosse angebracht war, und deren Reflex auf der Straße aussah, wie ein weißes, beständig am Rande des Weges erschrocken hinlaufendes Gespenst.

      Nach dem Abend kam die Nacht. Man hatte zwölf Lieues zurückgelegt und gelangte nach Combles; die Equipagen schienen einen Augenblick anzuhalten. Gilbert glaubte, der Himmel sei entschieden für ihn. Er näherte sich, um die Stimme von Andrée zu hören. Die Carrosse stand still; er schlüpfte in die Vertiefung eines großen Thores. Er sah Andrée bei dem Schimmer der Fackeln und hörte sie fragen, wie viel Uhr es sei. Eine Stimme antwortete: »Eilf Uhr.« In diesem Augenblick war Gilbert nicht feig, und er hätte mit Verachtung das Anerbieten, in einen Wagen zu steigen, zurückgewiesen.

      Dies war so, weil vor den glühenden Augen seiner Einbildungskraft Versailles golden, glänzend erschien; Versailles, die Stadt der Adeligen und der Könige. Sodann jenseits Versailles Paris, schwarz, düster, ungeheuer; Paris, die Stadt des Volkes.

      Und für diese Visionen, welche seinen Geist ergötzten und erquickten, hätte Gilbert nicht alles Gold von Peru genommen.

      Zwei Dinge entzogen ihn seiner Strafe, das Geräusch, das die Wagen machten, als sie wieder aufbrachen, und ein heftiger Stoß, den er sich an einem auf der Straße stehen gebliebenen Pfluge gab.

      Auch fing sein Magen an über Hunger zu schreien.

      »Zum Glück,« sagte Gilbert zu sich selbst, »zum Glück habe ich Geld, bin ich reich.«

      Man weiß, daß Gilbert einen Thaler besaß.

      Die Wagen rollten bis Mitternacht fort.

      Um Mitternacht kam man nach Saint-Dizier; hier, hoffte Gilbert, würde man Nachtlager halten.

      Gilbert hatte sechzehn Lieues in zwölf Stunden zurückgelegt.

      Er setzte sich auf den Rand des Grabens.

      Doch in Saint-Dizier spannte man nur um; Gilbert hörte das Geräusch der Schellen, die sich abermals entfernten. Die erhabenen Reisenden hatten nur mitten unter Fackeln und Blumen eine kleine Erfrischung zu sich genommen.

      Gilbert bedurfte seines ganzen Muthes.

      Er machte sich wieder auf seine Beine mit einer Willensenergie, welche ihn vergessen ließ, daß eben diese Beine zehn Minuten vorher unter ihm zu brechen drohten.

      »Gut!« sagte er, »immer vorwärts! doch ich wette sogleich auch in Saint-Dizier anhalten, ich kaufe mir Brod und ein Stück Speck, ich trinke ein Glas Wein, gebe dafür fünf Sous aus und habe mich dadurch besser gestärkt, als die Gebieter.«

      Gilbert sprach das Wort Gebieter, das wir zu diesem Behufe unterstreichen, mit seiner gewöhnlichen Emphase.

      Gilbert ging, wie er es sich gelobt, nach Saint Dizier hinein, wo man, da die Escorte durchgezogen war, die Läden und Thüren der Häuser wieder zu schließen anfing.

      Unser Philosoph erblickte ein Wirthshaus von gutem Aeußerem, geputzte Mägde, Knechte in Sonntagskleidern und mit Sträußen in den Knopflöchern, obgleich es noch sehr früh am Morgen war; er gewahrte auf großen Fayenceplatten mit Blumen Geflügel, von denen die Hungerigen des Gefolges einen starken Zehnten erhoben hatten.

      Er trat entschlossen in das vornehmste Wirthshaus, man legte eben die letzten Stangen an die Läden, er bückte sich, um in die Küche zu schlüpfen.

      Die Wirthin war da, überwachte Alles und zählte ihre Einnahme.

      »Verzeihen Sie, Madame,« sagte Gilbert, »geben Sie mir, wenn es Ihnen beliebt, ein Stück Brod und Schinken.«,

      »Es gibt keinen Schinken, mein Freund,« erwiederte die Wirthin, »wollen Sie Huhn?«

      »Nein; ich habe Schinken verlangt, weil ich Schinken zu speisen wünsche; ich liebe das Huhn nicht.«

      »Das ist ärgerlich, mein kleiner Mann,« versetzte die Wirthin, »denn es gibt nichts Anderes, Doch glauben Sie mir,« fügte sie lächelnd bei, »das Huhn wird nicht theurer für Sie sein, als Schinken; nehmen Sie eines zur Hälfte, nehmen Sie ein ganzes für zehn Sous, dann haben Sie Ihren Mundvorrath für morgen. Wir dachten, Ihre Königliche Hoheit würde bei dem Herrn Amtmann anhalten und wir konnten unsere Mundvorräthe an ihre Equipagen verkaufen, doch sie ist nur durchgefahren, und somit sind die Speisen verloren.«

      Man könnte glauben, Gilbert habe, da sich eine so schöne Gelegenheit und eine so gute Wirthin zeigte, diese einzige Gelegenheit, die sich ihm bot, ein gutes Mahl zu machen, nicht versäumen wollen, doch das hieße seinen Charakter völlig verkennen.

      »Ich danke,« sagte er, »ich begnüge mich mit weniger, ich bin weder ein Prinz, noch ein Lackei.«

      »Dann schenke ich es Ihnen, mein kleiner Artaban, und Gott geleite Sie!« sagte die gute Frau.

      »Ich bin auch kein Bettler, gute Frau,« sprach Gilbert gedemüthigt. »Ich kaufe und bezahle.«

      Und um die Wirkung mit den Worten zu verbinden, versenkte Gilbert majestätisch seine Hand in seine Hosentasche, wo auch der Arm bis zum Ellenbogen verschwand. Doch er mochte immerhin erbleichend in dieser weiten Tasche suchen und wühlen, er zog nur das Papier heraus, in welchem der Sechs-Livres-Thaler enthalten gewesen war. Hin und hergeworfen hatte der Thaler zuerst seine alte, abgenutzte Umhüllung, sodann die mürbe Leinwand der Tasche durchbrochen, war in die Hose geschlüpft und von da durch das aufgeschnallte Knieband hinausgefallen.

      Gilbert hatte nämlich seine Kniebänder aufgeschnallt, um seinen Beinen Elastizität zu geben.

      Der Thaler war auf der Straße, ohne Zweifel am Rande des Baches, dessen Wellen Gilbert so sehr entzückten.

      Das arme Kind hatte mit sechs Franken ein Glas Wasser bezahlt, das es mit seiner hohlen Hand geschöpft. Als Diogenes über das Unnöthige der hölzernen Näpfe philosophirte, hatte er wenigstens weder Taschen zu durchlöchern, noch Sechs-Livres-Thaler zu verlieren.

      Die Blässe, das Zittern der Scham von Gilbert bewegten die gute Frau. Viele hätten triumphirt, einen Stolzen bestraft sehen zu können, sie aber litt unter dem auf den verstörten Zügen des jungen Mannes so gut ausgeprägten Leiden.

      »Auf, mein armes Kind,« sagte sie, »speisen Sie zu Nacht und schlafen Sie hier, morgen mögen Sie sodann, wenn Sie durchaus weiter reisen müssen, Ihren Marsch fortsetzen.«

      »Oh! ja, ja, ich muß,« sagte Gilbert, »ich muß, nicht morgen, sondern auf der Stelle.«

      Uno er nahm wieder sein Päckchen, ohne mehr hören zu wollen, und stürzte aus dem Hause, um in der Finsterniß seine Scham und seinen Schmerz zu verbergen.

      Der

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